Montag, 28. März 2022

📖 Zeitschrift "Bayerische Archäologie" - Heft 1.22: EROTIK in der Vor- und Frühgeschichte

 

Schwerpunkt des vorliegenden Hefts der Reihe "Bayerische Archäologie" sind Erotik, Sex und Liebe in der Vor- und Frühgeschichte. Konkret wird dabei der Zeitraum von der Steinzeit bis zur Antike abgedeckt. Informationen darüber liefert vor allem die Archäologie, die schon seit weit über 100 Jahren Objekte mit entsprechenden figürlichen Darstellungen und Inschriften ans Tageslicht befördert.

Achtung, notorisch unlustige Personen - also vor allem FeministInnen und Body-positivity-SektiererInnen - sollten nicht weiter lesen!


Schirch wie die Nacht finster: Die dicken Frauen des Paläolithikums

So wie es in einschlägigen Kreisen als schwer anti-intellektuell gilt, Schüttbilder und ähnliche abstrakte Schmierereien als hässlich zu bezeichnen, so dürfte auch mein Urteil über die figürlichen Frauendarstellungen aus der Altsteinzeit von manch Großhirnakrobaten mit dem Rümpfen der Nase quittiert werden. Doch ich stehe dazu, die Dinger sehen in meinen Augen geradezu gruselig aus, weil: Extrem fettleibig, ein oft überdimensionierter Hängebusen und insgesamt geradezu grotesk fehlproportioniert. Die Gattungsbezeichnung "Venus" für solche Figuren kann sich der sprachliche Urheber eigentlich nur in einem Anflug von Ironie ausgedacht haben...  

Wie auch immer, die gendernde Artikel-Autorin Sibylle Wolf gibt einen umfangreich bebilderten Überblick hinsichtlich der in Europa entdeckten 'Venus'-Figuren der Steinzeit, die aus Stein, aber auch aus organischem Material von unseren Vorfahren gefertigt worden sind. Der Verwendungszweck der Darstellungen bleibt freilich rätselhaft, obschon es nicht an Theorien mangelt. Handelt es sich womöglich um Fruchtbarkeitssymbole? Oder hat man es schlicht mit dem Darstellen eines Schönheitsideals zu tun? Eine - meiner bescheidenen Meinung nach - geradezu haarsträubende Annahme, da extreme Fettleibigkeit träge macht, die Bewegungsfähigkeit sowie körperliche Leistungsfähigkeit einschränkt, zu diversen chronischen Krankheiten führt und schlussendlich das Leben verkürzt. Welcher männliche Jäger und Sammler der Steinzeit, der ständig mit seiner Sippe auf Achse war, will sich schon an eine solche Frau bzw. an einen solchen Klotz binden? Außerdem sei darauf hingewiesen, dass der bei diesen Figuren mitunter anzutreffende Hängebusen nicht für Jugend - also für die bei der Partnerinnenwahl erstrebte hohe Fruchtbarkeit und Widerstandskraft - steht, sondern eher für ein relativ fortgeschrittenes Alter. Aus der psychologischen Wissenschaft heißt es dementsprechend ja, dass Frauen für Männer am attraktivsten im Alter von ca. 16 Jahren sein sollen; und da hängt, anders als bei vielen dieser Venus-Figuren, der Busen in der Regel eben noch nicht bis zum Bauchnabel. Von einem Idealbild kann hier also schwerlich ausgegangen werden. 

Laut einer weiteren Theorie sind die Statuetten Selbstdarstellungen; wobei die merkwürdigen Proportionierungen darauf zurückzuführen wären, dass die Erschafferinnen - aus Ermangelung eines Spiegels - sich eben so gesehen haben, als sie an sich herunterblickten. Das will mir freilich genauso unwahrscheinlich erscheinen, denn warum hätten diese Frauen rein zufällig alle übergewichtig sein sollen? Lebten diese Nomaden in einem dermaßen großen Überfluss, ähnlich unserer Gegenwart? Wohl kaum. Und mit einer perspektivischen Verzerrung, wie schon eingangs erwähnt, lässt sich die abgebildete Fettleibigkeit ebenfalls nicht erklären. 

Ein anderer Forscher meint wiederum, die figürlichen Darstellungen - mit einer Überbetonung der Brüste und z.T. auch der Vulva - hätten die männliche Lust steigern sollen; quasi die 'Wichsvorlage' der Steinzeit. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass dazumal alle Männer auf "fette Weiber" (-Al Bundy) abfuhren? Noch dazu sind einige der Figuren dermaßen stark simplifiziert, dass man kaum noch erkennen kann, dass es sich um eine Frau handelt; bei ihrem Anblick Lust zu entwickeln, setzt die Vorstellungsgabe eines Claas Relotius voraus. 

Natürlich darf im Theorien-Potpourri auch die Mutmaßung nicht fehlen, dass wir es hier mit frühen religiösen Darstellungen zu tun haben - und zwar von einer göttlichen Mutter (sozusagen eine Art Steinzeit-Kybele). 

Zu guter Letzt:  Einige Wissenschaftler behaupten, die 'Venus'-Figuren stellen konkrete Ahninnen dar. Auch hier muss freilich wieder die Frage gestellt werden: Warum sollen die ausnahmslos schirch wie die Nacht gewesen sein? 

Bloße handwerkliche Ungeschicklichkeit wird kaum pauschal als Erklärung für das merkwürdige Aussehen all dieser Figuren herhalten können. Dass nämlich der damalige Mensch durchaus in der Lage war, ästhetisch ansprechende bzw. wohlproportionierte Objekte herzustellen - bezeugt beispielsweise die Mammut-Figur vom Vogelherd.


Liebesgrüße aus der Keltenhose: Erotik in der eisenzeitlichen Situlenkunst

Louis Nebelsick und Clara Schaller erörtern in ihrem Beitrag anhand zahlreicher Beispiele erotische Darstellungen auf eisenzeitlichen Situlen bzw. Blecheimern. Dabei wird ersichtlich, dass es dazumal beim Sex ganz schön wild zugegangen sein dürfte. Abzulesen nicht nur an den z.T. Kamasutra-artigen Stellungen, welche die Liebenden beim Geschlechtsverkehr eingenommen haben, sondern auch daran, dass die Bettmatratzen, auf denen man es trieb, oftmals wellenartig, also in wilder Bewegung (rechts oben), dargestellt wurden. Noch kurioser ist eine Situla, auf der zu eine Frau zu sehen ist, die im Stehen und mit gespreizten Beinen ein Kind zur Welt bringt. Wie da dieses Kind mit nach vorne ausgestreckten Armen aus ihr herausflutscht, ähnelt es einem Schwimmer, der gerade fröhlich ins Wasser köpfelt 😄. Darüber hinaus handelt es sich hier um eine doch eher ungewöhnliche Art des Gebärens.

In anderen Situla-Darstellungen wiederum ist zu sehen wie Frauen mit Knüppeln in den Händen Pärchen beim verbotenen Liebespiel überraschen; zumindest meinen einige Wissenschaftler, dass hier sexuelles Fehlverhalten und die quasi auf den Fuß folgende Strafe bildlich festgehalten wurden. Interessanterweise sind nur Frauen die Strafenden; möglicherweise handelt es sich dabei um die jeweiligen Hausherrinnen. Ebenfalls interessant ist, dass Sex-Darstellungen auf diesen Blecheimern häufig auch Zeugen beinhalten, welche die Liebenden beobachten. Ob hier wohl ein realer Hintergrund vorliegt - etwa das Überwachen des Vollzugs der Ehe in der Hochzeitsnacht - oder ob dies vielmehr einen uns heute verborgenen symbolischen Charakter hat? 

Solche und weitere Aspekte der erotischen Situlen-Kunst werden von den beiden Autoren in ihrem Beitrag behandelt. Leider sind einige der beigefügten Abbildungen für meinen Geschmack zu klein geraten.  
 

Liebesgeschichten aus dem römischen Bayern

Dieser Beitrag von Günther E. Thüry hat mir besonders gut gefallen. Bei den aus der Römerzeit in Bayern überlieferten Zeugnissen menschlicher Liebe spannt er den Bogen von Inschriften auf Gräbern, Ringen und Fibeln bis hin zu Täfelchen, auf denen magische Liebeszauberformeln eingeritzt worden sind. Nicht immer sind diese leicht zu entziffern, da beispielsweise aus Gründen der Platzersparnis oftmals Abkürzungen verwendet wurden. So kann etwa ein scheinbar harmlos wirkendes Wortpaar eine verborgene erotische Botschaft beinhalten - wie eine Bügelfibel veranschaulicht, die bei Töging am Inn entdeckt wurde. Auf ihr stehen die Worte "misce" und "sitio". Wie der Artikelautor erklärt, kann das einerseits "mische (mir Wein mit Wasser)" und "(ich bin) durstig" bedeuten. Jedoch kann "misce" auch als "Liebe machen" verstanden werden (zwei Menschen vermischen sich quasi miteinander; im Englischen bedeutet - wie mir an dieser Stelle dann auch noch eingefallen ist - "miscellaneous" ja auch Vermischtes). Und "sitio" kann nicht nur mit "durstig nach einem Getränk" übersetzt werden, sondern auch mit "durstig nach Liebe". Diesen Liebesdurst bezeichnen wir heute in der deutschen Sprache als Liebeshunger. Viel hat sich hierbei also nicht geändert.

Ein weiteres archäologisches Beispiel stammt aus dem vierten Jahrhundert und wurde - nahe Bayern - im oberösterreichischen Wels entdeckt. Trotz des großen zeitlichen Abstandes schafft es der Text, uns auch heute noch tief zu berühren. Auf einer halbmeterlangen Grabsteinplatte steht folgendes geschrieben:  

"Der Soldat Flavius Ianuarius hat dies zu Lebzeiten anfertigen lassen. Im Grab geborgen, ruht hier Ursa, eine gläubige Christin, im Alter von 38 Jahren. Sie wurde plötzlich, infolge einer Geburt, vom rücksichtslosen Schicksal in die Tiefen der Unterwelt geführt, ihr ausgeliefert und verließ mich plötzlich - mich, der ich, für die Dauer gewisser Zeit, mit ihr als Ehemann verbunden war, der ich umhergehe und vergebens nach ihr suche, traurig, der ich sie doch selbst für immer begrub. O welches Schicksal kann eine Geburt bedeuten, die zwei Menschen in der Blüte junger Jahre voneinander trennt, wie wir nicht weiter gemeinsam die himmlische Gnade genießen konnten. Das sage ich dem Leser, und Tränen folgen meinen Worten nach: Liebenden, die miteinander vereinet sind, müssen sich immer glücklich schätzen; denn nichts ist wundervoller als die frühe Jugend.
😢


Der Anti-Verein

Fast zum Weinen bringt mich auch die berüchtigte "Gesellschaft für Archäologie in Bayern". Diese schreibt in artig gegendertem Deutsch von einem geplanten Museumsausflug, an dem nur jene Mitglieder (und auch Gliedlose) teilnehmen dürfen, welche die Regel 2G+ erfüllen. Weil das nämlich im betreffenden Museum so vorgeschrieben ist, heißt es. 
Freilich, warum man ausgerechnet ein Reiseziel auswählt, von dem bekannt ist, dass es nicht für alle Mitglieder in Frage kommt, erschließt sich mir nicht. Die Verantwortlichen sind entweder schwer borniert, empathisch wie ein Donnerbalken oder aber sie piesacken und diskriminieren absichtlich zahlende Vereinsmitglieder (fast will es mir deshalb scheinen, als ob sie beim Schnitzlgsicht vom Friedrich-Schmidt-Platz 1 in die Lehre gegangen sind).


Weitere Heft-Beiträge (Auswahl)
  • Archäologie in den Bezirken
  • Lost place trotzt dem Ende: Die rund 900 Jahre alte, in den 1950ern verlassene Ortschaft Thomasbach 
  • Archäologie einer Delikatesse: Die Aussterbegeschichte der europäischen Auster


Fazit

Das Heft gibt einen aspektreichen und schön bebilderten Einblick in die erotischen Dar- und Vorstellungen unserer Vorfahren. Hat mir gut gefallen.

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Nachtrag: Amazon schreibt mir, dass sie die Rezension nicht veröffentlichen konnten. Wie es bei diesen anmaßenden US-Firmen üblich ist, ohne konkret mitzuteilen, an welcher Formulierung man sich stößt. Dabei habe ich extra das Al-Bundy-Zitat von den "fetten Weibern" in der Amazon-Variante meiner Rezension entsprechend entschärft und stattdessen "dicke Frauen" geschrieben. Aber vermutlich ist selbst das nicht mehr gestattet. Oder war es der saloppe Begriff "Wichsvorlage", der gestört hat? Egal, ich vertrödle - anders als in der Vergangenheit - meine Zeit nicht mehr damit, gegen diese gouvernantenhafte Wortkontrolliererei Einspruch zu erheben. Sollen diese humorbefreiten Korrektheitsfetischisten in ihrer selbst geschaffenen Ideologie-Klapsmühle doch ungestört rotieren bis ans Ende aller Tage. 

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7 Kommentare:

  1. Schön sind die wirklich nicht. Vielleicht hat man sich ja von diesen Figuren eine apotropäische Wirkung erhofft, so wie beim antiken Gorgonenhaupt :-)

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  2. Die Venus vom Hohlefels sieht aus, als ob sie einen dieser spitzen BHs aus den 1950ern und 1960ern trägt.
    LG,
    Philipp

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  3. Zu der Amazon-Sache: Vielleicht geht automatisch der Rollbalken runter, wenn Begriffe wie Sex und Erotik zu oft in einer Rezension vorkommen? Ist eben eine US Firma.

    Die Grabsteininschrift ist wirklich sehr berührend. Ich würde so gerne mehr über diese beiden Menschen wissen, die der Tod vor 1700 Jahren voneinander getrennt hat. Schade, dass das nicht möglich ist.

    Gero

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  4. Das "Schnitzelgsicht" dürfte, wie sein Amtsvorgänger, auch dem einen oder anderen Gspritzten nicht abgeneigt sein. Ein permanenter Alkoholpegel könnte jedenfalls in seinem Fall so einiges erklären.
    Ich setze bei diesem Herrn außerdem schwer auf das Karma als Faktor für eine ausgleichende Gerechtigkeit.

    Es hat auch schon in der Steinzeit Spiegel gegeben: Ruhige Wasserflächen. Das kann ein See aber auch Wasser in einem Gefäß gewesen sein. Ich denke deshalb, die Menschen damals werden schon eine relativ gute Vorstellung vom eigenen Erscheinungsbild gehabt haben.

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  5. Ich lerne in diesem Blog immer wieder neue Begriffe aus Österreich. Zum bsp das Schnitzelgesicht, lol.
    Weiter so, ich mag diese farbigen Metaphern :-)
    Kalipos

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  6. Ob schea oder siech, die Antwort ist dann doch meist jenseits der "naturgesetzlichen" Ästhetik (des goldenen Schnitts) verortet.

    Ob sportliche Bräune oder vornehme Blässe angesehener sind, bestimmt der soziale Kontext der Protagonisten. Was früher der verachtete wettergegerbte Bauer war, ist heute der bleiche Sesselpuper.

    In Polynesien soll so z.B. die Fettleibigkeit auf den sozialen Rang hingewiesen haben - den hohen wohlgemerkt. Auch in den letzten Rückzugsorten der wahren Menschen (Khoikhoi) gilt ein außergewöhnliches Fettpolster am verlängerten Rück wohl als schön, wenn ich meinem sowjetischen Anthropologiebüchlein* glauben darf (was dafür aber noch einen "sexistisch-rassistischen" Begriff verwendete - der als Google-Suchwort allerdings durchaus noch zielführend ist).

    Und wenn ich eine Nachbarin betrachte, welche von der werten Gattin als "Big Mama" tituliert wird, dann neige ich dazu, mit ihrem gelebten Rollenbild die für die mittlere Steinzeit angenommene Führung der Gruppe durch die älteste(n) Frau(en) zu illustrieren. (Wenn die schwarze Frau eine Ansage macht, schwingt auch der braune Schwiegervater die Waderln... Sorry, den konnte ich mir nicht verkneifen..) Mit dieser Illustration im Hirn kann ich mir die "Venus"-Figurinen durchaus als Verbildlichung der Sippenmutter erklären, geschnitzt von einem Mann auf/ für die Jagd, damit die Mutter auch immer dabei ist. Zum Beispiel. "Big Mamas" Gatte findet sie ja auch in einer gewissen Form göttlich...

    *) https://www.amazon.de/V%C3%B6lker-Rassen-Kulturen-Tscheboksarow/dp/B003EQOM06/ref=sr_1_3?keywords=v%C3%B6lker+rassen+und+kulturen&link_code=qs&qid=1648633808&sourceid=Mozilla-search&sr=8-3

    [Das Buch bietet auch einen guten Überblick über die nichtwestliche Anthropologische Sicht. So ist dort von einem prähistorischen Aboriginel-Skelett-Fund im Kaukasus und von der Exklusivität der Ganzkörperbehaarung bei Aboriginels und (Süd-?) Europäern die Rede, schon 30 Jahre bevor die Küstenwanderungsthese im Westen als eher gegenwarts- statt realitätsbezogen galt.]

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  7. https://www.danisch.de/blog/2022/03/23/fat-studies/
    Könnte zum Thema passen :-)

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