Es ist zum Haareraufen: Glaubt man den oberflächlich-pauschalisierenden Einlassungen von sogenannten "Geschichtsexperten" in den Medien, dann war die Gesellschaft des antiken Rom von einem geradezu überschäumenden Langmut gekennzeichnet, wenn es um den Influx neuer Religionen und Kulturen ging.
Widerlegt wird dieser populärwissenschaftliche Mythos jedoch nicht zuletzt von den über mehrere Jahrhunderte andauernden Christenverfolgung. Weil diese natürlich der Öffentlichkeit allzu bekannt ist wird einfach behauptet, dass es sich hierbei um eine Ausnahme handelte; das Christentum habe halt mit seiner Weigerung am Kaiserkult teilzunehmen an den Grundfesten des Staates gerüttelte. Ansonsten sei man in Rom hingegen außerordentlich tolerant gewesen. Doch das ist falsch. Nonsens. Frei erfundener Stuss, der durch einen Blick in die antiken Originalquellen leicht widerlegt werden kann. Entsprechende Beispiele wie den Bacchanalien-Skandal, die planmäßige Zerstörung religiöser Orte in Dacien oder das gnadenlose Ausmerzen der gallisch-keltischen Druiden habe ich schon mehrfach im Rahmen des Blogs erwähnt - siehe etwa hier und hier.
Dieser langen Reihe an Belegen möchte ich nun einen weiteren hinzufügen (und es wird nicht der letzte sein). Er stammt aus der Feder von Titus Livius, der in seinem großen Geschichtswerk "Ab urbe condita" über folgende Begebenheit während des 2. Punischen Kriegs (218-201 v. Chr.) berichtet:
Je länger sich der Krieg hinzog und der Wechsel von Glück und Unglück die allgemeine Lage ebenso wie die Einstellung der Menschen veränderte, ein desto größerer hauptsächlich fremdländischer Aberglaube breitete sich in der Bürgerschaft aus, sodass plötzlich entweder die Menschen oder aber die Götter wie ausgewechselt schienen. Und nicht mehr nur im Geheimen und in den eigenen vier Wänden wurden die römischen Bräuche aufgegeben, sondern es gab auch in der Öffentlichkeit und sogar auf dem Forum und dem Kapitol eine große Anzahl von Frauen, die sich nicht mehr an die Sitten der Väter hielten, wenn sie den Göttern opferten oder ihre Gebete verrichteten. Opferpriester und Weissager hatten die Menschen in ihren Bann gezogen, und ihre Zahl wurde noch durch die Landbevölkerung vermehrt, welche aus Not und Furcht von ihren Feldern, die infolge des langwierigen Krieges brachlagen und unsicher waren, in die Stadt getrieben worden waren. Mit dem Irrglauben anderer ließ sich leicht Geld verdienen, und so betrieben diese Leute ihr Geschäft, wie wenn es sich um ein genehmigtes Handwerk handelte. Zuerst konnte man die Empörung der Rechtschaffenen nur im Geheimen vernehmen. Dann aber drang die Sache auch bis in den Senat und wurde Gegenstand einer öffentlichen Beschwerde. Die Ädilen und das Dreimännerkollegium für den Strafvollzug (tresvir capitales) wurden vom Senat scharf kritisiert, weil sie nicht einschritten. Doch als sie daraufhin versuchten, die Menge vom Forum zu vertreiben und die Aufbauten für die Opfer zu zerschlagen, wäre es ihnen gegenüber beinahe zu Ausschreitungen gekommen. Sobald sich zeigte, dass das Übel schon zu groß war, als dass es durch niedere Amtsträger eingedämmt werden konnte, erhielt der Prätor Marcus Aemilius vom Senat den Auftrag, das Volk von diesen abergläubischen Praktiken abzubringen. Dieser verlas in der Volksversammlung den Senatsbeschluss und bestimmte, dass jeder, der Wahrsage-, Gebetsbücher oder eine schriftlich abgefasste Opferkunst besitze, alle diese Bücher und Schriften vor dem 1. April bei ihm abzugeben habe und dass niemand an einem öffentlichen oder geweihten Ort nach einem neuen oder ausländischen Ritus opfern dürfe. Titus Livius | Ab urbe condita, Buch 25, 1,6-12 | Übers.: Ursula Blank-Sangmeister | Reclam, 2006 |
Das harte Vorgehen der römischen Obrigkeit gegen diese von auswärtigen Personen hereingetragenen unorthodoxen religiösen Neuerungen, welche dem sogenannten mos maiorum (der überlieferten Sitte der Vorväter) widersprachen ist doch sehr beredt; und es war absolut kein Einzelfall! Zu ähnlichen Säuberungsaktionen kam es immer und immer wieder. Hierbei handelt es sich freilich nur um die überlieferten Vorkommnisse. Wie viele mag es darüber hinaus gegeben haben? Naturgemäß darf man annehmen, dass es etliche gewesen sind.
Wer nun die undifferenzierte Tatsachenbehauptung aufstellt, das Alte Rom sei quasi ein religiöses sowie kulturelles Toleranzwunderland gewesen, der ist fachlich völlig unbeleckt und plappert nur das nach, was er aus irgend einer oberflächlich-lausigen Sekundärquelle entnommen hat; oder er versucht seine Mitmenschen mit voller Absicht hinter die Fichte zu führen, weil er krampfhaft für ein gegenwärtiges gesellschaftspolitisches Anliegen nach Argumenten in der Vergangenheit sucht und dabei Fakten, die dieser Intention im Weg stehen, unter den Tisch fallen lässt. Was einmal schon funktioniert hat, muss einfach wieder funktionieren, lautet das angestrebte Narrativ. Wenn es nachweislich (siehe oben) einst aber gar nie so toll funktioniert hat, dann richtet sich diese Argumentationsstrategie gegen den Urheber.
Verkappte Aktivisten, seien es entprofessionalisierte Wissenschaftler oder Wissenschaftsjournalisten, die dieses unsaubere Spielchen mit der Instrumentalisierung unserer Vergangenheit betreiben, beschädigen das berechtigterweise ohnehin nicht gerade makellose Ansehen der Geschichtsforschung noch weiter.
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Da sprichst du was an! Aber ist es nicht das Grundsatzproblem der meisten Medien, dass sie viel zu oberflächlich sind? Ich habe auch immer öfter den Eindruck, man will oft gar nicht die wirklichen Ursachen ergründen. Das Formen eines zum Weltbild des Journalisten passenden Narrativs ist vorrangig.
AntwortenLöschenGero
Ja, das gilt für praktisch alle Themenfelder. Was nicht passt, wird passend gemacht.
LöschenDas ist aber kein Wunder. Ich erinnere mich, dass vor wenigen Jahren eine Studie von mehreren Medienwissenschaftlern erschienen ist, in der dem typischen Journalisten attestiert wurde, dass er die Rezipienten nicht mit verschiedenen Standpunkten versorgen möchte, sodass diese sich selber eine Meinung bilden können. Vielmehr sollen die Rezipienten vom Standpunkt des Journalisten überzeugt werden. Kurz gesagt, der Journalist ist Aktivist und Politiker, aber kein neutraler Lieferant von Informationen. Ich denke allerdings, dass das schon immer so war, nur dass wir heute aufgrund der technischen Möglichkeiten und der Vielzahl an alternativen Informationsquellen diesen Mangel leichter erkennen können.