Wahrscheinlich eine Darstellung des persischen Großkönigs Dareios (Darius) I. | Quelle: Wikimedia.org | Bearbeitung: Hiltibold |
Passend zur Weihnachtszeit (frohe Weihnachten, übrigens!), hier wieder einmal ein besonders geschmackvolles Fundstück aus meinem Fundus antiker Texte.
Nachdem - laut griechischem Geschichtsschreiber Herodot - im Jahr 522 v. Chr. ein Betrüger und Usurpator von sieben mächtigen persischen Adeligen mit scharfen Dolchen vom Königsthron entfernt wurde, berieten die Attentäter über die zukünftige Herrschaftsform des persischen Vielvölkerreichs. Sollte es weiterhin eine Monarchie bleiben - damit hatte man in jüngster Vergangenheit unter dem König Kambyses z.T. schlechte Erfahrungen gemacht - oder wäre eine Demokratie, zumindest aber eine Oligarchie, geeigneter?
Man entschied nach einigen Diskussionen schlussendlich, dass auch weiterhin einen König an der Staatsspitze stehen soll. Wobei moderne Historiker anmerken würden, dass diese Diskussion vielleicht gar nie so stattgefunden hat und hier der Grieche Herodot bloß in seiner Erzählung eine Chance sah, die unterschiedlichen Herrschaftsformen bzw. ihre Vorzüge und Nachteile einander gegenüberzustellen. Herodot selbst macht freilich die Bemerkung, dass sogar seine griechischen Zeitgenossen nicht so recht an die berichtete Begebenheit glauben wollten; man traute den 'barbarischen' Persern, mit ihrer (wie man meinte) typisch orientalischen Obrigkeitsgläubigkeit, wohl nicht zu, auch nur einen Gedanken an Demokratie zu entwickeln (interessanterweise funktioniert im Orient bis heute nahezu nirgendwo das Konzept der Volksherrschaft - nicht einmal die im nachantiken Westen ersonnene Schmalspurvariante davon).
Doch so richtig schräg wird es, als es in der Überlieferung darum geht wie der zukünftige König angeblich aus der Gruppe der persischen Adeligen ermittelt wurde.
Die übrigen der Sieben berieten nun, wie sie auf die gerechteste Weise einen König einsetzen könnten [...] Was die Königsherrschaft betraf, beschlossen sie Folgendes: Wessen Pferd bei Sonnenaufgang als Erstes wiehere, nachdem sie vor der Stadt aufgesessen seien, der solle die Königsherrschaft haben. Nun hatte Dareios einen klugen Stallmeister; sein Name war Oibares. Zu diesem Mann sagte, als die Versammelten sich getrennt hatten, Dareios Folgendes: "Oibares, wir haben hinsichtlich der Königsherrschaft beschlossen, folgendermaßen vorzugehen: Wessen Pferd als Erstes bei Sonnenaufgang wiehert, nachdem wir aufgesessen sind, der soll die Königsherrschaft haben. Wenn du jetzt also über einen klugen Rat verfügst, dann leite in die Wege, dass ich dieses schöne Amt erhalte und nicht ein anderer!" Oibares antwortete mit folgenden Worten: "Herr, wenn es nur davon abhängt, ob du König wirst oder nicht, dann sei deswegen unbesorgt und guten Mutes; denn kein anderer wird an deiner Stelle König sein. Ich habe entsprechende Mittel." Darauf Dareios: "Wenn du nun so einen Kniff hast, dann ist es an der Zeit, ihn auszuführen und nicht aufzuschieben; denn am kommenden Tag fällt für uns die Entscheidung." Als Oibares das hörte, tat er Folgendes: Als die Nacht anbrach, führte er von den Stuten eine, die der Hengst des Dareios am meisten liebte, vor die Stadt, band sie dort an und führte dann den Hengst zu ihr, und viele Male führte er ihn nahe um die Stute herum und ließ ihn sie fast berühren; schließlich ließ er ihn die Stute besteigen. Gleich beim ersten Licht des Tages waren die Sechs, wie sie es vereinbart hatten, auf ihren Pferden zur Stelle. Als sie nun vor die Stadt ritten und an die Stelle kamen, wo in der vergangenen Nacht die Stute angebunden gewesen war, da lief der Hengst des Dareios dorthin und wieherte; zur gleichen Zeit aber, als der Hengst dies tat, gab es einen Blitz aus heiterem Himmel und einen Donnerschlag. Da diese Zeichen für Dareios noch hinzukamen, bestätigten sie seine Wahl, als wären sie auf eine Art Verabredung hin geschehen; und sie sprangen von ihren Pferden und huldigten Dareios. Die einen nun sagen, dass Oibares diese List angewandt habe, die anderen dagegen, eine folgender Art - denn beide Versionen werden von den Persern erzählt: Er habe die Geschlechtsteile dieser Stute mit seiner Hand berührt und die Hand dann in seinen Hosen verborgen gehalten. Als sie dann bei Sonnenaufgang die Pferde hätten loslaufen lassen wollen, habe unser Oibares seine Hand hervorgezogen und dem Hengst des Dareios an die Nüstern geführt, der aber habe den Geruch wahrgenommen und daraufhin geschnaubt und gewiehert. Herodot | Historien, Buch 3 84,1-87 | übersetzt von Heinz-Günther Nesselrath | Verlag Alfred Kröner, 2017 |
Jetzt könnte man vorschnell meinen, dass es sich hier bloß um eine nette Geschichte handelt, die mehr Sage als Realität ist. Allerdings verweist Herodot auf ein Relief, das vermutlich zu seiner Zeit noch jeder in Augenschein nehmen bzw. überprüfen konnte.
[...] Als Erstes nun ließ er (Dareios) ein steinernes Relief anfertigen und aufstellen; als Figur war darauf ein Reiter dargestellt, und er ließ eine Inschrift anbringen, die Folgendes besagte: "Dareios, der Sohn des Hystaspes, hat durch die Vorzüglichkeit seines Pferdes - hier nannte er den Namen - und seines Stallmeisters Oibares die Königsherrschaft über die Perser erlangt." Herodot | Historien, Buch 3 88,3 | übersetzt von Heinz-Günther Nesselrath | Verlag Alfred Kröner, 2017 |
Es ist demnach gut denkbar, dass eine der beiden Versionen von der Geschichte mit der Stute und dem geilen Hengst wirklich mehr oder weniger den Tatsachen entsprach; ich persönlich halte übrigens die unkompliziertere zweite Erzählung für wahrscheinlicher - aber natürlich ist auch das nur eine Vermutung (echte Pferdekenner könnten hier sicher eine qualifiziertere Einschätzung vornehmen).
Grundsätzlich ist es aber meiner Meinung nach ein großer Fehler, solche Erzählungen immer gleich leichtfertig als komplette Märchen abzutun. In ihrem Bestreben, die notorisch unpräzise Geschichtsforschung seriöser in der Öffentlichkeit darzustellen, neigen viele moderne Historiker zum Überkompensieren bzw. Überrationalisieren. Das ist schlussendlich für das Fach genauso kontraproduktiv wie blinde Naivität.
Dareios I. jedenfalls entwickelte sich zum vielleicht berühmtesten der persischen Großkönige. Man kennt ihn auch heute noch, nicht zuletzt wegen den Alten Griechen, die in wilden Kämpfen mit seinem Eroberungsdrang konfrontiert wurden und uns davon manch lebhaften Bericht hinterlassen haben. Herodot aus Halikarnassos ist der bedeutendste unter diesen Berichterstattern.
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Danke, auch dir frohe Weihnachten!
AntwortenLöschenFrohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
AntwortenLöschenGero
Da die Alten Perser ein pferdebegeistertes Volk waren, wäre ich nicht überrascht, wenn es sich tatsächlich in einer der erzählten Weisen zugetragen hat. Halte das durchaus für plausibel.
AntwortenLöschenWünsche auch meinerseits ein gutes neues Jahr. Weihnachten ist ja schon vorbei daher wären Weihnachtswünsche wahrscheinlich jetzt nicht mehr ganz passend ;-)