Das Blog war jetzt leider einige Tage verwaist. Grund: Ein Freund - er ist Archäologe - hat mich spontan eingeladen, mir eine kleine Grabung anzusehen, die er beaufsichtig. Er war dann auch der einzige professionelle Archäologe dort, alle anderen fünf Ausgräber waren interessierte Laien bzw. freiwillige Helfer. Weils nicht weit von meinem derzeitigen Aufenthaltsort entfernt ist, bin ich dann aus Interesse jeden Tag dorthin, um mir den Fortschritt anzusehen. Nach dem dritten Tag habe ich mich dazu entschlossen, mitzuhelfen. Nicht direkt beim Graben, das war mir zu anstrengend 😁, sondern beim durchsieben des Aushubmaterials.
Ein Bauer hat dort auf seiner Wiese schon vor 16 Jahren ein Loch entdeckt, dass sich bei näherer Betrachtung als waschechter Tunnel entpuppte - ca 170 cm hoch und 80 cm breit. Dieser recht grob in das Gestein getriebene Tunnel war völlig mit Sedimenten gefüllt und wird nun professionell freigelegt. Zwischenzeitlich ist man zwar schon 9 Meter vorgedrungen, aber ein Ende ist nicht in Sicht. Geophysikalische Untersuchungen, die vor zwei Jahren stattgefunden haben, legen ohnehin den Verdacht nahe, dass der Tunnel 35 Meter oder noch viel länger ist (die schwierigen geologischen Verhältnisse vor Ort machen genauere Aussagen unmöglich). Für alle archäologischen Maßnahmen blecht übrigens der Bauer - und zwar völlig freiwillig. Einfach weil er aus einem historischen Interesse heraus genau wissen möchte, was es mit dem Tunnel auf sich hat.
Die zentralen Fragen bei dieser archäologischen Untersuchung sind: Wann? Wer? Wozu?
Doch nichts Genaues weiß man nicht - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt (und weitergegraben wird voraussichtlich erst wieder im nächsten Jahr). Die ältesten datierbaren Objekte, die bisher im Aushub gefunden wurden, sind wahrscheinlich aus dem Spätmittelalter. Was nicht viel heißen muss, denn dergleichen kann leicht aus der Phase einer Sekundärnutzung des Tunnels stammen. Die von der Zeitstellung her neuesten Objekte, die bereits vom Bauern selbst vor Jahren enteckt wurden, als er die ersten zwei Meter des Tunnels in Eigenregie freigelegt hat, sind u.a ein EK2-Wehrmachtsorden, ein NS-Parteiabzeichen (sogar in Gold) und ein Ehrenzeichen für deutsche Volkspflege. Höchstwahrscheinlich wurde das alles - wie der Bauer meinte - von seinem Großonkel am Kriegsende "entsorgt". Was sich plausibel anhört, weil sehr ähnliche Vorgänge sind auch in meiner Verwandtschaft vage aus dieser Zeit überliefert worden... 🙄
An dieser Stelle könnte ich eigentlich mit meinem Kurzbericht aufhören. Doch dann würde ich dem Leser ja den mit großem Abstand unterhaltsamsen Teil vorenthalten! Am letzten Tag der Grabung (ich habe fünf Tage lang mitgemacht) erzählte uns der Bauer, dass er am Vortag an einer anderen archäologischen Grabung vorbeigefahren ist, die nur wenige Kilometer entfernt liegt. Mein Freund, der Archäologe, und ich haben daraufhin spontan beschlossen, uns auf dem Nachhauseweg das kurz anzuschauen.
Es handelte sich um eine klassische Notgrabung - wie sie zigfach jedes Jahr durchgeführt wird: Ein größerer Bau soll errichtet werden, aber weil man beim Ausheben der Baugrube etwas archäologisch Interessantes gefunden hatte oder weil es sich sowieso schon längere Zeit um eine archäologische Verdachtsfläche handelt, muss der Bauherr eine archäologische Untersuchung durchführen lassen. Die zuständigen Archäologen waren (scheinbar) aber schon alle weg, als wir um ca 17:00 Uhr eingetrudelt sind. So gingen wir dann in Eigenregie um die ca 30 x 20 Meter große Grube herum und haben uns von Ihrem Rand aus die ganze Sache angesehen. Viel war aber nicht zu erkennen, da diverse Planen die Sicht versperrten. Allerdings hatte ich zufällig mein kleines Fernglas dabei, mit dem ich (vergeblich) versucht habe, eventuell doch etwas in der Mitte der Grube zu erkennen. Und plötzlich brach die Hölle über uns herein (ich gebe den folgenden Dialog ungefähr aus meinem Gedächtnis wieder - absolut kein Anspruch auf Exaktheit!).
"He! Was wird das?" wurden wir plötzlich angeplärrt. Von hinten hatte sich schnaufend ein ca 40jähriger Fettwanst angeschlichen. In der rechten Hand war er mit einem Regenschirm bewaffnet. Hinter ihm im Schlepptau eine weibliche Brillenschlange, so um die 20. Die Brille sah wirklich furchtbar aus, so als ob sie die einer Zeitreisenden aus den frühen 1980ern gestohlen hat. Und was er zu viel an Gewicht hatte, hatte sie zu wenig.
"Wos wuin'S?", habe ich barsch zurückgefragt und dabei meinen Ärger bereits kaum noch unterdrücken können. Denn wie immer, wenn mir einer so laut daherkommt, bin ich innerhalb von Sekundenbruchteilen auf 100!
"Sie sind hier nicht befugt." sagte der Typ wirr, nachdem er sich in einigen Metern Sicherheitsabstand aufgepflanzt hatte.
"Wozu nicht befugt?", wollte ich wissen.
"Das Betreten. Und was wird das?" Er deutete auf mein Fernglas.
"Das geht Sie einen Schmarrn an." sagte ich, weil jetzt war ich wirklich kurz davor, zu explodieren. Was für ein impertinenter Vollpfosten, habe ich mir gedacht.
"Sind Sie der Bauherr oder von der Grabungsfirma." fragte mein guter Freund schnell dazwischen.
Keine klare Antwort, stattdessen: "Wir beaufsichtigen hier den Grabungsplatz, weil ...." - und dann kam das übliche "Raubgräber"-Lamento.
"Schauen wir wie sogenannte Raubgräber aus" frage ich den Heini. "Haben wir Metallsonden bei uns?"
Keine Antwort. Stattdessen meldet sich die Brillenschlange zu Wort und erzählt uns, dass das Raubgraben eine Straftat ist. Und wir könnten ja theoretisch auch nur zum Kundschaften gekommen sein.
Ist auch die komplett übergeschnappt, dachte ich mir. Am hellichten Tag? Angereist mit zwei Autos, deren Nummerntafeln ja für jeden leicht erkennbar sind? Und unter den Augen von zig Passanten, die im Bereich vor der Grube auf dem Gehweg und auf der Straße unterwegs waren? Welcher sogenannte "Raubgräber", der einen archäologischen Grabungsplatz abräumen will, würde sich so selten dämlich anstellen?
Doch dann kam der Hammer, mit dem die beiden Gestalten uns wohl argumentativ KO schlagen wollten. Der Dicke sagte: "In Ihrem Auto (dem meines Freundes) ist im Kofferraum eine Kiste mit Werkzeug. Ich habe auch eine Schaufel gesehen."
Jetzt grinste der Kasperl schon fast, vermutlich hat er sich für Sherlock Holmes gehalten.
"Das brauche ich beruflich." antwortete mein Freund.
"Welchen Beruf? Gärtner?" fragte der Typ höhnisch (ich hätte ihm spätestens jetzt echt gerne eine eingeschenkt).
"Nein, Archäologe. Wir kommen selber gerade von einer Grabung", war die Antwort.
Nun waren die beiden Gestalten erst einmal schmähstad.
"Dann müssten Sie aber wissen, dass sie hier nicht einfach so herumspazieren dürfen", meinte der Dicke nach einer etwas längeren Schrecksekunde.
"Das ist aber doch öffentlicher Grund, oder?" meinte mein Freund, der die lokalen Verhältnisse - im Gegensatz zu mir - kannte.
"Schon, aber ....", der Dicke wusste nicht mehr weiter.
Aber ich: "Dann rufen Sie den Bürgermeister an und melden Sie ihm, dass sich zwei Steuerzahler für eine steuergeldfinanzierte archäologische Grabung interessieren. Vielleicht schickt er ja gleich das EKO Cobra zu Ihrer Unterstüztung."
Mit "Sie dürfen aber nicht hinunterklettern", wurde dann der rhetorische Rückzug eingeleitet. Und eine Minute später waren die beiden Hilfsheriffs wieder weg. Auch wir sind dann bald gegangen, weil - wie schon eingangs erwähnt - war ohnehin nicht viel zu sehen.
Ich weiß nicht, wer diese Gestalten waren. Für mich hat aber zumindest die junge Frau wie eine typische Studentin ausgesehen. Gut möglich, dass der Kerl ebenso Archäologe war. Es könnten freilich auch Freiwillige aus dem Ort gewesen sein, die das Ding dort bewacht haben und denen man irgendwelche wüsten "Raubgräber"-Schauergeschichten erzählt und damit aufgehusst hat.
So oder so, mich hat das Erlebnis noch Tage später geärgert. Immer im Nachhinein, wenn es längst zu spät ist, fallen mir nämlich diverse rhetorische Brillantfeuerwerke ein, die ich hätte abbrennen können. Aber auch so haben wir uns, glaube ich, recht passabel geschlagen.
Kann man bei diesem Tunnel von einem Erdstall sprechen?
AntwortenLöschenTim
Kann man. Ich halte den Begriff Erdstall aber für mittlerweile schwer überstrapaziert. Mir ist die Definition dafür zu wischiwaschi. Quasi jedes menschgemachte Loch gilt mittlerweile als ein Erdstall.
LöschenHier stimme ich dir 100 % zu. "Erdstall" wird vom alternativarchäologischen und esoterischen Milieu sehr stark vereinnahmt.
LöschenIch weiß, du hältst viel von Heinrich Kusch, aber seine Theorien leisten teilweise auch einen Beitrag dazu.
Tim
Ich stimme nicht jedem Aspekt von Heinrich Kuschs Theorien zu. Mir ist bei einigem die Informationslage zu dünn. Das habe ich meinen Rezensionen seiner Bücher auch klar unterstrichen. Vieles halte ich aber andererseits für gut belegt und daher glaubwürdig.
LöschenIch habe einmal den Fall gehabt, dass uns bei einer Grabung ein Betrunkener in der Nacht in einen Suchschnitt hineingefallen ist und dort dann neben einer Brandbestattung seinen Rausch ausgeschlafen hat 😄.
AntwortenLöschenSo etwas ist nach meiner beruflichen Erfahrung bei Grabungen in dicht bewohntem Gebiet ein wesentlich größeres Risiko als Metallsondengeher.