Sonntag, 24. Dezember 2023

🔥 Protest(un)kultur in der Antike: Skurrile Beispiele für die Respektlosigkeit der Römer gegenüber Staatsdienern und Kaisern


Man mag aus heutiger Sicht den Bürgern des Alten Roms ja mancherlei vorwerfen können, aber sicherlich nicht jene Art blinde Staats- und Obrigkeitsgläubigkeit wie sie etwa in unserer Gegenwart wieder als sozial erstrebenswerte Tugend gepredigt wird. Freilich, selbst im republikanischen Rom gab es schon ähnliche 'Gummiparagraphen' wie neuerdings wieder in Deutschland, die es unter besondere Strafe stellten, Amtsträger in ihrer angeblichen Würde (maiestas) zu verletzen - sozusagen frei nach dem Motto: Die Würde des Amtes ist unantastbar. Was allerdings ein eher schlechter Scherz und Heuchelei zum Quadrat war/ist, im Angesicht der Charaktereigenschaften des typischen Berufspolitikers. Entsprechend scheint zumindest beim römischen Volk (populus) die Ehrfurcht vor seinen politischen Führern zu keinem Zeitpunkt besonders stark ausgeprägt gewesen zu sein. Weder in der Republik, noch später in der Kaiserzeit.

Zu den frühesten einschlägigen Beispielen, welche diese ziemlich kritische Distanz zur Obrigkeit veranschaulichen und auf humorvolle Weise bezeugen, zählt eine vom Grammatiker Macrobius überlieferte Anekdote (Saturnalia 2,6,1). In ihrem Mittelpunkt steht der Politiker Publius Vatinius. Bei diesem Mann handelte es sich um ein typisches Kind der späten Römischen Republik; will heißen, er war machtgierig, brutal und korrupt. Cicero veröffentlichte zu seinen 'Ehren' sogar eine Rede, in der er genüsslich die Missetaten und schlechten Charaktereigenschaften des Vatinius aufzählte. Allerdings hinderte Cicero das nicht daran, den Geschmähten wenige Jahre später in einem Korruptionsprozess als Anwalt zu verteidigen... Bevor Vatinius sich im Jahr 47 v. Chr. mit Hilfe des Diktators Caesar in den kurulischen Stuhl des Konsuls hatte hieven lassen, durchlief er die obligatorische Ämterlaufbahn (cursus honorum). Die vorletzte Station dabei stellte die Praetur dar, die er 54 v. Chr. antrat. Als Praetor richtete Vatinius Gladiatorenspiele aus, um sich auf diese Weise bereits für die in Konsulatswahlen in einigen Jahren dem Volk zu empfehlen. Beim verwöhnten Publikum scheinen diese Spiele allerdings weniger gut angekommen zu sein, denn trotz seines hohen Amtes wurde Vatinius noch vor Ort mit unzähligen Steinen beworfen. Umgehend beschwerte er sich bei den Aedilen, die nun ausdrücklich anordneten, dass zukünftig nur (!) noch mit Obst und Gemüse geworfen werden dürfe. Ein einfallsreicher Mensch fragte daraufhin beim angesehen Rechtsgelehrten Aulus Cascellius nach, ob denn nicht auch Pinienzapfen zum Obst zählen. Die wahren Hintergründe der Frage kennend, antwortete dieser: "Sofern du sie auf Vatinius werfen möchtest, zählen sie zum Obst." 😁

An diesem nur rudimentär ausgeprägten Respekt ausgerechnet gegenüber sogenannten Respektspersonen änderte sich allem Anschein nach auch in der Kaiserzeit wenig Grundlegendes. Und das obwohl der "maiestas"-'Paragraph' hinsichtlich der Caesaren eigentlich wesentlich ernster genommen wurde als noch bei republikanischen Magistraten. Doch es half nichts; war das Volk erst einmal empört genug, dann zeigte es das dem Monarchen auch, sobald der sich in der Öffentlichkeit blicken ließ. Dies konnte z.B. im Rahmen großer Veranstaltungen sein - wie Gladiatorenspiele, Wagenrennen oder Theateraufführungen. Dort schallten dem obersten Römer dann Protestchöre entgegen - wie im Fall des Kaisers Tiberius, der im Jahr 32 damit konfrontiert wurde.

Im gleichen Jahr kam es durch eine drückende Teuerung beinahe zu einem Aufruhr, und in großer Zahl und mehrere Tage lang wurden im Theater stürmische Forderungen erhoben mit einer größeren Frechheit, als man sie dem Kaiser gegenüber gewohnt war. Darüber aufgebracht beschuldigte er die Behörden und den Senat, dass sie nicht mit der Autorität ihres Amtes gegen das Volk eingeschritten seien, und wies ergänzend darauf hin, aus welchen Provinzen er Getreide, und zwar in einer weit größeren Menge als Augustus, habe herbeischaffen lassen. So wurde, um die Masse des Volkes zurechtzuweisen, ein Senatsbeschluss von althergebrachter Strenge gefasst, und ein ebenso scharfes Edikt erließen die Konsuln. Sein eigenes Schweigen aber wurde nicht als Zeichen der Leutseligkeit, wie er geglaubt hatte, sondern des Hochmuts ausgelegt.
Tacitus | Annalen VI 13 | Übers.: Erich Heller | Patmos Verlag, 2005

Anders als moderne Zeitgenossen, welche sich die von Ideologen/Parteipolitikern verursachte Lebensmittelverteuerung üblicherweise devot aufs Auge drücken lassen, waren die Römer in dieser Frage offensichtlich weniger langmütig (es existierte dazumal freilich auch noch nicht die Möglichkeit, die Bevölkerung mit massenmedial kolportierten Narrativen einzulullen, welche beispielsweise die alleinige Schuld einem zum Popanz aufgeblasenen Gegner im Ausland zuschieben). 
Man beachte im obigen Text die Formulierung "mit einer größeren Frechheit, als man sie dem Kaiser gegenüber gewohnt war". Das zeugt davon, dass kleinere "Frechheiten" gegenüber dem Kaiser durchaus nicht unüblich gewesen sind und auch geduldet wurden.

Die Bevölkerung Roms konnte freilich bei ihren Protesten sogar noch einen Gang höher schalten, wenn sie erst einmal so richtig in Fahrt gekommen war. Beispielsweise berichten die beiden Geschichtsschreiber Tacitus und Sueton unabhängig voneinander über einen rabiaten Bürgerprotest im Jahr 51, der den damals regierenden Kaiser Claudius arg in Bedrängnis brachte. Der Grund war ähnlich wie jener bei Tiberius.

[...]; auch Getreidemangel und die daraus entstandene Hungersnot wurden als Vorzeichen angesehen. Und nicht nur im geheimen klagte man darüber; als vielmehr Claudius Recht sprach, umringten sie ihn mit erregtem Geschrei, trieben ihn in die äußerste Ecke des Forums und setzten ihm mit Gewalt zu, bis er mit einer Schar Soldaten die erbitterte Menge durchbrach.
Tacitus | Annalen XII 43,1 | Übers.: Erich Heller | Patmos Verlag, 2005

Als aber wegen anhaltender Dürreperioden das Getreide einmal zu knapp geworden war, wurde er (Claudius) mitten auf dem Forum von der Menge festgehalten, mit Schmähungen überhäuft und zugleich mit Brotbrocken so heftig beworfen, dass er sich nur mit Mühe und durch eine Hintertür in seinen Palast auf dem Palatin retten konnte.
Sueton | Claudius 18,2 | Übers.: Ursula Blank-Sangmeister | Reclam Verlag, 2005

Eigentlich handelte es sich hier nicht mehr um einen normalen Protest, sondern eher schon um eine Art Rebellion (seditio). Davon abgesehen ist diese Begebenheit gleich doppelt kurios: Erstens weil der allmächtige Kaiser, ähnlich der Figur in einer Komödie des Dichters Plautus, nur durch eine Hintertür dem Volkszorn entkommen kann. Und zweitens weil dieses Volk, das angeblich unter Getreidemangel leidet, ausgerechnet mit Brot nach dem Kaiser wirft. So schlimm wird der Hunger deshalb kaum gewesen sein! 😀
Im Übrigen konnte sich Claudius glücklich schätzen, dass es ihm nicht ähnlich erging wie einem seiner Nachfolger, Antoninus Pius. Auf den prasselte nämlich bei einem öffentlichen Auftritt  gleich ein veritabler Steinhagel nieder ... (Pseudo-Aurelius-Victor | Epitome de Caesaribus 15,9). Womit sich der Kreis sozusagen schließt und wir wieder bei genau jenen eingangs geschilderten Bräuchen angelangt wären, die schon zur Zeit der Republik in Rom herrschten.

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