Donnerstag, 20. Dezember 2012

Pontius Pilatus war nicht zu beneiden

Bei den Orientalen wird Religion seit jeher ganz groß geschrieben; so auch im antiken Judäa. Im 1. nachchristlichen Jahrhundert nahm beispielsweise der berühmte herodianische Tempel (70. n. Chr. abgebrannt) mit seinen 13-14 ha ein Sechstel (!) des gesamten Stadtgebietes von Jerusalem ein. Anhand dieses Beispiels kann man erahnen wie sehr sich das Leben und der Alltag der meisten Juden in einer für uns heute schwer nachvollziehbaren Weise am Glauben ausrichtete. So gesehen war, als Rom das Ruder in die Hand nahm, Ärger vorprogrammiert. Denn wenn Rom etwas nicht auf Dauer duldete, dann waren es fremdländische Religionen und Kulte, die nicht nur rein geistiger Natur waren, sondern durch ihren Hang zur totalen Kontrolle des Individuums auch eine stark politische Komponente besaßen (es ist eine Mär, dass Rom von religiöser Toleranz überquoll).

Als Pontius Pilatus im Jahr 26 n. Chr. Statthalter von Judäa wurde, hatte er offensichtlich vor, der römischen Werteordnung wieder etwas mehr Geltung zu verschaffen. Dabei agierte er, entgegen den Vorwürfen einiger moderner Historiker, keinesfalls wie ein Elefant im Porzellanladen. Er unterschätzte allerdings den religiösen Fanatismus großer Teile des Volkes sowie den Einfluss des theokratischen Establishments.
Keinesfalls beabsichtigte Pilatus seine Vorstellungen in jedem Fall mit Brachialgewalt durchzudrücken. Zwar empfand er es wohl als Zumutung, dass beispielsweise römische Soldaten die Kaiserbildnisse auf ihren Standarten verbergen sollten, nur um die "religiösen Gefühle" der Juden nicht zu verletzen. Er wollte wegen dieser Angelegenheit jedoch auch nicht auf einen totalen Konfrontationskurs gehen. So ließ er seine Truppen zwar mit unverhüllten Standarten in Jerusalem einrücken, befahl aber gleichzeitig, dies mitten in der Nacht zu tun. Als dann am nächsten Tag die römischen Fahnen quasi lustig auf der Festung Antonia flatterten, reichte dies trotzdem aus, um Menschenaufläufe in Jerusalem hervorzurufen. Abordnungen reisten zur Residenz des Statthalters in Caesarea Maritima und man bat ihn eindringlich, diese unerträgliche Gotteslästerung zu unterlassen. Pilatus diskutierte zwei Tage mit ihnen; ohne Ergebnis. Schließlich befahl er entnervt, sie mögen die Stadt sofort verlassen und sich wieder nach Jerusalem aufmachen. Doch die Juden veranstalteten stattdessen eine Art Sitzstreik, den sie trotz wüster Drohungen aufrechterhielten. Schließlich gab der sicher nicht unpragmatische Pilatus nach. Die Frage der Standarten und Kaiserbildnisse war ihm offensichtlich kein Blutbad wert. Außerdem hätte man es ihm in Rom kaum gedankt, wenn gleich zu Beginn seiner Amtszeit Unruhen ausgebrochen wären.
Prutah des Pontius Pilatus,
mit lituus und simpulum (Schöpfkelle)
(Foto: Jack1956 / Wikimedia.org)

Pilatus wäre aber wohl nicht Pilatus gewesen, wenn er nicht weiter versucht hätte den Juden klar zu machen, wo seiner Meinung nach der Hammer hängt. So ließ er beispielsweise Münzen prägen, auf denen ein lituus und ein simpulum abgebildet waren, zwei typische Gegenstände die bei heidnischen Kulten Verwendung fanden (Anm.: Ausgerechnet vom lituus, leitet sich der völlig unheidnische Bischofsstab ab).
Der Statthalter dürfte hierbei allerdings recht wenig riskiert haben. Schließlich fanden die Juden - trotz Bilderverbotes, wegen dem sie im Falle der Standarten noch vor Zorn rot anliefen - auch nichts dabei, tagtäglich Münzen mit Abbildungen des römischen Kaisers zu verwenden. Im Gegenteil, man bezahlte sogar die jährliche Tempelsteuer mit dem wegen seines hohen Silbergehalts beliebten Tyrus-Schekel bzw. Stater (entsprach einer Tetradrachme), auf dem der heidnische Gott Melkart (Herkules) abgebildet war. Und als ob alleine das nicht schon höchst erstaunliche wäre, prägten die Juden diese Münze in Jerusalem sogar nach(!), als der Stadt Tyrus von Rom das Münzrecht entzogen worden war.
Nebenbei bemerkt: Da die Tempelsteuer, wie bereits erwähnt, in Form des Tyrus-Schekels bezahlt werden musste, war es oft nötig, die eigenen Münzen zuvor bei Geldwechslern in diese Währung zu tauschen. Und es waren genau jene Geldwechsler, denen Jesus in einer bekannten Episode aus der Bibel den Marsch geblasen haben soll, indem er ihre Stände umwarf.  Nun aber zurück zu Pilatus.

Richtig ungemütlich wurde es für den römischen Statthalter, als er sich um die unzureichende Wasserversorgung Jerusalems kümmern wollte. Da die angestrebten Verbesserungen in erster Linie den Juden zugute kommen würden, war es für ihn naheliegend, dass die Juden auch für die Bezahlung sorgen. So zog er den üppigen Tempelschatz zur Finanzierung heran; höchstwahrscheinlich mit Zustimmung gewichtiger religiöser Autoritäten - wie etwa den Sadduzäern. Die Pharisäer, erbitterte Gegner der Sadduzäer, waren damit jedoch nicht einverstanden und peitschten das Volk auf. Es kam daraufhin zu lautstarken Kundgebungen. Pilatus griff diesmal, nachdem Beschwichtigungsversuche keinen Erfolg brachten, mit harter Hand durch und ließ die Menge mit Knüppeln auseinander treiben; es soll dabei auch Tote gegeben haben. Vorerst hatte er damit jedenfalls für Ruhe gesorgt. Doch es war nicht das letzte Ärgernis, mit dem er sich herumschlagen musste.

Weilte Pilatus in Jerusalem, wohnte er im alten Königspalast den Herodes der Große 23. v. Chr. errichten hat lassen. Dort stellte er nun, einem alten und beliebten Brauch folgend, zu Ehren des Kaisers Weiheschilde auf. Offensichtlich achtete er hierbei darauf, dass diese nicht dem jüdischen Bilderverbot widersprachen.
Dass sich vor Ort daraufhin Unmut unter vielen Juden breit machte ist verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die jüdische Gemeinde von Alexandria solche Schilde sogar in ihrer Synagoge aufgestellt hatte!
Nachdem Pilatus es verständlicherweise ablehnte, die Schilde wieder zu entfernen, begannen einige jüdische Adelige mit guten Kontakten nach Rom, eben dort Pilatus an höchster Stelle zu verunglimpfen - wohl in erster Linie deshalb, um die Angelegenheit dazu zu nutzen, die eigene Machtposition auszubauen. Tatsächlich wurde nun Pilatus vom Kaiser dazu aufgefordert, die Schilde wieder verschwinden zu lassen und sie stattdessen in einem römischen Tempel in Caesarea Maritima aufzustellen (obwohl in Judäa gelegen, waren die Juden in dieser Stadt nur eine Minderheit).

Als im Jahr 36 n. Chr. Samaritaner - ein den Juden nahe stehendes, aber von diesen verachtetes Volk - sich auf Geheiß eines "Propheten" beim heiligen Berg Garizim bewaffnet zusammenrottete, handelte Pilatus sofort. Er ließ die Menge von seinen Soldaten angreifen und die Anführer hinrichten.
Dieses Ereignis sollte das Ende seiner politischen Karriere einläuten. Die Sameritaner beschwerten sich bitter beim syrischen Statthalter Lucius Vitelius, dem direkten Vorgesetzten des Pilatus. So schickte dieser den Präfekten von Judäa nach Rom, damit er sich dort persönlich vor dem Kaiser verantwortet. Als Pilatus in der Ewigen Stadt ankam, war Kaiser Tiberius allerdings gerade gestorben.
Ob man ihn wegen der Sache mit den Samaritanern trotzdem anklagte, wissen wir nicht. Sein Vorgehen in diesem Fall war jedenfalls kein ungewöhnliches. Einer seiner Nachfolger, Marcus Antonius Felix, ließ beispielsweise 4000 Anhänger eines ägyptischen Juden niedermachen, die sich am Ölberg versammelte. Und auch die Sameritaner wurden, diesmal unter Vespasian und Titus, bei ihrem heiligen Berg ein zweites Mal Opfer eines Blutbades.

Pontius Pilatus war, unterm Strich betrachtet, sicher kein schlechter Statthalter. Anderenfalls hätte er ein Amt, das viele nur zwei bis drei Jahre bekleiden, nicht 10 Jahre innegehabt; noch dazu wo er einer Provinz vorstand, die, wie ich hier hoffentlich veranschaulichen konnte, einem Pulverfass gleichkam.

ANMERKUNG: Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung.

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Quelle / weiterführende Literatur:

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5 Kommentare:

  1. Danke für den interessanten historischen Einblick. Es ist eben nie "der böse Pilatus und die guten Anderen", sondern die Geschichte ist mehrschichtig - der Mann hat seinen Job getan.
    Wie das mit Jesus war - und ob es überhaupt je war - darüber scheiden sich schließlich heute noch die Geister.

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    1. Mit Jesus verhält es sich höchstwahrscheinlich ähnlich wie mit König Artus: Ein wahrer Kern, um den man mehrere, ähnliche Geschichten entwickelt hat (Evangelien). Wobei die Bibel zugegebenermaßen weitaus mehr Details und harte Fakten enthält als die Artussage, die ja lange Zeit nur mündlich überliefert wurde.

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  2. Ein sehr spannender Blog, auf den ich heute durch Zufall gestoßen bin!
    Sie schreiben: "Pontius Pilatus war nicht zu beneiden"; noch weniger zu beneiden war aber der Judas, der arme Kerl! Der konnte gar nicht anders, er mußte ja die Vorsehung erfüllen, denn es war ja lange, lange vor seiner Zeit alles so geplant! Judas mußte sich an die Regie halten.....

    Besonders interessant ist es, was Sie zur römischen Bekleidung schreiben und mit so guten Fotos versehen. Da werde ich öfter einmal hineinschauen in ihren Blog! :-)

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    1. Es freut mich immer sehr, wenn mein Blog Anklang findet, deshalb besten Dank für das Lob :)

      Judas Ischariot ist in der Tat eine tragische Figur. Möglicherweise werde ich ihm hier auch noch einen Blogbeitrag widmen...

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  3. Ach, hab' ich vorhin von römischer Kleidung geschrieben? Ich meinte natürlich "frühmittelalterliche Bekleidung"!

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