Ausgerechnet die Cherusker, also jener legendäre Stamm, der sozusagen den Widerstand gegen die Römer anführte (siehe die Varusschlacht), sei nicht germanisch gewesen, lautet eine Theorie. Stattdessen sollen die Cherusker sprachlich und kulturell dem sogenannten Nordwestblock angehört haben, der große Teile Belgiens, der Niederlande sowie Nordwestdeutschlands umfasste. Dort, zwischen keltischen und germanischen Siedlungsgebieten, soll möglicherweise bis zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. weder ein germanisches noch ein keltisches Idom gesprochen worden sein. Vielmehr sprach man, so heißt es, eine indoeuropäische Sprache mit germanischen und keltischen Einflüssen, die aber auch eine gewisse Verwandtschaft mit jener der Veneter (Adria) und Illyrer (Balkan) aufwies. Dies leitete man von überlieferten Orts-, Personen-, Volks-, und Gewässernamen ab (zugegebenermaßen kein sehr reichhaltiges Angebot, aus dem die Sprachwissenschaft hier schöpfen konnte). Auch Bestattungssitten und sonstigen religiösen Gepflogenheiten unterschieden sich teilweise von jenen der Kelten und Germanen.
Jetzt stellt sich die Frage, ist den Römern diese Andersartigkeit nicht aufgefallen? Und wie konnte ein nicht-germanisches Volk den germanischen Widerstand gegen Rom anführen? Huldigt das (meiner Ansicht nach) hässliche Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald (Bild) womöglich einem Pseudogermanen?
Über 2000 Jahre später sind diese Fragen schwer zu beantworten. Allerdings gehen einige Fachleute davon aus, dass die Cherusker, aufgrund der lange andauernden Kämpfe gegen Rom und diverse Nachbarstämme, um Christi Geburt dermaßen geschwächt waren, dass in ihrem teils entvölkerten Land vermehrt Germanen aus dem Osten Aufnahme fanden. Diese stellten irgendwann einmal auch große Teile der Stammesführung. Wer nun beispielsweise vom "alten Volk" zur Elite gehören wollte, wandelte sich zum Germanen. Es kam sozusagen zu einer schrittweisen Germanisierung. Ob diese zur Zeit der Varusschlacht (9. n. Chr.) schon abgeschlossen war ist jedoch fraglich. Wenn es den Römern damals auffiel, dass nicht alle Cherusker die gleiche Sprache verwendeten, dann hielt man diesen Umstand wohl für nicht wichtig genug, um ihn in der Geschichtsschreibung zu erwähnen. Die Gesprächspartner Roms dürften bei Verhandlungen - wenn diese ganze Theorie tatsächlich stimmt - wahrscheinlich der stark germanisierten Elite angehört haben, von der man dann einfach auf das restliche Volk schloss. Zu differenzieren war ja nicht unbedingt eine Stärke der Römer, wie man an der eher groben Einteilung zwischen Germanen und Kelten sehen kann, die Caesar einst vornahm.
Fazit: Die ganze Sache ist, wenn man sie einer näheren Betrachtung unterzieht, recht kompliziert und mit vielen Fragezeichen behaftet. Aus diesem Grund kann man die zentrale Frage, was die Cherusker nun tatsächlich waren, nicht eindeutig beantworten. Zumindest nicht für die Zeit um 9. n. Chr.
Arminius mag ein im Nachhinein germanisierter "Nordwestblockler" gewesen sein - oder aber er entstammte einer jener germanischen Zuwanderergruppen, die im Laufe der Zeit die Führung der Cherusker übernahmen.
Vielleicht war es aber auch ganz anders und die Theorie vom Nordwestblock ist, wie manche Wissenschaftler behaupten, ohnehin größtenteils spekulativer Unsinn.
Weiterführende Literatur:
Weitere interessante Themen auf diesem Blog:
Fazit: Die ganze Sache ist, wenn man sie einer näheren Betrachtung unterzieht, recht kompliziert und mit vielen Fragezeichen behaftet. Aus diesem Grund kann man die zentrale Frage, was die Cherusker nun tatsächlich waren, nicht eindeutig beantworten. Zumindest nicht für die Zeit um 9. n. Chr.
Arminius mag ein im Nachhinein germanisierter "Nordwestblockler" gewesen sein - oder aber er entstammte einer jener germanischen Zuwanderergruppen, die im Laufe der Zeit die Führung der Cherusker übernahmen.
Vielleicht war es aber auch ganz anders und die Theorie vom Nordwestblock ist, wie manche Wissenschaftler behaupten, ohnehin größtenteils spekulativer Unsinn.
—————–
Weiterführende Literatur:
- Alfred Hunold | Der Nordwestblock nach Hans Kuhn: Auf den Spuren einer der ältesten europäischen Sprachschichten | Books on Demand | 2011 | Infos bei Amazon
- Lutz Walther | Varus, Varus!: Antike Texte zur Schlacht im Teutoburger Wald | Reclam | 2008 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
Weitere interessante Themen auf diesem Blog:
- Der (tatsächliche) Stammbaum des Arminius
- Wie groß und wie blond waren die Germanen?
- Wer hat den Hitlergruß erfunden?
- Buch: Das Heer des Arminius
- Sondengehen und Bürgerforschung, Ärgernis oder Chance? - Ein Interview mit dem Archäologen Raimund Karl (Teil 1)
- Das potemkinsche Dorf Campus Galli - Ein kritischer Jahresrückblick
Ach ja, die berüchtigten Nordwestblockler...
AntwortenLöschenIch habe mich nie intensiv mit dieser These befasst und bin kein Sprachwissenschaftler, ich kann deshalb nicht alle Argumente bewerten. Dort wo ich es kann (Grabsitten), fällt die These allerdings in sich zusammen: in einer einzigen keltischen Siedlung (Basel-Gasfabrik, Besiedlungsdauer weniger als hundert Jahre, mit materiell klar einheitlicher Kultur) sind mir Körpergräber, Urnengräber, Kremationen ohne Urnen sowie diverse Einzelknochen oder Skelette mit fehlenden Partien (in Abfallgruben!) begegnet (abgesehen davon, dass zuwenig Gräber vorhanden sind, es darf also wild über Flussbestattungen ect. spekuliert werden). Und das ist innerhalb des LaTène-Kulturraums nicht untypisch, manchmal gibt es regionale Vorlieben, aber oft sind verschiedenste Grabformen anzutreffen. Da von allgemeingültigen "keltischen Grabsitten" zu sprechen, ist alles andere als wissenschaftlich, und von diesem Wirrwarr dann noch andere "Völker" abgrenzen zu wollen, ist schlicht Quatsch!
Zudem ist die Einteilung in "Kelten" und "Germanen" eine Fremdzuschreibung, die auf einem Mix an sprachlichen, materiellen, regionalen und kulturellen Argumenten beruht, die man je nach Laune gewichten kann. Mit großer Wahrscheinlichkeit war für die Menschen damals die Stammeszugehörigkeit relevant, der Rest richtete sich nach der jeweiligen Situation und nach gemeinsamen Interessen. Ob die Cherusker Germanen waren oder nicht, dürfte für ihre Verbündeten viel weniger entscheidend gewesen sein als der strategische Wert eines momentanen Bündnisses. Und für die Römer waren das grundsätzlich alles nordische Barbaren, da war vor allem wichtig, ob sie sich freiwillig unterwarfen oder man nachhelfen musste ;)
Ich sehe das sehr ähnlich.
LöschenHinzu kommt, dass innerhalb des sogenannten Nordwestblocks auch teils gravierende Unterschiede punkto Besiedlung anzutreffen sind. Einerseits typisch germanische Kleindsiedlungen, andererseits größere Oppida keltischer Prägung. Auch die Verehrung dieser drei Matronen, die immer wieder angeführt wird, war wohl nicht im ganzen Nordwestblock üblich.
Wenn es hier eine verbindende Klammer zwischen den Stämmen des Nordwestblocks gab, dann war es wohl am ehesten die Sprache. Aber gerade bei der scheint mir die Beweislage eher dünn zu sein, soweit ich das beurteilen kann.
Na ja, aber zumindest eine Theorie mehr, über die man sich so seine Gedanken machen kann :)
Na da gratulierte ich doch recht herzlich! Mach weiter so!
AntwortenLöschenLG,
Erwin
Autsch, das war für den Beitrag unter diesem bestimmt ;)
LöschenLG,
Erwin
Ich habe es mir fast gedacht :)
Löschen