Dienstag, 12. November 2013

Was ist plebejische und was ist patrizische Kunst?


Worin besteht der augenscheinlichste Unterschied zwischen den beiden hier abgebildeten Reliefs? Nun, vor allem sind es zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, um räumliche Tiefe zu erzeugen. Jenes Beispiel, bei dem die einzelnen Figuren übereinander angeordnet wurden - wobei die (scheinbar) weiter entfernten auch ein wenig kleiner dargestellt sind - ist typisch für die sogenannte plebejische Kunst. Sie wirkt auf den Betrachter ein wenig naiv, erlaubt es jedoch, ein umfangreiches Geschehen übersichtlich und für den römischen Durchschnittsbürger leicht verständlich darzustellen. Dass hierbei zwei an sich unvereinbare Blickrichtungen kombiniert werden - nämlich die Vogelperspektive und die Sicht von vorne - wird billigend in Kauf genommen. Ein weiteres Beispiel für diese Form der Darstellung, ist das bekannte Nilmosaik von Palestrina.
Dem gegenüber steht die sogenannte patrizische bzw. klassische Kunst - siehe die zweite Abbildung. Entfernung und Nähe werden hier nur mittels Überlappung der einzelnen Figuren bzw. Objekte erzeugt. Dieser Stil orientiert sich stark an klassisch-griechischen Vorbildern und wird gemeinhin als kultivierter angesehen. Szenen in denen Personen von Rang oder Gottheiten zu sehen sind, wurden eher in diesem Stil dargestellt, während man bei "normalen" Menschen tendenziell auf die einfachere, "plebejische" Variante zurückgriff. Eine wirklich klare Trennung bzw. Regelhaftigkeit, ist - meiner Ansicht nach - aufgrund der vielen Ausnahmen und Mischformen jedoch nicht möglich. Siehe etwa das erste Bild, auf dem es durchaus auch zu Überlappungen im Stile patrizischer Kunst kommt, auch wenn der Gesamteindruck plebejisch ist.

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Weiterführende Literatur:
  • Die römische Kunst. Ein Handbuch; von Wolfgang Wohlmayr; Verlag Philipp von Zabern, 2011
  • Römische Kunst, von Romulus bis Konstantin; von Nancy H. Ramage u. Andrew Ramage; Könemann Verlag 1999

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8 Kommentare:

  1. Ich wäre bei der Verwendung dieser Begriffe sehr vorsichtig. Während meines gesamten Studiums der Klassischen Archäologie kann ich mich an keinen einzigen Wissenschaftler erinnern, der diese Begriffe aktuell ernsthaft verwendet hat. Größere Verbreitung fanden sie nur in der marxistisch geprägten Forschung (vor allem in der DDR). Das soll jetzt nicht deren Inhalt schlecht reden, aber solch ideologisch aufgeladene Begriffe sind aus gutem Grund sehr rasch wieder in der Versenkung der Forschungsgeschichte verschwunden, da sie nur in den seltensten Fällen auch wirklich in dieser ideologisch gewünschten Reinform auftreten...

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    1. Diese Begriffe sind insofern umstritten, weil eine klare Kategorisierung nicht immer ohne weiteres möglich ist (es gab und gibt diesbezüglich heftige Debatten in der Forschung). Dass sie ideologieschwanger wären - Stichwort DDR - ist jedoch nicht völlig zutreffend (auch wenn sich vor etlichen Jahrzehnten eine Handvoll Marxisten damit angefreundet hat). Vielmehr verwendet man diese beiden Begriffe heute vor allem in angelsächsischer Literatur - und zwar, bezogen auf die römische Gesellschaft, weitestgehend wertneutral. In Irmschers Lexikon der Antike - das Buch entstand noch in der DDR - findet sich hingegen nichts davon.
      Da "plebejische" und "patrizische Kunst" im deutschen Sprachraum selten gebraucht werden, wundert es mich nicht, dass du im Zuge deines Studiums nichts davon gehört hast. Ich persönlich finde sie allerdings recht praktisch, da sich damit zwei Hauptunterscheidungsmerkmale römischer Reliefkunst benennen lassen.

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    2. Der Hinweis mit der englischsprachigen Literatur ist wichtig, weil dort sind diese zwei Begriffe mittlerweile nicht mehr sehr eng mit plebejischem und patrizischem Klassendenken verknüpft. Stattdessen meint "plebeian art" wirkllich nur eine quasi schlichte oder naive Interpretation eines Motivs. Nicht mehr und nicht weniger. Vom ideologischen Drumherum, hat man sich da meiner Einschätzung nach schon lange verabschiedet.
      In der italienschsprachiger Fachliteratur kommt der doch sehr spezielle Begriff "arte plebea" noch relativ oft vor. Dort dann aber teilweise wirklich mit einer gesellschaftlichen bzw. sozialen Komponente.
      Wie schon geschrieben wurde, ist der Begriff an sich nicht wirklich ausschlaggebend, sondern vielmehr, dass typische Unterscheidungsmerkmale herausgearbeitet werden.

      Grüße,

      Britta

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    3. Dass die Italiener das noch gerne verwenden, kann ich mir gut vorstellen - der moderne Begriff kommt ja glaube ich, mehr oder weniger, von dort (wie so viele andere Begriffe der Kunstgeschichte).

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  2. Hallo, ich kannte diese Bezeichnungen bisher auch nicht, bin aber auch kein Archäologe oder Kunstgeschichtler sondern nur ordinärer Geschichtsstudent. Noch dazu einer, der gelernter Elektriker ist :-)
    Aber ob man das jetzt plebejisch nennt, oder zum Bsp. Typ A, ist meiner Meinung nach zweitrangig.
    Alleine die Information, dass es hier typische stilistische Unterschiede gibt, die bestimmt den wenigsten Laien ohne weiteres ins Auge stechen würden, finde ich sehr interessant.
    Es ist eben auch etwas anderes, als die Mainstream Sauce der deutschsprachigen Wikipedia. Wahrscheinlich müsste man dort wochenlang diskutieren, ob man überhaupt das Lemma zu einem Begriff erstellen darf, der im deutschen Sprachraum nicht sehr gebräuchlich ist ....

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    1. Wahrscheinlich müsste man dort wochenlang diskutieren, ob man überhaupt das Lemma zu einem Begriff erstellen darf, der im deutschen Sprachraum nicht sehr gebräuchlich ist

      Das ist einer der Gründe, warum ich lieber blogge, als bei Wikipedia sinnlose Leerkilometer herunterzuspulen und Lebenszeit zu vertrödeln. Nicht dass ich grundsätzlich etwas gegen inhaltliche Diskussionen habe, im Gegenteil, aber was letztendlich veröffentlicht wird, kann ich im Rahmen eines Blogs selbst entscheiden.
      Blogs leisten von daher in Summe auch einen wichtigen Beitrag zur Meinungsvielfalt, während Wikipedia, wie du richtig sagtest, eher "Mainstream-Sauce" ist.

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  3. Das erklärt, wieso ich bei Reliefs aus ähnlichen Zeiten teilweise so große "Stilbrüche" zu erkennen glaubte und darum zuerst irrigerweise annahm, "naivere" Reliefs wären älter.
    Über Begriffe kann man natürlich immer streiten...

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    1. Ja, da kann man sich in der Tat ganz schön täuschen. Beide Stile sind noch in der römischen Republik entstanden und beide wurden sowohl von Privatleuten wie auch von Kaisern verwendet. Insofern sind die Begriffe auch verwirrend, wenn man aus ihnen fälschlicherweise schließt, dass die oberste Klasse der Nobilitas nur den patrizischen Stil verwendet hätte, während sich die etwas darunter angesiedelten einfachen Senatoren und Ritter auf den plebejischen Stil beschränkten. Es mag zwar Tendenzen gegeben haben, aber letztendlich sind es vor allem zwei unterschiedliche Formen der Darstellung. Von mir aus können die auch gerne anders genannt werden ;)

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