Dienstag, 9. Dezember 2014

Wie sicher waren die Straßen des Römischen Reichs wirklich?



Am vergangenen bzw. verlängerten Wochenende (Mariä Empfängnis), das ich nochmals für eine Pause nutzte, kam mir eine TV-Dokumentation unter, in der die gerne geäußerte Meinung vertreten wurde, das Römische Reich wäre nicht zuletzt deshalb so eine feine Sache gewesen, weil man auf gut ausgebauten Straßen sicher von A nach B reisen konnte.
Nun, der Punkt mit dem gepflegten Straßensystem stimmt; dass jedoch das Reisen darauf besonders sicher war ist eine etwas fragwürdige Behauptung. Einerseits weil es DAS Römische Reich nicht gab - soll heißen, die Sicherheitslage war nicht zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort gleich gut, abhängig von lokalen Krisen und der zum Teil stark schwankenden Durchsetzungsfähigkeit der Zentralgewalt. Andererseits versuchte die Forschung lange Zeit das römische Staatswesen zu glorifizieren; dabei wurde manch Indiz "übersehen", das der angestrebten Deutungsweise nicht entsprach. Man denke hierbei etwa an die Verehrung bestimmter Götter bzw. Göttinnen an Straßenkreuzungen (Beitrag), die von Reisenden häufig um Schutz gebeten wurden. Vor wem beschützen, wenn doch angeblich alles so sicher war?

Ein weiteres Beispiel, das in diesem speziellen Fall die Sicherheitslage auf den Straßen der späten Republik beleuchtet: Quintus Asconius Pedianus, der im 1. Jh. n. Chr. lebte, schrieb rückblickend in seinem Kommentar zu Ciceros Rede für Milo:
"Clodius war zu Pferde, etwa 30 kampfbereite Sklaven, mit Schwertern bewaffnet, bildeten sein Gefolge, wie es damals auf Reisen üblich war."
Bei diesem Publius Clodius Pulcher - er wird den Lesern/Hörern der SPQR-Romane von John Maddox-Roberts wohlbekannt sein - handelt es sich um einen Politiker und Demagogen übelster Sorte, der aus naheliegenden Gründen ein gewisses Sicherheitsbedürfnis hatte. Doch wenn Asconius eher allgemein erklärt, Clodius' beeindruckendes Gefolge aus Bewaffneten sei damals üblich gewesen, dann lässt sich daraus entnehmen, dass nicht einzig und alleine umstrittene Politiker auf Reisen gefährlich lebten.
Weiters wird hier offensichtlich, dass selbst im direkten Umkreis Roms die Straßen höchst unsicher waren, denn die kurz angerissene Episode - an deren Ende Clodius den Tod fand - ereignete sich beim nur 18 km entfernten Bovillae.
Und zu guter Letzt legt die überlieferte Formulierung nahe, dass in der Regierungszeit Neros, in der Asconius seinen Kommentar verfasste, die Straßen wieder sicher waren - was immer das auch konkret bedeuten mag, denn der ebenfalls damals lebende Seneca weist explizit darauf hin, dass man Straßen, auf denen Raubüberfälle stattfanden, meiden sollte.

In der Rede für Milo meint Cicero:
"Wie könnte es [...] Unrecht sein, einen Wegelagerer und Mörder zu töten? Wozu dann unsere bewaffnete Reisebegleitung? Diese dürfte man doch sicherlich nicht bei sich haben, wenn es unter keinen Umständen erlaubt wäre, sich ihrer zu bedienen.
An der Formulierung "unsere bewaffnete Reisebegleitung" ist zu erkennendass auch für Cicero und die hier angesprochenen Richter/Geschworenen - welche sich aus den wohlhabenden Schichten zusammensetzten - eine Leibwache etwas Alltägliches und Wichtiges auf Reisen war. Möglich, dass Asconius speziell dieses Zitat im Kopf hatte, als er er in seinem Kommentar meinte, zur Zeit des Clodius sei ein zahlenmäßig starker Personenschutz auf Reisen üblich gewesen.

Octavian bzw. Augustus soll dem Räuberunwesen - das durch die von ihm initiierten Bürgerkriege zweifellos erst so richtig befeuert wurde - in späteren Jahren einen Riegel vorgeschoben haben, indem er stationes bzw. Straßenposten einrichten lies. Hierbei dürfte es sich jedoch - zumindest was die durchschlagende Wirkung dieser Maßnahme betrifft - wieder einmal um eine propagandistische Legende handeln, die der Beweihräucherung des ersten römischen Kaisers diente.

Aus der Kaiserzeit sind noch etliche Grabsteine erthalten, die vom gewaltsamen Tod nicht gerade weniger Reisender berichten. Genannt sei z.B. der aus Campanien stammende Clodius Perigenes; er wurde im heutigen Südhessen von Räubern (latrones) erschlagen (Bilder und weitere Informationen).
Interessanterweise befinden sich unter den ermordeten Reisenden nicht selten Legionäre bzw. Veteranen. Grund hierfür dürfte sein, dass sie einer privilegierten Schicht angehörten bzw. über ein gutes Einkommen verfügten. Selbst der spätere Kaiser Hadrian wurde, als er die Legio XII Primigenia kommandierte, auf einer Reise von Räubern angegriffen.

Soldaten waren andererseits auch Täter und konnten unter gewissen Umständen eine Gefahr für Reisende darstellen, anstatt als sogenannte stationarii, beneficiarii, evocati, nocturni usw. für deren Schutz zu sorgen. So erzählt etwa eine im heutigen Serbien entdeckte Grabinschrift aus dem 3. Jh.:
][...v]ix(it) an(nis) [... int]erfectus a [sta]tionaris cum Diurpagisa (?) filio suo qui vix(it) ann(is) XVIII b(ene) m(erentibus) (p)osuit   (CIL III 14574)
Hier wurde demnach ein Mann, zusammen mit seinem 18jährigen Sohn Diurpagisa (übrigens ein thrakischer Name) von stationarii bzw. der örtlichen "Straßenpolizei" getötet. Der Umstand, dass den Getöteten ein Grabstein errichtet wurde, weist darauf hin, dass sie keine Verbrecher waren, sondern es sich eher um Opfer eines Verbrechens seitens der Staatsgewalt handelte.
Auch scheinen viele Räuber ehemalige Soldaten bzw. Deserteure gewesen zu sein. Besonders bunt trieb es ein gewisser Maternus, der die Bevölkerung in den gallischen Provinzen so lange terrorisierte, bis Kaiser Commodus die Armee gegen ihn in Marsch setzte. Dieser sogenannte Krieg der Deserteure endete mit der Hinrichtung des Anführers. Zuletzt soll dieser sogar versucht haben, dem Kaiser zuvor zu kommen, indem er sich an einer Verschwörung gegen ihn beteiligte.
Als einige Jahre später Septimius Severus nach seiner Machtergreifung die Prätorianergarde auflöste und durch ihm loyale Truppen aus den Donauprovinzen ersetzte, hatte dies ebenfalls sehr nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheitslage. Rund 600 ehemalige Prätorianer scharten sich um einen Mann, der sich großspurig Sulla Felix nannte, und zogen unter dessen Führung plündernd über die Straßen Italiens. Erst nach zwei Jahren konnte man dieser Räuberbande den Garaus machen

Die Ermordung/Tötung durch Räuber (interfectus a latronibus) findet sich auf Grabsteinen die eine unnatürliche Todesursache nennen besonders häufig. In einem Abschnitt der Digesten Justinians - der auf den im 2./3. Jh. lebenden Juristen Ulpian zurückgeht - findet der Tod durch Räuber sogar als quasi allgemein übliche Todesursache Erwähnung, die nicht ungewöhnlicher war als ein durch Krankheit oder Altersschwäche verursachtes Ableben. Dies ist doch ein sehr beredtes Zeugnis der damals herrschenden Zustände!
Freilich, nicht immer wurde das Opfer beseitigt. Es kam auch vor, dass von Angehörigen Lösegeld erpresst oder der Entführte - vor allem in den weiträumigen Landschaften der Ostprovinzen - versklavt wurde. Wobei speziell Versklavung und Lösegelderpressung eher eine Domäne der Seeräuber gewesen sein dürfte; siehe etwa die bekannte und leicht skurrile Entführung des jungen Gaius Julius Caesar.

Selbst in den eigenen vier Wänden schein man nicht sicher gewesen zu sein. Der ältere Plinius schreibt in seiner Naturalis Historia beispielsweise, dass Fenster zum Schutz vor Räubern mit Läden gesichert wurden. Archäologisch finden sich besonders in den nördlichen Provinzen auch immer Wieder Reste von speziellen Fenstergittern, an deren Kreuzungspunkten spitz zulaufende Sterne aufgenietet waren (Bild)
Nicht nur Eigenheimbesitzer schützen sich vor Gewaltverbrechern; Seneca meinte sogar, dass Städte Mauern errichteten, damit ihre Bewohner vor Räuberbanden geschützt waren. Und das macht durchaus Sinn, denn interessanterweise besaßen viele dieser Stadtmauern der frühen und hohen Kaiserzeit einen eher bescheidenen militärischen Wert - von der Forschung wurden sie daher zum Teil sogar als Repräsentationsbauten interpretiert. Jedoch dürften sie durchaus manch Räuberbande abgehalten haben.

Fazit: Die These, wonach das Reisen im Römischen Reich eine ziemlich sichere Angelegenheit war, ist bei näherer Betrachtung kaum aufrecht zu erhalten. Der Unterschied zum "finsteren" Mittelalter liegt vielmehr in der Qualität des Straßennetzes und der Möglichkeit bei Raststationen zu übernachten - die allerdings zum Teil ebenfalls von Räubern und Gesindel bevölkert wurden; quasi From Dusk Till Dawn, nur ohne Vampire ;)

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Quellen:
  • (Tipp) Lebensadern des Imperiums: Straßen im Römischen Reich | Margot Klee | Theiss | 2010 | Infos bei Amazon  
  • Gefährliches Pflaster - Kriminalität im Römischen Reich | Marcus Reuter u. Romina Schiavone | Philipp v. Zabern | 2011 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
  • Rom und das Schwert | Simon James | Phlipp v. Zabern | 2013 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
  • Rede für Milo (+ Kommentar) | Marcus Tullius Cicero / Marion Giebel | Reclam | 1972 | Infos bei Amazon

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2 Kommentare:

  1. Der Mord an P. Clodius Pulcher ist auch das Thema in _A Murder on the Appian Way_ von Steven Saylor. Saylor rollt in einigen seiner Krimis aus der Gordianus-Serie historische Mordfälle auf. Clodius' Schwester Clodia (über die Cicero so böse Sachen behauptet hat) taucht auch in mehreren der Romane auf.

    - Exilwikingerin -

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    1. Von der Krimireihe habe ich schon gehört und eigentlich wollte ich auch schon längst einmal reinschnuppern.

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