Dienstag, 27. Oktober 2015

Buch-Empfehlung: Pontisches Gift - Die Legende von Mithridates, Roms größtem Feind

Wie eine Achterbahnfahrt!

Das Leben des antiken Herrschers Mithridates VI. von Pontos († 63 v. Chr) kann rückblickend nur als atemberaubende Achterbahnfahrt bezeichnet werden, wie sie in der antiken Geschichtsschreibung wohl kein zweites Mal zu finden ist.
Nachdem Mithridates' Vater vermutlich von dessen eigener Ehefrau heimtückisch mittels Gift ermordet worden war, floh der noch halbwüchsige Thronerbe aus der Hauptstadt und durchstreifte mehrere Jahre lang das Hinterland seines Königreichs. Mit Unterstützung neu gewonnener Freunde kehrte er schließlich an den Hof zurück, um seine verschwendungssüchtige, als Regentin herrschende Mutter zu beseitigen.
Nun, mit der uneingeschränkten Macht in Händen, begann Mithridates zuerst im Verborgenen, dann immer offensichtlicher, den Einflussbereich seines wohlhabenden Landes auszuweiten. Dass er dabei in Konflikt mit Rom geraten würde, war unvermeidbar - und so führte die Stadt am Tiber über einen Zeitraum von sechsundvierzig Jahren Krieg um Krieg gegen ihn; nicht selten zum eigenen Schaden (siehe etwa hier). Nach mehreren militärischen Demütigungen und dem Verlust von ganz Griechenland (wo Mithridates als Befreier bejubelt wurde) schickte Rom seine größten Feldherren aus, die dem pontischen König zwar manch schwere Niederlage bereiteten, "aber immer so, dass er sich größer und herrlicher bei Erneuerung des Krieges wieder erhob und durch seine erlittenen Verluste sogar noch furchtbarer wirkte" - schreibt der antike Historiker Justin. In der Tat war Mithridates eine Art Stehaufmännchen, das die Schwächen des Siegers immer genau kannte und sie geschickt zum eigenen Vorteil ausnutzte.
In seinen späten Jahren verbündete er sich mit Spartacus, nahm zahlreiche römische Exilanten sowie Unterstützer des in Spanien herrschenden Renegaten Sertorius bei sich auf und plante sogar eine Invasion Italiens über Donau und Alpen - so wie es einst Hannibal vorgemacht hatte. Doch während den Vorbereitungen zu diesem ambitionierten Plan wurde Mithridates von seinem Lieblingssohn verraten. In einem Turm auf der Halbinsel Krim in die Enge getrieben, gab er sich - vielleicht mithilfe eines treuen Leibwächters - den Tod, um der Gefangennahme oder gar einer schändlichen Auslieferung an die Römer zu entgehen.  "Selbst im Unglück zeigte sich der König nicht klein und verachtenswert" - schreibt dazu Appian, der wie viele antike Geschichtsschreiber Bewunderung für den letzten bedeutenden Herrscher der hellenistischen Welt empfand, welcher es gewagt hatte, dem römischen Imperialismus die Stirn zu bieten.

Mithridates von Pontos war jedoch nicht nur Politiker und Machtmensch, sondern vermutlich der kenntnisreichste Toxikologe der Antike; etliche Feinde soll er mit ausgeklügelten Giften beseitigt haben. Sich selbst versuchte er zu schützen, indem er sein Leben lang regelmäßig winzige Dosen toxischer Substanzen wie Arsen einnahm, um so den Körper dagegen zu immunisieren. Außerdem entwickelte Mithridates in jahrelanger Forschung ein universelles Heilmittel gegen Vergiftungen aller Art - das sagenumwobene, nach ihm benannte Mithridat oder Mithridatum.


So viel mehr als eine bloße Biografie!

Neben den Schilderungen der historischen Ereignisse ist besonders die große Anzahl an überaus wissenswerten Hintergrundinformationen hervorzuheben, welche die Autorin Adrienne Mayor geschickt mit der Lebensgeschichte des schillernden Königs von Pontos verwoben hat. Beispielsweise erfährt der Leser anhand einer ausführlich dargelegten Indizienkette, dass der berühmte Mechanismus von Antikythera vermutlich römische Kriegsbeute war und aus Mithridates' persönlichem Besitz stammen könnte. Wer hätte des Weiteren gedacht, dass die Wassermühle von pontischen Gelehrten am Hofe des Mithridates erfunden und während den Kriegen gegen die Römer von diesen für sich entdeckt und nach Italien bzw. Europa exportiert wurde?
Ebenfalls hochinteressant sind die Schilderungen aus dem antiken Alltagsleben, wie etwa die Verwendung von Schutzmasken aus Schweinsblasen; der Handel mit Asbest-Textilien aus dem heutigen Tadschikistan; die Konservierung von Getreide mit Chalkidischer Erde (Kalziumkarbonat); die Verwendung von Schlangengift als Mittel zur Blutgerinnung; der Einsatz von geradezu modern anmutenden Bergschuhen mit eisernen "Spikes"; das Gewinnen von Flussgold mithilfe von Lammfellen (daher die Legende vom Goldenen Vlies); die medizinische Verwendung von Biberhoden, welche mit Salicylsäure den Grundstoff von Aspirin enthalten; usw usw. usw.


Fazit: Ein echtes Highlight!

Pontisches Gift - Die Legende von Mithridates, Roms größtem Feind (Theiss) kann meiner Ansicht nach gar nicht genug gelobt werden. In dieser Biografie werden nicht einfach lustlos die Lebensdaten einer historischen Persönlichkeit heruntergeleiert, sondern die Autorin erzählt vielmehr eine abwechslungsreiche Geschichte, welche von der ersten bis zur letzten Seite spannend bleibt. Jene Passagen, die sich weniger auf historische Überlieferungen, sondern vielmehr auf Mutmaßungen stützen, sind meiner Ansicht nach unschwer zu erkennen. Außerdem wird von Quellenverweisen bzw. Endnoten in ausreichendem Maße Gebrauch gemacht.
Aufgrund des lebendigen Schreibstils, der außerordentlich hohen Informationsdichte - und auch wegen dem geradezu läppischen Preis von knapp 17 Euro - kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen! Für mich handelt es sich hier um eines der Sachbuch-Highlights der letzten Jahre!

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Weiterführende Informationen:



4 Kommentare:

  1. Hallo Hilti, da gebe ich dir völlig recht, die Althistorikerin Adrienne Mayor hat hier wirklich ein wunderbares Buch vorgelegt. Man wünscht sich wirklich mehr von der Sorte.

    Liebe Grüße,
    Britta

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    1. Man wünscht sich wirklich mehr von der Sorte.

      Nachdem ich gerade eine phasenweise höchst zähe Cicero-Biografie gelesen habe, schließe ich mich diesem Wunsch aus vollem Herzen an :)
      Adrienne Mayors Buch über Mithridates war für mich ein echter Glücksgriff.

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  2. Na so was, das Buch ist mir bisher entgangen. Ich denke, das wird auf meinen Wunschzettel für Weihnachten gepackt.
    Grisu

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  3. Danke für die Rezension, das hört sich spannend an!

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