Montag, 13. Juni 2016

"Aufgescheucht liefen die Frauen durcheinander": Der Bona-Dea-Skandal erschüttert Rom



Der Bona-Dea-Skandal des Jahres 62 v. Chr. ist ein gutes Beispiel dafür, dass die besten und skurrilsten Geschichten zumeist das Leben selbst schreibt. Überliefert wurden uns die damaligen Ereignisse vor allem in Plutarchs Biografie Caesars, dessen römisches Stadthaus Schauplatz des Skandals war. Die zentrale Rolle spielte Publius Clodius Pulcher, ein 'Volksfreund', Demagoge und politischer Verbündeter Caesars, der sich in späteren Jahren zu einem der hauptverantwortlichen Totengräber der Römischen Republik mausern sollte. 
"Publius Clodius, ein Spross aus altem Römeradel, genoss viel Ansehen wegen seines Reichtums und seiner Redegabe, war aber auch ein unübertroffener Meister der Ausschweifung und Frechheit, und dies selbst in Kreisen, deren Liederlichkeit stadtbekannt war. Er verliebte sich in Caesars Gattin Pompeja, und sie stieß ihn nicht zurück. Doch waren ihre Gemächer sorgfältig bewacht, und Caesars Mutter Aurelia, eine sittenstrenge Matrone, behielt die Frau ständig im Auge, sodass es für die Verliebten schwierig und gefährlich war, einander zu treffen. 
Nun haben die Römer eine Göttin, welche sie Bona Dea (=gute Göttin) nennen; bei den Griechen heißt sie Gynaikeia (=die Weibliche). Die Phryger sehen in ihr eine einheimische Gottheit und erzählen, sie sei die Gattin des König Midas gewesen; die Römer betrachten sie als eine Baumnymphe und Gattin des Faunus, während sie für die Griechen eine der Mütter des Dionysos ist, deren Name von Menschenmund nicht ausgesprochen werden darf. Deshalb bauen die Frauen zum Fest der Göttin Hütten und decken sie mit Rebschossen, auch liegt eine heilige Schlange zu ihren Füßen, wie es der Mythos verlangt. Kein Mann darf der geheimnisvollen Feier beiwohnen, ja nicht einmal im Haus weilen; ganz für sich vollziehen die Frauen den Gottesdienst, welcher mit den orphischen Gebräuchen viel Ähnlichkeit aufweisen soll.
Ist also die Zeit des Festes herangekommen, das im Haus eines Konsuls oder Praetors (= höchsten Amtsträger Roms) gefeiert werden muss, so zieht dieser sich zurück, und mit ihm alle männlichen Personen; die Ehefrau übernimmt das Haus und macht alles bereit für die Feier, deren wichtigste Zeremonie in der Nacht begangen wird. Scherz und Musik erheitern das nächtliche Treiben.
In diesem Jahr hatte Pompeja das Fest auszurichten. Clodius, der noch keinen Bart hatte und deshalb unerkannt zu bleiben glaubte, verkleidete sich als Harfenspielerin und ging (in der Nacht vom 4./5. Dezember) hin. Er sah wirklich wie ein junges Mädchen aus. Zufällig fand er die Türen offen und ließ sich von Pompejas Zofe, welche ins Vertrauen gezogen war, ohne Scheu hineinführen. Dann lief jene voraus, um ihrer Herrin Bescheid zu sagen. Da sie aber lange nicht zurückkam, getraute sich Clodius nicht stehenzubleiben, wo sie ihn hatte warten heißen, und irrte, den Lichtern sorgfältig ausweichend, in dem weitläufigen Haus herum, bis ihm eine Dienerin der Aurelia begegnete, und ihn, in der Meinung, eine Frau vor sich zu haben, zum Spielen aufforderte. Als er sich sträubte, zog sie ihn in die Mitte und fragte, wer und woher er sei. Clodius antwortete, er warte auf Pompejas Abra - so hieß jene Zofe -, verriet sich aber durch seine Stimme. Die Dienerin schrie auf und eilte sogleich zu der Gesellschaft in den erleuchteten Räumen mit dem Ruf, sie habe einen Mann ertappt. Aufgescheucht liefen die Frauen durcheinander, Aurelia brach die Mysterien ab und verhüllte die heiligen Gerätschaften, ließ dann die Türen verschließen und ging mit Fackeln durch das Haus, den Clodius zu suchen. Man fand ihn versteckt im Zimmer des Mädchens das ihn eingelassen hatte, und die Frauen, die ihn bald erkannten, jagten ihn zum Haus hinaus.
Noch in der Nacht ging die Gesellschaft auseinander, sogleich erzählten die Frauen ihren Männern was geschehen war, und am anderen Morgen durchflog die Kunde von Chlodius' Ruchlosigkeit die Stadt. Der Frevler müsse büßen, hieß es. Er sei den Beleidigten Strafe schuldig wie auch der Stadt und den Göttern. Einer der Volkstribunen reichte gegen Clodius Klage wegen Schändung der Religion ein, und die mächtigsten Männer des Senats traten einhellig als Zeugen gegen ihn auf und bezichtigten ihn neben anderen Untaten auch des Ehebruchs mit seiner eigenen Schwester, welche mit Lucullus verheiratet war (Anm.: Wahr oder nicht - solche Verleumdungen gehörten zum Standardrepertoire juristischer Auseinandersetzungen). Aber trotz ihres eifrigen Bemühens schlug sich das Volk auf Clodius' Seite, was dessen Stellung vor Gericht ganz beträchtlich verbesserte, da den (Geschworenen-)Richtern vor dem Pöbel angst und bange wurde.
Caesar schicke Pompeja auf der Stelle den Scheidebrief, doch als er als Zeuge in dem Prozess vorgeladen wurde, sagte er aus, dass ihm von all dem, was man Clodius vorwerfe, nichts bekannt sei (Anm.: Tatsächlich blieben er und Clodius auch weiterhin politische Verbündete). Diese sonderbare Erklärung nötigte dem Ankläger die Frage ab, warum er sich dann von seiner Gattin getrennt habe. "Weil ich eine Frau nicht im Hause dulde, auf der auch nur ein Schatten des Argwohns liegt", antwortete Caesar.
Es wird behauptet, Caesar sei es mit diesen Worten ernst gewesen, andere sehen darin freilich nur eine Verbeugung vor dem Volk, welches Clodius retten wollte. Der wurde auch wirklich freigesprochen, weil die meisten Richter ihr Urteil in unleserlicher Schrift abgaben. Sie mochten Clodius nicht verurteilen, da sie die Vergeltung des Pöbels fürchteten, aber auch nicht Freisprechen, um es sich nicht mit der Nobilität zu verderben." (Plutarch, Caesar, 9-10)
Unter den "mächtigsten Männer des Senats", die im Zuge des Gerichtsverfahrens aussagten, befand sich auch Cicero. Sein Biograf Plutarch berichtet darüber folgendes:
"Cicero war ein Freund von Clodius gewesen, und hatte während der Catilinarischen Verschwörung in ihm den eifrigsten Helfer und Leibwächter gehabt. Als Clodius aber jetzt der Anschuldigung gegenüber entschieden behauptete, er sei zur Zeit des (Bona-Dea-)Skandals überhaupt nicht in Rom gewesen, sondern habe sich auf seinen weit entfernten Gütern aufgehalten, da bezeugte Cicero gegen ihn. Er sei zu ihm ins Haus gekommen und hätte über gewisse Dinge gesprochen.
Das war auch wahr, doch glaubte man, dass Cicero dieses Zeugnis nicht um der Wahrheit willen abgelegt habe, sondern um sich gegenüber seiner Frau Terentia zu rechtfertigen. Denn sie hatte einen Groll auf Clodius wegen seiner Schwester Clodia, von der sie glaubte, dass sie Cicero heiraten wolle [...]." (Plutarch, Cicero, 29)
Mit seiner Zeugenaussage hatte sich Cicero die tiefe Feindschaft Clodius' zugezogen. Der bewirkte daher im Jahr 58 v. Chr. als Volkstribun die Exilierung Ciceros. Kurioserweise wurden als Begründung Ciceros strenge Maßnahmen gegen die führenden Catilinarischen Verschwörer im Jahre 63 v. Chr. vorgeschoben, die Clodius einst ja selbst bekämpft hatte.

Nachdem Clodius im Verfahren zum Bona-Dea-Skandal freigesprochen wurde, höhnte er bei einer Senatssitzung in Richtung Ciceros, dieser habe mit seinem Zeugnis bei den Richtern offensichtlich keinen Glauben gefunden. Cicero antwortete darauf: 
"Mir haben fünfundzwanzig der Richter Vertrauen geschenkt (Anm.: denn so viele haben Clodius für schuldig befunden). Dir aber haben die übrigen einunddreißig das Vertrauen versagt, denn sie haben dich nicht eher freigesprochen, als bis sie dein Geld in der Tasche hatten." (Cicero, Briefe an Atticus, I, 16, 10)
Die geschilderten Ereignisse veranschaulichen sehr gut, wie das römische Rechtssystem der späten Republik 'funktionierte': Bestechung, Verleumdung und Einschüchterung standen an der Tagesordnung. Siehe dazu auch: Eine chaotische Gerichtsszene aus dem Antiken Rom


Kurioses und Trivia

Im Lexikon der antiken Mythen und Gestalten findet sich über Bona Dea u.a. folgendes:
"Bona Dea (Gute Göttin) - eine unklare römische Göttin, die ausschließlich von Frauen verehrt und mit Fauna, der Göttin der Fruchtbarkeit identifiziert wurde. Die Mythologie beachtet sie nur wenig, versucht aber ihren Kult zu erklären. Nach einer Erzählung wollte ihr Vater Faunus Inzest mit ihr begehen und machte sie zu diesem Zweck betrunken. Als sie ihn immer noch abwehrte, schlug er sie mit Myrthenzweigen, und schließlich verwandelte er sich in eine Schlange, um seinen Willen zu haben [...]."
Er verwandelt sich in eine Schlange? Das erinnert doch stark an diese japanischen Zeichentrickfilme für Erwachsene, in denen junge Frauen von langen Tentakeln ... na ja, ich möchte hier nicht allzu sehr in die Details gehen ;)

In Anbetracht der Mythologie rund um Bona Dea und den Annäherungsversuchen ihres perversen Vaters mutet es reichlich skurril an, dass es mittlerweile ein Verhütungsmittel mit der Bezeichnung BonaDea gibt ^^ Klick mich

Der Bona-Dea Skandal wurde übrigens auch vom amerikanischen Autor John Maddox-Roberts in einem Roman seiner SPQR-Reihe thematisiert. Der Titel lautet: Der Frevel des Clodius. Bei Audible/Amazon gibt es davon eine wunderbar unerhaltsame Hörbuchfassung: Klick mich

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Quellen / weiterführende Literatur:
  • Plutarch / Konrad Ziegler und Walter Wuhrmann (Übers.) | Große Griechen und Römer, Band IV u. V | Artemis & Winkler / Patmos | 2010 | Infos bei Amazon
  • Michael Grant | Lexikon der antiken Mythen und Gestalten | List | 2009 | Infos bei Amazon
  • Cicero / Dietmar Schmitz (Übers.) | Briefe an Atticus | Reclam | 1992/2003 | Infos bei Amazon 

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4 Kommentare:

  1. Interessante Schilderung. Vor allem weil unserer "Rechtsstaat" ja gerade wieder in die damaligen Verhältnisse zurückfällt und meint, Religion gehöre unter "Naturschutz" gestellt.

    Abseits davon bin ich schon neugierig, wie Clodius in der geplanten SPQR-Verfilmung dargestellt wird. Diese Figur hat außerordentlich viel Potential.

    Sumsi

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    1. Es bleibt zu hoffen, dass aus der TV-Serie tatsächlich etwas wird.

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  2. Für Romanautoren gibt die Republik so unglublich viel her, und trotzdem siedeln die meisten ihre Handlung in der Kaiserzeit an.
    LG,
    Tim

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    1. Ja, das ist bedauerlich, denn auch wenn es der Republik ein wenig am Glanz der Kaiserzeit mangelt, so ist sie aufgrund vieler Ähnlichkeiten zum heutigen politischen System das eindeutig spannendere Umfeld, um darin eine anspruchsvolle Romanhandlung anzusiedeln.
      Die Republik verlangt einem Autor meiner Ansicht nach aber auch mehr Recherchearbeit ab.

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