Sonntag, 16. Oktober 2016

Buch: Tassilo III. - Höchster Fürst und niedrigster Mönch

Eine der tragischsten Gestalten des europäischen Frühmittelalters ist der im Jahr 741 geborene Bayernherzog Tassilo III. Zumindest im deutschsprachigen Raum gilt er - neben dem sächsischen Herzog Widukind - als das bekannteste politische Opfer der Großmachtpolitik Karls des Großen.

Der österreichische Mediävist Herwig Wolfram schildert in der Biographie Tassilo III. - Höchster Fürst und niedrigster Mönch (Verlag Friedrich Pustet) Leben, Aufstieg und Niedergang des Herzogs.
Die Ausführungen des Autors beginnen mit der Geschichte der Agilolfinger, also jener Sippe, der Tassilo entstammte. Diese kam ursprünglich gar nicht aus Bayern, sondern dürfte fränkischer oder franko-burgundischer Herkunft gewesen sein. Neben den Merowingern waren sie wohl die Einzigen, die bereits im 7. Jahrhundert einen 'Familiennamen' besaßen. Und bereits in dieser frühen Zeit könnte sich eine Art Erbfeindschaft zwischen den Agilolfingern und den (erst viel später so bezeichneten) Karolingern herausgebildet haben. Grund: Während der Regentschaft von  Dagobert I. wurde der Agilolfinger Chrodoald auf Betreiben zweier Vorfahren Karls des Großen ermordet.
Ca. 150 Jahre später hatte es Tassilo III., dessen Name "kleiner Dachs" bedeuten dürfte - aufgrund inner-fränkischer Probleme geschafft, ein in vielerlei Hinsicht eigenständiges Herzogtum aufzubauen, in dem er unabhängig von den mittlerweile zur Königswürde gelangten Karolingern schaltete und waltete. Ein Zustand, der spätestens dem machthungrigen Karl dem Großen zutiefst missfiel. Daher verfolgte dieser eine Einkreisungspolitik, schaltete nach und nach Tassilos Verbündete aus und entmachtete schließlich den Bayernherzog selbst: Im Rahmen eines Schauprozesses wurde die gesamte Herzogsfamilie zu lebenslänglicher Klosterhaft verurteilt. Bayern übergab man zur Verwaltung einem fränkischen 'Großgrafen', der direkt dem König unterstellt war.

Neben den familiären und machtpolitischen Aspekten erfährt der Leser in diesem Buch auch einiges über die Besonderheiten von Land und Leuten. So sind im frühmittelalterlichen Bayern für längere Zeit bedeutende Reste der alten romanischen Bevölkerung nachweisbar, die als Träger antiker Kultur häufig bedeutende Ämter in Kirche und Verwaltung inne hatten. Dieser Umstand rief möglicherweise bei einem Teil der germanischen Bevölkerung Eifersucht und Neid hervor. Zumindest könnte man so einen lustigen Satz interpretieren, den ein Bayer in den Kassler Glossen niederschrieb. Dort heißt es nämlich: 
"Dumm sind die Romanen, klug sind die Bayern, gering ist die Klugheit bei den Romanen, sie haben mehr Torheit als Klugheit.
Wenn hier statt "Romanen" das Wort "Berliner" verwendet werden würde, dann wäre man mitten in der aktuellen Tagespolitik angelangt ;)

Die Quellenlage zum tassilonischen Bayern - das auch große Teile des heutigen Österreichs und Südtirol umfasste - ist äußerst dürftig. Hinzu kommt, dass die wenigen überlieferten Schriftzeugnisse häufig tendenziös oder gar komplette Fälschungen aus späteren Jahrhunderten sind. Eine zeitgenössische Biografie des Bayernherzogs, die noch in Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert erwähnt wird, ging bedauerlicherweise verloren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass unser Bild von Tassilo große Lücken aufweist. Doch unterlag der Autor Herwig Wolfram nicht der Versuchung, diese mit allzu vielen Eigeninterpretationen und Vermutungen zu füllen. Heribert Illig is watching you ;)
Mit Endnoten bzw. Quellenangaben wird nicht gegeizt, auch sind einige Fotos und Karten enthalten, die den Text auflockern.

Fazit: Ein gut strukturiertes, verständlich geschriebenes, informatives Buch zu einem akzeptablen Preis.

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Inhaltsverzeichnis (gekürzt):

- Die schriftliche Überlieferung
- Der Aufstieg Tassilos
- Die Ausschaltung Tassilos und seiner Familie
- Der Skandalprozess von Ingelheim
- Karl der Große erwirbt das Volk der Bayern
- Grenzen und Völker des tassilonischen Bayern
- Land und Leute
- Tassilo und die Instrumente seiner Herrschaft
- Der Herzog, die Kirche und das kulturelle Leben
- Der Klostergründer
- Unterdrückung und Wiederentdeckung der Erinnerung
- Anhang

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4 Kommentare:

  1. Auf eine aktuelle Biografie Tassilos warte ich schon seit Jahren. Danke für den Tipp!

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  2. Aus dem angeführten Zitat spricht das typische bai(y)rische Gehabe, heutzutage mit primitivem Antiborussianismus bespickt. Ich habe in Bayern mein Preußentum entdeckt.
    Leser

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  3. Karl der Große wurde vor allem deshalb groß, weil seine politische Gegner nicht den Willen zu einer echten Zusammenarbeit aufbrachten. Die Franken hätten ziemlich blöd aus der Wäsche geschaut, wenn Sachsen, Bayern, Alamannen, Langobarden und Aquitanier sich verbündet hätten. Aber die Geschichte lehrt uns eben, dass man im Nachhinein immer klüger ist als davor. :-)

    LG

    Heinz

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  4. Eine spannende Epoche. Danke für die schöne Rezension, das Buch dürfte genau den Geschmack meines Mannes treffen.

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