Samstag, 3. November 2018

"Schlecht wird erzogen, wer nicht Prügel bezieht" - Beispiele für altrömische Prügel-Pädagogik



Im alltäglichen Sprachgebrauch der alten Römer wurde die Schule gerne als ludus - das heißt als "Spiel" - bezeichnet. Laut dem Lexikographen Sextus Pompeius Festus handelt es sich dabei allerdings um eine gezielte Beschönigung. Denn zumeist stand in römischen Schulen stumpfsinniges und ermüdendes Auswendiglernen auf dem Programm. Wer dabei nicht spurte, wurde selbst aus geringfügigen Anlässen körperlich gezüchtigt. Schon der griechische Dramatiker Menander schrieb im 4./.3. Jh. v. Chr.:

Schlecht wird erzogen, wer nicht Prügel bezieht(Menander, Monosticha, 422).

Dementsprechend dürfte unter den Schülern ein Klima der Furcht geherrscht haben. Stark untermauert wird diese Annahme durch eine Vielzahl entsprechender Berichte. Namhafte Personen wie der Kirchenvater Augustinus von Hippo (4./5. Jh.) erinnern sich darin mit Grausen an ihre eigene Schulzeit:

Unsere Eltern lachten über die Qualen, die wir Knaben von den Lehrern zugefügt bekamen. Wir aber fürchteten uns nicht weniger davor als die Märtyrer, und wir flehten zu dir, Gott, um dem zu entrinnen. (Augustinus, Conf. I 10,16).

An anderer Stelle äußert sich Augustinus noch drastischer:

Wer würde nicht zurückschrecken und, vor die Wahl gestellt, entweder zu sterben oder noch einmal Kind zu sein, nicht lieber den Tod wählen? (Augustinus CD XXI 14,26)

Man sollte sich aber nicht täuschen lassen; zwar stellt Augustinus das herrschende System der Prügel-Pädagogik in seinen Schriften recht unverblümt dar, doch konnte er sich keinesfalls dazu durchringen, dergleichen völlig zu verwerfen. Es war eben Tradition und auf lange Sicht nur zum Besten der Kinder.

Geschlagen wurden Schüler üblicherweise wohl mit der bloßen Hand, aber zum Einsatz kamen auch Schuhe, die ferula (eine Rute, siehe obiges Bild) sowie die scutuca, eine wirklich bösartige fransige Peitsche aus "Skythenleder" - wie sie z.B. in den Epigrammen von Martial (1./2. Jh.) und bei Ausonius (4. Jh.) Erwähnung findet. Letzterer gibt überhaupt einen recht lebendigen Einblick in den von Gewalt bzw. Gewaltandrohung geprägten Schulunterricht. 

Hab auch du keine Angst, selbst wenn die Schule von vielen Schlägen wiederhallt und der alte Lehrer ein grimmiges Gesicht aufsetzt! "Angst verrät den schwachen Geist" (Vergil). Erweise dich vor dir selbst als furchtlos! Weder das Geschrei noch die klatschenden Schläge noch die Angst vor den Morgenstunden sollen dich in Unruhe versetzen. Die Rute, die er wie ein Szepter schwingt, sein großes Arsenal an Stöcken, seine skythische Peitsche, die er trügerisch mit einer ledernen Hülle umgibt, eure Bänke, die vor ängstlicher Unruhe knarren - all das haben zu ihrer Zeit dein Vater und deine Mutter ebenso erlebt.  (Ausonius, Mahnrede an seinen Enkel 33) 

Auch Libanios, ein bedeutender Rhetor des 4. Jahrhunderts, erwähnt den Einsatz von Peitschen im Unterricht:

Da sitzen die Lehrer mit der Peitsche in der Hand und wecken die faulen jungen Leute mit Schlägen auf. Und niemand von den Vätern (der Schüler) nimmt es ihnen übel, sondern sind nicht weniger für die Schläge dankbar als für die Wissensvermittlung. (Libanios, Declamationes 9, 25)

Heutige Pädagogen beschweren sich gerne darüber, dass immer mehr Eltern die Erziehung ihres Nachwuchses der Schule aufhalsen. Dergleichen kam - wie nicht nur das vorangegangene Beispiel vermuten lässt - aber schon in der Antike vor. So schreibt etwa der griechische Dichter Herodas im 3. Jh. v. Chr. von einer Mutter namens Metrotime, die dafür sorgte, dass ihr lernfauler, dem Glücksspiel zugeneigter Sohn Kottalos von dessen Lehrer eine Tracht Prügel erhielt. Interessant an der Schilderung ist auch, dass der Vorgang der Züchtigung sehr stark an jene eigentümliche Szene aus Herculaneum erinnert, die ich als Titelbild für diesen Blogbeitrag verwendet habe.

Doch noch einmal zurück zu Libanios. Der versuchte bei seinen eigenen Schülern auf körperliche Strafen weitestgehend zu verzichten; lieber motiviert er sie durch gutes Zureden bzw. Wertschätzung. Eine Vorgehensweise, die vielleicht auch dem Umstand geschuldet war, dass es sich speziell bei Rhetorikschülern bereits um Jugendliche bzw. junge Erwachsene handelte; hier bestand deshalb die Gefahr, dass diese mitunter nicht mehr bereit waren, devot Prügel einzustecken, sondern zurückschlugen. Ein drastisches Beispiel dafür enthält die Überlieferung zum Säbener Bischof und Alpenmissionar Kassian von Imola (4. Jh.). Der soll seine Schüler so lange mit Schlägen traktiert haben, bis ihn diese eines Tages mit ihren Schreibgriffeln erstachen - woraufhin der rustikale Pädagoge zum Märtyrer erklärt wurde ...



Wie Augustinus und Ausonius, so tendiert selbst Libanios letztendlich zu der Sichtweise, sich mit den Schlägen und dem schulischen Druck abzufinden. Denn auch wenn die Schüler ihre Lehrer verwünschen, so würden sie ...

... später, wenn sie gegen ihren Willen besser geworden sind, die Zwänge loben. (Libanios, Declamationes 9, 17)

Eine wesentlich konsequentere Haltung als Libanios nahm im 1. Jh. n. Chr. sein Berufskollege Marcus Fabius Quintilianus ("Quintilian") ein. Drakonische Disziplinierungsmaßnahmen im Unterricht lehnte er als kontraproduktiv ab. In seiner Schrift Institutio oratoria entwarf er einen Gegenmodell zur Erziehung des Nachwuchses auf Grundlage einer ausführlichen Rhetorikausbildung. Statt schlechte Leistungen mit Prügeln zu bestrafen, solle man gute Leistungen loben und dafür Belohnungen vergeben. Dadurch würde die Eifersucht unter den Schülern geschürt und ein Wettkampf angestoßen. Nicht aus Angst sollten Kinder lernen, sondern aus eigener Motivation heraus. Bezugnehmend auf die (bereits eingangs erwähnte) lateinische Bezeichnung ludus für die Schule empfiehlt Quintilian ausdrücklich:

Ein Spiel soll das Ganze sein. (Quintilian, Institutio oratoria 1,1,20)

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Weiterführende Literatur:

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