Montag, 7. Oktober 2019

🐖 Geniale Antike: Schlauchboote, schwimmende Brücken, Wasserbetten und mehr



Schlauchboot und Luftmatratze sind relativ moderne Erfindungen - so könnte man zumindest meinen, weil ja der für ihre Herstellung benötigte Kunststoff/Gummi noch nicht sehr lange verfügbar ist. In Wirklichkeit war Ähnliches aber schon vor Jahrtausenden bekannt, nur dass die Menschen damals luftdicht vernähte Tierhäute verwendeten. Die Einsatzgebiete waren vielfältig und gingen weit über primitive Schwimmhilfen hinaus, wie alte Schriftquellen zeigen. 


Schwimmende Brücke: Wir befinden uns im östlichen Mittelmeerraum des späten 5. Jahrhunderts vor Christus, als im kleinasiatischen Teil des riesigen Perserreichs ein Großkonflikt heraufzieht: Kyros der Jüngere sammelt unter falschem Vorwand ein Heer, mit dem er seinen Bruder, den Großkönig Artaxerxes II., vom Thron stoßen möchte. Angelockt von der Erwartung auf reiche Beute befindet sich unter den angeworbenen Söldnern auch eine schlagkräftige Truppe aus über 10.000 kriegserprobten Griechen. Einer von ihnen ist der aus attischem Landadel stammende Sokrates-Schüler Xenophon, der den Feldzug in seinem Werk "Anabasis" (= Hinaufmarsch) im Detail beschreibt. Unter anderem heißt es darin:

[...] Da herrschte große Ratlosigkeit, denn auf der einen Seite drohte ein übermäßig hohes Gebirge, auf der anderen Seite der Fluss, der so tief war, dass nicht einmal die Speere herausragten, als sie die Tiefe prüften. In dieser Ratlosigkeit trat ein Mann aus Rhodos vor und sprach: "Ich will euch hinüberbringen, Männer, je 4000 Hopliten auf einmal, wenn ihr mir das Nötige zur Verfügung stellt und ein Talent als Lohn gebt." Auf die Frage, was er brauche, erwiderte er: "Zweitausend Schläuche brauche ich. Ich sehe viele Ziegen, Schafe, Rinder und Esel; wenn wir diese Häute abziehen und sie aufblasen, werden sie uns leicht das Übersetzen ermöglichen. Ich brauche auch noch die Riemen, die ihr für die Tragtiere verwendet. Mit diesen binde ich die Schläuche aneinander, verankere jeden Schlauch, indem ich Steine anbinde und sie wie Anker ins Wasser versenke, ziehe die Schläuche von Ufer zu Ufer, lege Strauchwerk auf und schütte Erde darüber. Dass ihr nicht untergeht, werdet ihr sogleich merken. Jeder Schlauch wird zwei Mann trage, ohne dass sie versinken. Das Ausgleiten werden das Strauchwerk und die Erde verhindern."
Als die Strategen diesen Vorschlag vernahmen, hielten sie ihn zwar für vernünftig, seine Durchführung aber für unmöglich. Denn am gegenüberliegenden Ufer standen viele Reiter; diese würden sie daran hindern und nichts davon ausführen lassen. (Xenophon, Anabasis 3,5,7-12 | Reclam, 2009) 


Lederflöße/Tierbalgflöße: Beim Marsch durch Mesopotamien bzw. den heutigen Irak trug sich laut Xenophon folgendes zu.

Von dort (den Dörfern der Dame Parysatis) zogen sie in vier Tagesmärschen durch einsames Gebiet zwanzig Parasangen (100 - 120 km), den Tigris zur Linken. Beim ersten Rastplatz lag jenseits des Flusses eine große und reiche Stadt, Kainai mit Namen, aus der die Barbaren auf Lederflößen Brot, Käse und Wein überführten.  (Xenophon, Anabasis 2,4,28 | Reclam, 2009) 

Es ist meiner Ansicht nach nicht völlig sicher, ob Xenophon hier tatsächlich ein Floß bzw. eine Art Schlauchboot meinte, das aus aufgeblasenen Tierhäuten/Tierbälgen bestand. Möglich wäre auch ein schlichter Bootstyp, bei dem über einen Holzrahmen Tierhäute/Felle gespannt waren. Allerdings ist das Tierbalgfloß (Tierhautkellek) für die betreffende Gegend gute belegt. Z.B. in Form einer assyrischen Relief-Darstellung.
Die abgezogenen Tierbälge wurden bei solchen Flößen mit der Innenseite nach außen gekehrt, mit Salz und Fetten abgedichtet, mit leichtem Füllmaterial ausgestopft (oder nur aufgeblasen) und anschließend an einem Rahmen aus Stangen befestigt.


Schneesäcke: Bemerkenswert ist die folgende Beschreibung Xenophons, bei der vermutlich ebenfalls aufgeblasene (oder mit Stroh gefüllte?) Schläuche gemeint sind, die Auftrieb im tiefen Schnee geben sollten.

Die Pferde hier (in Armenien) waren kleiner als die persischen, aber weit feuriger. Der Dorfvorsteher riet ihnen noch, um die Füße der Pferde und Zugtiere Säcke zu binden, wenn sie durch den Schnee zögen; denn ohne diese Säcke sanken sie bis an den Bauch ein.  (Xenophon, Anabasis 4,6,36 | Reclam, 2009)


Schwimmschläuche: In Ceasars Werk über den Bürgerkrieg, in dem er seinen Kampf gegen die Senatspartei beschreibt, findet sich folgender Stelle über 'Kampfschwimmer' in Spanien/Portugal.

Die Soldaten die ausgezogen waren um Futter und Getreide zu beschaffen, wurden immer wieder von leichtbewaffneten Lusitaniern und leichtbeschildeten Ortskundigen aus dem diesseitigen Spanien verfolgt. Für sie war es leicht den Fluss zu durchschwimmen, weil sie dort alle die Gewohnheit haben, nicht ohne 'Schwimmschläuche' in das Heer einzutreten. (Caesar, Commentarii Belli Civilis, 1,48 | Reclam, 2008).

Dass solche Schwimmschläuche auch schon viele Jahrhunderte vor Caesar von Soldaten verwendet wurden, zeigt ein Ausschnitt aus dem ganz oben abgebildeten assyrisches Relief.

Über Mongolen, die im 13. Jh. Europa heimsuchten, sind Beschreibungen überliefert, die eine militärische Verwendung von Schwimmschläuchen auch noch im Mittelalter nahelegen.

Diese Tartaren (Mongolen), unvergleichliche Bogenschützen, haben künstlich bereitete Schläuche, mit deren Hilfe sie Seen und reißende Flüsse durchschwimmen [...]. (Matthäus Paris, 1896, S. 118 | in Bildung, Schule und Universität im Mittelalter, DeGruyter, 2019)

Freilich, das Durchqueren von Gewässern konnte bewaffneten Soldaten auch ohne solchen Schwimmschläuchen gelingen. Das bewies der junge Quintus Sertorius, der Jahre später aufgrund seines militärischen Geschicks noch zu einiger Berühmtheit gelangen sollte:

Den ersten Feldzug machte er unter Caepio mit, als die Kimbern und Teutonen in Gallien eingefallen waren; und als die Römer unglücklich kämpften und es zu allgemeiner Flucht kam, rettete er sich nach Verlust seines Pferdes und mehrfach verwundet über die Rhone, indem er samt Panzer und Schild trotz starker Strömung hinüberschwamm. So kraftvoll und durch Übungen abgehärtet war sein Körper. (Plutarch, Sertorius, 3 | Patmos, 2010)


Schwimmer aus Korken: Über die Aktivitäten des jüngeren Cato, der als römischer 'Landpfleger' ins damals gerade erst okkupierten Zypern entsandt wurde, existiert ein hochinteressanter Bericht, der zeigt, dass nicht nur Schläuche als Auftriebshilfen zum Einsatz kamen.

Insgesamt brachte Cato gegen 7000 Silbertalente zusammen. Da ihm die lange Seefahrt (nach Rom) Sorgen machte, ließ er eine Zahl von Gefäßen herstellen, deren jedes zwei Talente und 500 Drachmen fasste. An die Gefäße wurden lange Seile gebunden und am Ende der Seile große Korkstücke befestigt. Im Fall eines Schiffbruchs sollte der Kork die Stelle anzeigen, wo das Gefäß in der Tiefe lag. Die Gelder wurden dann auch fast ohne Verlust übers Meer gebracht. Plutarch, Cato, 38 | Patmos, 2010)


Wein-Tankwagen: Zurück zu den Säcken bzw. Schläuchen aus vernähten Tierhäuten: Natürlich konnte man diese nicht nur mit Luft, sondern auch mit Flüssigkeiten wie etwa Wein füllen - Stichwort 'Weinschlauch'. Eine absolute Übergröße dieser Behältnisform stellt das folgende abgebildete Beispiel dar; die Vorlage dafür habe ich in Mary Beards Buch "Pompeji - Leben in einer römischen Stadt" gefunden.
Zu sehen ist hier ein riesiger, auf einem Fuhrwerk befestigter Weinschlauch, dessen Inhalt gerade in eine Amphore gefüllt wird. Passenderweise befindet sich die mittlerweile stark verblasste Originaldarstellung auf der Wand einer pompejanischen Weinschenke in der sogenannten Via di Mercurio. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir hier eine beliebte Methode sehen, um vor allem den preiswerten Landwein der näheren Umgebung an die unzähligen Wirtshäuser (tabernae) der Stadt auszuliefern. Für Importe aus entfernteren Gegenden oder edle Weine (Falerner, Caecuber, ...) eignen sich Weinschläuche hingegen kaum; hierfür wurden stattdessen Amphoren oder Fässer aus Holz (vor allem in den Nordprovinzen) verwendet.



Wasserbetten: Ein letztes, geradezu erstaunliches Beispiel für die Verwendung eines Tierhaut-Behälters findet sich in Plutarchs Biografie von Alexander dem Großen:

Babylon ist ein außerordentlich heißes Land, sodass die Gerstenkörner bei der Aussaat oft vom Boden abprallen und in die Höhe springen, weil das Land gleichsam wie in Fieberhitze in pulsierender Bewegung ist und die Menschen in den heißen Zeiten auf mit Wasser gefüllten Schläuchen schlafen." (Plutarch, Alexander, 35 | Patmos, 2010)

Wer hätte gedacht, dass bereits vor weit über 2000 Jahren Menschen Wasserbetten verwendeten, um den Schlafkomfort zu heben? Geniale Antike!

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2 Kommentare:

  1. Der Bericht über Cato ist auch ein gutes Indiz dafür, wie gefährlich Seereisen damals gewesen sein müssen, weil ansonsten wäre man nicht so stark von der Möglichkeit eines Schiffbruchs ausgegangen.

    LG,
    Erwin

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    1. Auf jeden Fall. Es sind ja sogar mehrere große römische Kriegsflotten im Laufe der Zeit komplett oder größtenteils untergegangen. Übrigens auch Catos Rechnungsbücher, die er bezeichnenderweise sogar doppelt ausfertigen und auf unterschiedlichen Schiffen hat nach Rom bringen lassen. Eine Kopie verbrannte bei einem Landgang, die andere versank im Meer.

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