Freitag, 15. Mai 2020

👎 Von Rüpeln und Stümpern in der modernen Archäologie



Jemand meinte in durchaus guter Absicht, mit einigen meiner Blogbeiträge mache ich mir keine Freunde unter Archäologen. Wohl wahr, aber warum sollte ich das auch wollen? Zwar habe ich natürlich die eine oder andere Schwäche, wie etwa eine nur schwer zu bändigende Lust auf salzige Knabbereien, aber Gefallsucht zählt unübersehbar nicht dazu 😀. Und überhaupt: Archäologen mit denen ich im privaten Umfeld freundschaftlich verkehre, haben mit meiner Kritik kein Problem. Im Gegenteil, sie bestärken mich darin - etwa indem sie mir kopfschüttelnd von den Verfehlungen ihrer Kollegen berichten. In der Regel sind es dann natürlich auch genau diese Ausgräber, die sich nicht gerne kritisieren lassen und beleidigt reagieren.


Drei Anekdoten

1. Der Archäo-Waldschrat

Als studierte Biologin und passionierte 'Kräuterhexe' ist Julia, eine Living-History-Freundin von mir, seit einigen Jahren immer wieder im näheren Umfeld von Denkmälern wie Burgruinen unterwegs, um dort nach heute z.T. ungebräuchlichen Gewächsen bzw. Kulturpflanzen Ausschau zu halten; diese gedeihen nämlich an genau solchen Plätzen mitunter Jahrhunderte lang unbeobachtet. Zu den entdeckten Populationen macht sie hinsichtlich ihrer Lage genaue Aufzeichnungen mittels Google-Maps, pflückt Pflanzen - im Falle größerer Vorkommen - aber auch zwecks späterer Trocknung oder gräbt einzelne Exemplare aus, um sie zuhause im eigenen Garten zu vermehren. Wobei sie sich nie an geschützten Arten vergreift. So weit, so harmlos.

Vor nicht allzu langer Zeit ging Julia ihrem Hobby am Abhang einer Burgruine in Kärnten nach. Sie war gerade dabei, ein ausgegrabenes Kraut samt Erdballen in einen Plastiksack zu stecken, als plötzlich ein nicht mehr ganz junger Herr zwischen den Büschen hervorstolperte und sie anherrschte: "Was machen Sie da?!" Erschrocken - aber nicht auf den Mund gefallen - hat sie zurückgefragt, wer das denn wissen will. Keine Antwort. Stattdessen hieß es, immer noch in rüdem Tonfall: "Sie dürfen hier nicht graben, das ist denkmalgeschütztes Gebiet. Sie machen sich strafbar, ich kann Sie anzeigen."
Julia fragte, ob der Herr in Anglerweste und mit Baseballkappe auf dem hochroten Kopf Archäologe ist. Was ihr mit einem knappen "jawohl" bestätigt wurde. Dann - erklärte sie ihm - müsste er doch wissen, dass hier nur das gezielte Suchen nach archäologischen Objekten verboten ist, aber nicht das Einsammeln von Pflanzen. Anderenfalls wäre ja selbst Schwammerlsuchen neben der Ruine strafbar.
Nun aber ist der Archäologe erst so richtig pampig geworden, wohl weil ihm dämmerte, dass er sich gerade mit einem Schnellschuss zum Deppen gemacht hatte: "Das kann jeder behaupten, was glauben Sie, was ich schon alles für Ausreden gehört habe?" Daraufhin wurde ihm der Plastiksack mit der Pflanze vors Gesicht gehalten und die Frage gestellt, nach was das wohl aussieht? Jetzt endlich trat er den rhetorischen Rückzug an: Bei der Ruine seien immer wieder Raubgräber unterwegs, die würden einen riesigen wissenschaftlichen Schaden anrichten, deshalb muss man besonders wachsam sein usw. usf. Schließlich trollte er sich, hielt eine Entschuldigung aber offenbar nicht für nötig.

Das Problem war hier freilich weder die Wachsamkeit noch das Nachfragen, sondern der Tonfall und das insgesamt völlig überzogene Gehabe dieses Rumpelstilzchen-artigen Waldschrats. Mit Paranoia und martialischem Auftreten kann man bei der breiten Bevölkerung gewiss kein Verständnis für den Denkmalschutz bzw. für die Bodendenkmalpflege schaffen. Ganz im Gegenteil: Von selbsternannten Blockwarten unter Generalverdacht gestellt, wird manch einer den Behörden erst recht etwas husten und zukünftig jede Zusammenarbeit vermeiden.

2. Der Archäo-Beltracchi 

Was solche vor Selbstgerechtigkeit triefenden Auftritte noch ärgerlicher macht ist der Unwille, erst einmal vor der Tür der eigenen Community zu kehren. Denn auch innerhalb der Archäologie gibt es einiges an unethischem und sogar rechtswidrigem Verhalten, das wissenschaftlichen Schaden verursacht. So erklärte mir ein befreundeter Archäologe bereits vor Jahren, dass seiner Erfahrung nach die Anträge auf eine Bewilligung für archäologische Maßnahmen nach §11 DMSG immer wieder Fehlinformationen enthalten; dies wäre vor allem auf Inkompetenz von Berufskollegen zurückzuführen ("sogar zu dumm, die Katastermappe richtig zu lesen"), aber auch Absicht sei mitunter im Spiel ("wollen sich aus Faulheit Arbeit ersparen").

Tja, was soll man dazu noch sagen? Außer vielleicht, dass überdies jede Menge Schlampereien existieren, die im Zuge der Grabungen selbst stattfinden. Beispielsweise habe ich mit einiger Fassungslosigkeit beobachtet, wie ein abgetragener Mutterboden aus Bequemlichkeit von studentischen Hiwis so knapp neben den Suchschnitt geschüttet worden war, dass er in diesen während den weiteren archäologischen Arbeiten in nicht unerheblichem Maße sukzessive zurückgerieselt ist, festgetrampelt wurde und so samt potentiell enthaltenen Artefakten plötzlich in tiefere Strata gelangte. Der Grabungsleiter hat, als ihm das viel zu spät aufgefallen ist, in Fälschungsabsicht einfach ins Grabungsprotokoll eingetragen, außergewöhnlich starker Wind hätte Teile des Aushubs in den Nachtstunden unbemerkt verfrachtet. 😂

3. Der falsche Nordpfeil und noch mehr Schlampereien

Ebenfalls etwas aus dem persönlich miterlebten Grabungsalltag: Der für die sachgemäße Dokumentation vorgeschriebene Nordpfeil zeigte auf zig Bildern nicht etwa nach Norden, sondern mehr nach Westen. Grund dafür war die für das Ausrichten verwendete Kompass-App eines Handys, die falsch kalibriert gewesen ist; dabei wäre doch eigens ein Magnet- bzw. Peilkompass zur Verfügung gestanden, der allerdings vorübergehend nicht auffindbar war... Wobei: Auch mit diesem ist es natürlich leicht möglich, Fehler zu produzieren. Wenn man nämlich die lokal jeweils unterschiedliche Abweichung des magnetischen Nordpols vom geographischen Nordpol gar nicht oder falsch berücksichtigt. Genau das kommt relativ häufig vor, aber nicht aus Unkenntnis, sondern aus purer Schlamperei. Auf die spätere wissenschaftliche Auswertung kann so etwas gravierende Auswirkungen haben - etwa wenn es um die Frage geht, ob die Ausrichtung eines Gebäudes oder eines Bestatteten einen bestimmten Zweck verfolgt haben könnte. Selbst wenige Grad Abweichung können hier schon zu folgenschweren Fehlschlüssen führen.

Der für das Nordpfeil-Missgeschick Verantwortliche hat auch - entgegen den gesetzlichen Vorgaben - kein regelmäßiges Backup des Fotomaterials auf externen Datenträgern vorgenommen (diese absolut sinnvolle Vorsichtsmaßnahme wird oft von Archäologen missachtet). Er brachte stattdessen eine junge Studentin den Tränen nahe, die er angeraunzt hatte, weil sie zum Fotografieren statt der zur Verfügung gestellten Canon-Spiegelreflexkamera lieber ihr iPhone XS Max verwendete; das, wohlgemerkt, die Fotos automatisch online in der iCloud gesichert hat und dank ausgeklügelter Software noch dazu qualitativ deutlich bessere Ergebnisse lieferte, als die von allen Beteiligten schlecht bediente Canon aus dem Jahre Schnee. Aber dergleichen erschließt sich offenbar nicht jedem. Am allerwenigsten dem Bundesdenkmalamt (BDA), das auch in seinen aktuellen Richtlinien für archäologische Maßnahmen ausnahmslos auf eine Spiegelreflex- bzw. Systemkamera beharrt - gerade so, als ob man von der technischen Entwicklung der letzten Jahre nichts mitbekommen hätte.

Fazit

Wie oben geschildert sieht also die Realität in der archäologischen Wissenschaft aus. Ich würde es zwar nicht als die Regel bezeichnen, aber auch nicht als extrem seltene Ausnahmen. Über dergleichen spricht man innerhalb der Archäologie jedenfalls kaum - und öffentlich erst recht nicht. Viel einfacher ist es, mit dem Finger auf Außenstehende wie Metallsucher zu zeigen und der Medienöffentlichkeit beharrlich das Theater einer durch und durch sorgsamen Wissenschaft vorzuspielen. Hierbei läuft man schließlich nicht Gefahr, sich mit Kollegenkritik die eigene Karriere zu verbauen. Diese Einstellung ist jedoch keine geeignete Grundlage für das Beseitigen von Qualitätsmängeln, welche es - wie in allen anderen Berufen - natürlich auch in der Archäologie in ausreichendem Maße gibt.

Die Leser sind dazu eingeladen, im Kommentarbereich gegebenenfalls ihre Erfahrungen mit fragwürdiger archäologischer Arbeit zu teilen. Wer möchte, der kann mir auch eine E-Mail schicken (Hiltibold [at] gmail . com). Ich habe gerade an Erfahrungsberichten aus der Praxis immer Interesse und berücksichtige dergleichen gerne in zukünftigen Beiträgen zum aus meiner Sicht wichtigen Themenkomplex der Archäologie-Kritik.

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11 Kommentare:

  1. Richard, vielleicht ist es an der Zeit, eine Sammlung mit den Missgeschicken, die im Rahmen des archäologischen Arbeitens auftreten, in Buchform zu präsentieren. Das könnte lustig werden. Z.B. bei meiner ersten Grabung als Student haben wir in einem winzigen Kaff in Niederösterreich um vielleicht zwei Meter versetzt an der falschen Stelle gegraben und mit dem Löffel des Baggers das Abwasserrohr eines benachbarten Kindergartens aufgerissen. Der halbe Grabungsschnitt ist daraufhin mit Fäkalien geflutet worden. Shit happens ;-)

    Robert

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    1. " Abwasserrohr eines benachbarten Kindergartens aufgerissen. Der halbe Grabungsschnitt ist daraufhin mit Fäkalien geflutet worden"

      Daher der Begriff "das ist doch Kinderkacke" ;)

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  2. Aber was macht man, wenn man unkomprimierte Photos benötigt? Da ist man doch auf eine große Kamera angewiesen, oder?

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    1. Im RAW-Format kann man mit entsprechenden Apps aufnehmen. Wobei ich es sehr bezweifle, dass das bei den mittlerweile überaus ausgeklügelten Komprimierungsverfahren im Zuge feldarchäologischer Tätigkeiten überhaupt je nötig ist. Die entsprechende Vorgabe, die das BDA diesbezüglich macht, fußt wohl auf dem technischen Stand von vorgestern.
      Freilich, für bestimmte Aufnahmen sind (richtige bediente) 'Großkameras' immer noch besser als Smartphonekameras geeignet. In den meisten Fällen reicht meiner Einschätzung nach allerdings die Kamera eines modernen Smartphones der gehobenen Preisklasse mehr als nur aus.

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  3. Hm, ich frage mich, ob das BDA so Dinge wie die Verwendung der vorgeschriebenen Kameraklasse anhand der EXIF-Daten überhaupt je kontrolliert. Bei deren Personalstand kann ich mir das nicht vorstellen.

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  4. "Rumpelstilzchen-artigen Waldschrats"
    Hehe. :-)
    RR

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  5. Ich weiß nicht, wie die Vorschriften bei mir in BW sind, aber ich habe hier Archäologen auch schon Fotos mit Smartphones machen sehen.
    LG,
    Martina

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    1. Weißt du, ob sie das für die offizielle Dokumentation der Befunde gemacht haben oder privat? Weil das wäre schon ein großer Unterschied.

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  6. Danke für diesen Einblick! Dass da nicht alles immer nach Vorschriften läuft, habe ich schon länger vermutet. Ein Problem ist wahrscheinlich auch, dass die meisten Archäologen Kritik an Kollegen deshalb unterlassen, weil sie fürchten, die Archäologie könnte insgesamt als Wissenschaft in ein schlechtes Licht gerückt werden. So ähnlich wie das auch bei der Polizei ist, dort schließt man ja auchgerne die Reihen bei internen Unregelmäßigkeiten. Maulwurf

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  7. Mich würde interessieren, wie häufig es vorkommt, dass Archäologen etwas von so einer Ausgrabung mopsen. Da sie nicht moralisch besser sind als der Durchschnittsbürger, muss das zwingend immer wieder vorkommen. Wäre interessant, ob es dazu Untersuchungen gibt.

    Karl0

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  8. Hallo und vielen Dank für Ihren Bericht.
    Sind diese Schlampereien alle bei derselben Grabung vorgekommen? In dem Fall wäre ich sehr dafür, dem Hauptverantwortlichen das Handwerk zu legen, bevor er noch mehr Schaden anrichtet. Ich kontaktiere Sie auch noch per Mail.

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