Sonntag, 4. April 2021

📖 Zeitschrift Bayerische Archäologie: Die Etrusker und ihre Ausstrahlung nördlich der Alpen (Uijegerl!)

Themenschwerpunkt in Heft 1/2021 der vom Verlag Friedrich Pustet herausgegebenen Zeitschrift "Bayerische Archäologie" ist das immer noch etwas mysteriöse Volk der Etrusker. Als Nachbarn der frühen Römer übten sie einen starken Einfluss auf deren Kultur aus. Aber auch im Norden, nämlich bei den Kelten und besonders bei den Rätern in den Alpen sind mitunter sehr deutliche Hinweise auf die Etrusker zu finden.


Archäologisches Krawallvokabular: Vulci - Anatomie einer "geplünderten" etruskischen Stadt

Die ungefähr 100 km nordwestlich von Rom gelegene etruskische Stadt Vulci ist für die archäologische Forschung bis heute eine echte Fundgrube. Besonders die mitunter prächtig ausgemalten etruskischen Grabbauten wie etwa die Tomba François können als absolute Highlights bezeichnet werden. 
Leider sind jedoch viele der schon früh entdeckten Gräber entweder zwischenzeitlich zerstört worden oder verschollen. Ein erklecklicher, nicht uninteressanter Teil des Textes über Vulci beschäftigt sich dann auch mit der in der Renaissance einsetzenden Forschungsgeschichte, die bis ins 20. Jahrhundert hinein vor allem von Sammlern, schlampigen 'Archäologen' und Schatzsuchern geprägt war. 
Dass durch deren Aktivitäten für die Forschung ein enormer Schaden entstand ist überaus tragisch. Trotzdem wäre es schön gewesen, wenn sich die beiden verantwortlichen Autoren diesbezüglich eines sachlich richtigen Vokabulars bedient hätte, anstatt in typischer Archäologenmanier in sprachlichen Übertreibungen zu schwelgen und etwa von "Plünderungen" zu fabulieren. Denn Plünderung ist ein Eigentumsdelikt, das an natürlichen und juristischen Personen begangen wird. Hinsichtlich der über 2000 Jahre alten etruskischen Gräber, die Jahrhunderte lang mit Duldung oder oft sogar im Auftrag der lokalen bzw. staatlichen Autoritäten nach verwertbaren Dingen durchwühlt wurden, ist das unzutreffend.
Lob verdient der Beitrag dann allerdings wieder für die vielen schönen und für das Verständnis oft hilfreichen Illustrationen; darunter z.B. die Rekonstruktion eines Teils der Stadtmauer von Vulci und eines etruskischen Tempels.


Etwas langweilig: Aus Etrurien ins Nördlinger Ries

In diesem Text geht es vor allem um in der Keltenzeit importierte etruskische Objekte, die im Boden des heutigen Bayerns entdeckt wurden. Darunter ein kostbares Kurzschwert, Kochutensilien und eine bronzene Statuette. Sie zeugen von regen Handelsbeziehungen zwischen den etruskischen Gebieten Italiens und beispielsweise den keltisch besiedelten Regionen Süddeutschlands. 
Leider besteht der Beitrag für meinen Geschmack zu oft aus eher langweiligen Aneinanderreihung archäologischer Befunde. Weniger wäre hier mehr gewesen, dementsprechend hätte meiner Meinung nach auch die Hälfte des Textes ausgereicht.


Uijegerl, peinliches 'virtue signalling' fürs Foto!

Die in der Heftmitte abgedruckten Mitteilungen der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V. enthalten ein Paradebeispiel für peinliches 'virtue signalling': Auf einem Foto ist die im Rahmen einer Buchvorstellung vollzogene Übergabe (?) des aktuellen Bandes der Reihe "Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands" zu sehen. Die beiden involvierten Personen stehen dabei dermaßen weit voneinander entfernt, dass sie das Buch gerade noch mit jeweils einer ihrer ausgestreckten Hände berühren können. Auch die anderen Anwesenden haben sich demonstrativ in einer mitunter noch größeren Entfernung positioniert🙄. Das Ergebnis ist eine Szene, die auch gut in den Film Idiocracy gepasst hätte. 


Es ist wirklich zum Fremdschämen, wenn Opportunisten offenbar krampfhaft versuchen, sich öffentlich als mustergültige Untertanen zu inszenieren; die harmloseste Analogie, welche mir dazu einfällt sind die Anwandlungen von Teilen des Bürgertums im wilhelminischen Deutschland. 

Wenn diese Herrschaften ernsthaft Angst vor dem Virus haben, und das steht ihnen natürlich frei, dann hätten sie gleich zuhause bleiben bzw. alles virtuell übers Internet veranstalten sollen. Diese Art Zirkus interessiert ja in der Regel sowieso niemanden so richtig. Man geht halt hin, weil es von einem erwartet wird.
Aufgrund der eigenen Lebens- und Alltagserfahrung kann man freilich mit nahezu absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass die Versammelten bei der Buchvorstellung (und auch ansonsten) nicht ständig dermaßen große Abstände hielten, sondern hier nur fürs Foto Laientheater gespielt haben und dabei mit ihrer Darbietung ins 'overacting' abgeglitten sind. Allem Anschein nach hält man den Leser für ziemlich naiv, um nicht zu sagen für total gaga - anderenfalls hätte man gar nicht erst versucht, ihm einen solchen Bären aufzubinden. Letztendlich ist dieses heuchlerische Zurschaustellen der eigenen 'Tugend' unterm Strich nicht nur peinlich, sondern aufgrund der offenkundigen Täuschungsabsicht geradezu ärgerlich.


Eine Zumutung: Das Verhältnis der rätischen Sprache zum Etruskischen

In welcher verwandtschaftlichen Beziehung stand das in den Alpen lebenden Volk der Räter mit den in Italien lebenden Etruskern? Diese Frage bewegte schon antike Autoren, denen sprachliche Gemeinsamkeiten aufgefallen sind. Waren die auch auf deutschem und österreichischem Boden siedelnden Räter gar 'verwilderte' Etrusker - wie gemutmaßt wurde? Über Erkenntnisse, die diesbezüglich sprachwissenschaftliche Untersuchungen von ca 330 überlieferten rätischen Inschriften ergaben, geht es in einem Beitrag der Epigrafikerin Corinna Salomon. 

Nun mag Frau Salomon in fachlicher Hinsicht eine Kennerin dieser durchaus interessanten Materie sein. Anders als ihr Nachname suggeriert, besaß sie hier jedoch nicht die Weisheit, sich einer allgemein verständlichen Sprache zu bedienen. Ganz im Gegenteil, ihre Fremdwortvöllerei geht phasenweise wirklich auf keine Kuhhaut mehr. Hier ein Beispiel von vielen:

Zum gegebenen Zeitpunkt ist nicht klar, wie nah verwandt Rätisch und Etruskisch sind. Die Ähnlichkeit der Phonemsysteme, der bemerkenswerten formalen Übereinstimmungen in Flexionsbereich mit Durchführung der von Rix angesetzten prähistorischen Apokope und den vollen Wortgleichungen stehen semantische Widersprüche in Wortbedeutungen, Allomorphenverteilung und Kasusfunktionen gegenüber. Ebenfalls auffallend sind die Abweichungen in den Patronymsuffixen und generell die Magerkeit gemeinsamen ererbten onomastischen Materials.

WTF?! Wer soll denn dieses Fach-Kauderwelsch bitteschön durchgehend verstehen? Gerne kann man dergleichen in einem Blatt für Linguistik veröffentlichen, aber doch nicht in einer Archäologiezeitschrift, deren Leserschaft sich fast ausschließlich aus sprachwissenschaftlich nicht Vorgebildeten zusammensetzt.
Was denken sich die Verantwortlichen wohl dabei, so etwas in ihr Heft aufzunehmen ohne zuvor eine Überarbeitung zu veranlassen? Konnte man die offenbar etwas merkbefreite* Autorin nicht in ihrem akademischen Wolkenkuckucksheim kontaktieren und sie bitten, die unleserlichen Passagen halbwegs zu entschärfen oder zumindest Fußnoten mit Erläuterungen einzubinden? 

* Merkbefreit ist die Autorin dann, wenn sie den Text speziell für die Zeitschrift "Bayerische Archäologie" verfasst hat. Sollte man sich ihn jedoch nur 'ausgeborgt' haben, da er ursprünglich ganz woanders erschienen ist (etwa in einem Fachblatt), dann liegt die Schuld ausschließlich beim Herausgeber. Er hätte auf den ersten Blick realisieren müssen, dass hier die meisten Leser überfordert werden und der Text daher ungeeignet ist. Jede Wette, dass auch er selbst vieles nicht verstanden hat!


Die Krieger von Rain am Lech: Einblicke in die Bilderwelt des 6. und 7. Jahrhunderts

Merowingerzeitliche Riemenzungen einer Wadenbindengarnitur, die man in Rain am Lech entdeckt hat, werden in diesem durchaus interessanten Beitrag zum Anlass genommen, um die darauf dargestellten Krieger mit ähnlichen frühmittelalterlichen Motiven auf anderen archäologischen Funden zu vergleichen und die dahinterstehende Bedeutung zu beleuchten. Unter den Objekten befindet sich etwa die bedeutende Leier von Trossingen, die Schwerscheide von Gutenstein, der Helm aus dem Grab Valsgärde 8 usw.
Die Autorin vermutet, dass einige dieser frühmittelalterlichen Kriegerdarstellungen - und zwar speziell jene, die einen Krieger zeigen, der zu Pferde gerade einen Feind über den Haufen reitet - ursprünglich Grabsteine römischer Kavalleristen zum Vorbild gehabt haben könnten. Dementsprechend müssten einige der besagten Grabsteine noch zur Merowingerzeit sichtbar gewesen sein. Eine durchaus interessante Vorstellung. 
Mir persönlich fallen im Zusammenhang mit dem Bildmotiv des Reiterkriegers freilich auch noch römische Münzen ein, die als Quellen gedient haben könnten. Einige enthielten nämlich ebenfalls die entsprechenden Darstellungen und sie waren z.T. auch in der Merowingerzeit immer noch als Zahlungsmittel im Umlauf.


Steinhämmer oder Keulenköpfe?

Bedingt durch Material und Form werden auf unseren Äckern steinzeitliche Objekte oft übersehen. Darunter befinden sich z.B. Steinhämmer/Keulenköpfe mit sanduhrförmiger Durchbohrung. Über entsprechende Funde in Bayern schreib Karl Heinz Rieder, der sich auch daran gemacht hat, selbst ein solches Werkzeug zu rekonstruieren. Oder war es doch eine Waffe? Die Forschung weiß es nicht und schwankt bei der Beurteilung des Verwendungszwecks irgendwo zwischen Fellklopfer, Nussknacker und Totschläger. Für mich ein überraschend interessantes Thema.


Sonstige Beiträge
  • 1000 Jahre alte (ottonische) Wandmalereien im Augsburger Dom
  • Etruskische Schätze in München
  • Sonderausstellung: Die ersten Franken
  • Leserbriefe zum Thema Abrisse alter Häuser
  • Ein Forscherleben für das bayerische Paläolithikum - Gisela Freund zum  100 Geburtstag
  • Erforscher der frühen Römerzeit - Zum 90. Geurtstag von Günter Ulbert
  • Neue Bücher (⚠ Achtung, darunter befindet sich ein für einige Leser des Blogs wohl interessantes Buch mit dem Titel: "Wurmbuntschmiedetechnik - von den Anfängen bis zur Blütezeit im Frühmittelalter". Bei Amazon ist es zurzeit nicht erhältlich, aber direkt beim Verlag - was eventuell Absicht ist)


Fazit

Der eigentlich spannende Themenschwerpunkt Etrusker wurde hier nicht meinen Erwartungen entsprechend behandelt. Experte zu sein bedeutet eben noch lange nicht, dass man auch die Fähigkeit besitzt allgemein verständliche und interessante Texte zu schreiben. Davon abgesehen enthält das Heft durchaus einige gelungene Beiträge. Mehr als 3 Sterne gehen sich diesmal aber leider bei der Gesamtbewertung nicht aus.




8 Kommentare:

  1. Traurig daran ist, dass es sicher einige naive Leute geben wird, die ihnen diese realitätsfremde Abstandsshow abnehmen werden. Ich habe allerdings herzhaft gelacht, als ich das Foto gesehen habe :-)

    Den Artikel mit den Kriegerdarstellungen habe ich auch sehr gut gefunden. Interessant waren dabei auch die ikonographischen Verbindungen nach Skandinavien.

    LeMusiu

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    1. Wenn man bedenkt, dass viele der im süddeutschen Raum siedelnden Germanen ihre Ursprünge im Norden haben, dann sind solche Gemeinsamkeiten in der Bildersprache eigentlich gar nicht so verwunderlich.

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  2. Zum Fachchinesisch: Da haben sie offensichtlich vergessen, dass die Zeitschrift Bayerische Archäologie hauptsächlich von Laien gelesen wird.

    Der Wanderschmied

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  3. Hört sich ja nicht gerade prickelnd an. Würde ich die Reihe nicht vollständig haben wollen, dann würde ich das Heft auslassen. Schade, aber es kommen sicher wieder bessere. :-)
    C3PO

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  4. Das nächste Mal erfolgt die Buchübergabe gleich mittels zwei jeweils 3 Meter langen Kneifzangen. Um wirklich sicher zu gehen.
    :D

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  5. Hiltibold, ich bitte dich, du wirst doch wohl wissen was die Allomorphenverteilung ist!??
    ;D

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    1. Heute lernt man das schon im Kindergarten, aber zu meiner Zeit war das noch nicht der Fall ;)

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  6. Ich hoffe doch sehr, dass die zwei Herren sich nach dem Überreichen des Buchs umgehend die Hände desinfiziert haben, denn es gibt auch Schmierinfektionen, dagegen hilft auch kein Abstandhalten. ;-)

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