Dienstag, 30. November 2021

🏰 Die Sturmleiter: Auf die Länge kommt es an!

Wer glaubt, das Erstürmen einer Festungsmauer mittels Leitern ("Eskalade") sei eine relativ simple Sache, der irrt. Wenn nämlich die Angreifer hier bei der Planung Nachlässigkeit walten ließen und die Länge der Leitern nicht exakt auf die Höhe des zu erstürmenden Mauerabschnitts abstimmten, war ihr Vorhaben oft von vornherein zum Scheitern verurteilt. Schon der im 4. Jahrhundert vor Christus lebende Autor Aeneas Tacticus geht in seinem militärischen Fachbuch "Poliorketika" (=Stadtverteidigung) darauf ein.

Dem Anlegen der Leitern begegnet man so: Wenn die Leiter beim Ansetzen die Mauer überragt, muss man, wenn der Heraufsteigende oben ist, den Mann oder die Leiter abstoßen mit einem zweizinkigen Holz, wenn es wegen den Pfeilschüssen von unten nicht anders möglich ist. Wenn die Leiter genauso hoch wie die Mauer ist und man sie nicht abzustoßen vermag, muss man den Herübersteigenden zurückstoßen. [...]
Aeneas Tacticus, Poliorketika / Stadtverteidigung 36, 1-2 | Übers.: Kai Brodersen, De Gruyter 2017

Die Leiter - inklusive etlicher darauf befindlicher Angreifer - aus der Deckung heraus mittels einer großen Gabel umzustoßen, war eindeutig die wirkungsvollste Möglichkeit, um aus Verteidigersicht beim Gegner größtmöglichen Schaden anzurichten, selbst dabei aber nur ein geringes Risiko einzugehen. 
Aus Sicht des Angreifers wiederum war es daher von großer Wichtigkeit, dem Feind nicht in die Hände zu spielen; eine Leiter an die Mauer anzulegen, die diese überragte, musste dementsprechend vermieden werden. Sie durfte aber auch nicht zu kurz sein, da man anderenfalls die Mauer nicht zügig genug oder überhaupt nicht übersteigen konnte.
Wurde hingegen alles richtig gemacht, dann konnten die Verteidiger auf den Mauern mithilfe von Beschuss so lange in Deckung gezwungen werden, bis die eigenen Leute auf den Leitern die Mauerkrone erreicht hatten. Vorausgesetzt natürlich, man verfügte über Schützen, die gut - und nicht schlecht - zielten. Stichwort "friendly fire".
Überwand man dann die Mauer, bei gleichzeitigem 'Verstummen' des Feuerschutzes vom Boden, mussten freilich noch die jetzt aus ihrer Deckung hochschnellenden Verteidiger zurückgedrängt werden. Hier stellten sich die Chancen für den Angreifer wesentlich besser dar, als in dem Szenario mit den zu langen Leitern. Konnte er sich doch aktiv zur Wehr setzen, indem er beispielsweise versuchte, den Verteidigern im Handgemenge Gabeln und Spieße zu entreißen, mit denen diese auf ihn eindrangen.

Links: Zu kurze Sturmleiter | Mitte: Zu lange Sturmleiter | Rechts: Sturmleiter mit optimaler Länge 
Keine Rechte vorbehalten, doch um die Nennenung der Quelle wird gebeten: HILTIBOLD.Blogspot.com


Freilich, auch eine Sturmleiter mit der optimalen Länge konnte unter bestimmten Umständen umgeworfen werden - etwa wenn ein besonders todesmutiger Verteidiger die Deckung verließ und sich mit seiner Gabel über die Mauerkrone lehnt. Spätestens seit dem Mittelalter gab es daher auch Ausführungen von Leitern, die mittels Haken  befestigt werden konnten. 

Doch auch schon in der Antike wurden Alternativen zu einfachen Leitern verwendet. Z.T. waren diese außerordentlich 'elaboriert' bzw. handwerklich wesentlich anspruchsvoller als jene mit Haken versehen Ausführungen des Mittelalters. Ein gutes Beispiel dafür ist eine mechanische Steigleiter wie sie im 3. Jh. v. Chr. vom hellenistischen Kriegsschriftsteller Biton beschrieben wird. Siehe meinen Blogbeitrag - inklusive Zeichnung - dazu.
In welchem Ausmaß gerade diese technisch komplizierte Aufstiegshilfe tatsächlich eingesetzt worden ist, bleibt freilich offen. Durchaus darf man vermuten, dass dies aufgrund des Aufwandes und des nötigen Know-Hows im Vergleich zu normalen Leitern nicht allzu häufig der Fall war.


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