Mittwoch, 23. November 2022

📖 Buch: Gesundheit aus dem Garten - oder: Warum man Zwiebelsaft in seine Ohren träufeln sollte



Über den im 3. Jahrhundert nach Christus lebenden Autor Quintus Gargilius Martialis weiß man nur sehr wenig Gesichertes. Möglicherweise durchlief er die nicht untypische Karriere eines römischen Ritters, die ihn in diverse militärische und zivile Ämter führte. Eine Innschrift lässt vermuten, dass er vielleicht 260 n. Chr. in Mauretanien im Kampf gegen einen Berberhäuptling sein Leben verlor. Heute einschlägig Interessierten bekannt ist er aber vor allem wegen seinen fragmentarisch erhaltenen Schriften über die heilenden oder zumindest gesundheitsfördernden Wirkungen von vor allem typischen Gartenpflanzen wie Rettich, Gurke, Lauch, Basilikum, Sauerampfer, Dill, Kastanie, Birne, Bohnenkraut etc. Noch im Mittelalter scheinen sich seine Ratschläge - besonders im Klosterumfeld - einiger Beliebtheit erfreut zu haben. Auch arabische Gelehrte schätzten sie. Was allerdings dürfen wir in Kenntnis der modernen ernährungswissenschaftlichen und medizinischen Forschungsergebnisse davon halten? Kann man hier Wissen entnehmen, das für uns immer noch nützlich ist? Sind etwa die von Gargilius quasi als 'Superfood' gepriesenen Pflanzen wirklich so super? Der Autor beruft sich zwar gerne auf berühmte Mediziner der Antike, aber auch deren Einlassungen werden heutigen Anforderungen mitunter nicht mehr gerecht. Und doch hält bei Gargilius vieles dem prüfenden Blick des Fachmanns stand, wie der Medizinhistoriker Robert Jütte in einem am Buchende abgedruckten Interview erklärt. Einige der im Werk angeführten Leiden, für die Gargilius Rezepte parat hält, existieren freilich kaum noch, sondern sind typisch für eine vormoderne Gesellschaft mit ihrem Mangel an Hygiene; dazu zählen z.B. das Triefauge und die Fuchsräude. Aber auch stärkerer Tobak wie Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaftskomplikationen und die Mutterkornvergiftung, die bis in die Neuzeit hinein ein Problem darstellte, finden Erwähnung. Manche der vorgeschlagenen Naturheilmittel werden über den Mund aufgenommen, andere wiederum auf die Haut geschmiert.
Ein besonders gutes Beispiel für die von Gargilius behaupteten heilenden Eigenschaften einer Pflanze ist die recht gut erforschte Zwiebel/Küchenzwiebel. So manches davon kann die moderne evidenzbasierte Medizin bestätigen. Anderes wiederum eher nicht.

Unter Ärzten gehen die Meinungen über die Eigenschaften von Zwiebeln auseinander: Dioskurides glaubt, dass der Verzehr von Zwiebeln Durst, Blähungen und Schweregefühl im Kopf verursacht. Galen ist der Meinung, dass sie nur für diejenigen Kontraindiziert sind, die gallehaltig erscheinen, aber er versichert andererseits, dass sie sogar für diejenigen vorteilhaft sind, die an einer Schleimstörung leiden. Dem Asklepiades scheint die Zwiebel eine äußerst große Notwendigkeit zu sein, und diejenigen, die täglich auf nüchternen Magen eine Zwiebel genommen haben, erwerben nach seinen Worten eine solide Gesundheit. Er glaubt, dass sie ein gesundes Nahrungsmittel auch für den Magen ist, zweifellos aus dem Grund, dass sie den Geist anregt. Er glaubt auch, dass Zwiebeln die Besonderheit haben, dass sie uns den Reiz eines schönen Teints verleihen, wenn wir sie essen.
Alle sind sich einig, dass Zwiebeln den Schlaf fördern und den Magen entspannen. Sie heilen Mundgeschwüre, wenn sie mit Brot gekaut werden. Frische, mit Essig eingeriebene Zwiebeln heilen Hundebisse. Auch trockene, mit Honig zerkleinerte Zwiebeln haben die gleiche Kraft, gegen diese Bisse zu helfen. In einem solchen Fall wird angeordnet, dass sie, in Wein und Honig gekocht, auf die Wunde gelegt und erst nach dem dritten Tag entfernt werden. Dioskurus rät, Salz und Zwiebeln auf die Hundebisse zu streuen. Zwiebelsaft mit Frauenmilch in die Ohren eingeträufelt, bekämpft Schmerzen. Manche haben ihn bei plötzlichem Verstummen in Wasser zu trinken gegeben. Wenn er häufig zur Zahnreinigung eingenommen wird, soll er die Zähne intakt halten. Bei der verzögerten Menstruation von Frauen ist es nicht unwirksam, Zwiebeln zum Essen zu geben oder ihren Saft in Wein zu mischen. Dieser Saft reinigt den Kopf sehr gut, zumindest wenn er lange erstickt war, und gemischt mit Hühnerfett lindert er die durch Schuhe verursachten Schwielen an den Füßen. 
Es hat sich sich für diejenigen, die an Bauchfluss (Durchfall) leiden als vorteilhaft erwiesen, gekochte Zwiebeln vor den Mahlzeiten in Öl einzuweichen, um die Schmerzen, die bei solchen Beschwerden unvermeidlich sind, zu lindern. Es ist bekannt, dass das Einreiben der von Alopezie (Fuchsräude) betroffenen Stellen mit zerdrückten Zwiebeln eines der wirksamsten Heilmittel ist. Galen sagt, dass das Haar bei Verwendung von Zwiebeln auf diese Weise schneller nachwächst als bei Verwendung von Alcyonium (Seeschaum)
Gargilius / Kai Brodersen (Hrsg.)| Gesundheit aus dem Garten, S 75-77 | Verlag: Reclam, 2022

Neben solchen hausmedizinischen bzw. naturheilkundlichen Aspekten wird in Gargilius' Texten aber auch die Obstbaumzucht angeschnitten. Außerdem wurde in der vorliegenden Ausgabe von Reclam ein antiker Text über die Heilung von Rindern, Eseln und Pferden beigefügt, der allerdings zu Unrecht Gargilius zugeschrieben worden sein dürfte. Was ist z.B. zu tun, wenn eines der Tiere versehentlich Hühnerkot gefressen hat oder wenn es von einer Spitzmaus gebissen wurde (nicht lachen, denn Mäuse sind oft Krankheitsüberträger - vielleicht fürchten sich selbst Elefanten deshalb so sehr vor ihnen 😉).

Die Publikation, für welche Kai Brodersen verantwortlich zeichnet, enthält sowohl den lateinischen Originaltext wie auch die deutsche Übersetzung. Das kann sehr nützlich sein, da beim Übersetzen manches Interpretationssache ist und man als Leser eventuell zu anderen Schlüssen kommt als der Übersetzer.
Die Maßeinheiten, die ja gerade bei medizinischen Anwendungen, aber auch beim Zubereiten von Speisen große Bedeutung besitzen, werden in der Einleitung gesondert erläutert. Darüber hinaus ist ein Literaturverzeichnis enthalten.


Fazit: Eine lesenswertes Büchlein, das beispielsweise medizinhistorisch und naturheilkundlich Interessierten zu empfehlen ist. Aber auch abseits davon ist viel Wissenswertes enthalten, so etwa Aspekte zur antiken Landwirtschaft. 
Schön, dass der Verlag Reclam immer wieder solche nicht allzu bekannten antiken Werke zu einem relativ günstigen Preis (€ 8,23) veröffentlicht. Ein Stichwortverzeichnis, etwa zu den besprochenen Krankheiten und Wehwehchen, vermisse ich hier allerdings ein wenig. Damit hätte man den praktischen Nutzen dieser Ausgabe als Nachschlagewerk noch deutlich steigern können.

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