Sonntag, 12. Oktober 2025

Schwarzes Sperma - ein antiker Bericht von Herodot


Der im 5. Jahrhundert vor Christus lebende Geschichtsschreiber Herodot von Halikarnassos hat uns mit seinem großen Geschichtswerk "Historien" eine nahezu unerschöpfliche Quelle hinterlassen. Über den Inhalt staunt man selbst heute noch - allerdings nicht ausschließlich im positiven Sinn. Denn neben qualitativ hochwertigen Informationen findet sich darin auch höchst Wunderliches. Ein Paradebeispiel dafür ist der folgende Text. Die entsprechende Behauptung ist Teil einer Schilderung der körperlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Völkern, welche Herodot im Kontext der persischen Eroberungszüge des Herrschers Kambyses erwähnt.

[...]
Diese Äthioper und ihre Nachbarstämme haben die gleiche Art von Sperma wie auch die indischen Kallantier, und sie haben unterirdische Behausungen. 
[...]
Der Geschlechtsverkehr ist bei allen diesen Indern, die ich aufgezählt habe, eine öffentliche Angelegenheit wie beim Weidevieh; und sie haben auch alle die gleiche Hautfarbe, und zwar eine den Äthiopern ähnliche. Ihr Sperma, das sie in die Frauen ejakulieren, ist nicht weiß wie bei den anderen Menschen, sondern schwarz wie ihre Haut. Ein solches Sperma ejakulieren auch die Äthioper.
[...] 
Herodot | Historien, 3. Buch, 97.1-101.1 | Hrsg.: Heinz-Günther Nesselrath | Alfred Kröner Verlag, 2017

Die Behauptung über "schwarzes Sperma" darf man höchstwahrscheinlich als Beispiel für Herodots Neigung interpretiert, exotische oder sensationelle Details zu sammeln, die das Interesse seiner Leser wecken sollten. Auch die Erwähnung des angeblich öffentlichen Vögelns könnte dieser Absicht folgen.
Hinzu kommt die bei Herodot (und weiteren antiken Autoren) zu beobachtende Tendenz, körperliche Merkmale wie Hautfarbe mit anderen biologischen Eigenschaften zu verknüpfen. Das gilt heutzutage verständlicherweise nicht mehr als sehr wissenschaftlich (und schon gar nicht als politisch korrekt). 
 
Interessanterweise wurde das konkrete Beispiel - wenige Jahrzehnte nach Herodots Ableben - vom berühmten Philosophen Aristoteles kritisiert (worauf Nesselrath in den Endnoten seiner Übersetzung hinweist). Es wäre also ein großer Irrtum, wenn man heute meint, sämtliche Leser seien damals völlig naiv bzw. unkritisch gewesen. So wie ja auch heutzutage nicht jeder Medienkonsument ein hirntoter Zombi ist (obschon die gefühlte Mehrheit in diese Kategorie gehört).
 
Freilich, der gute Herodot selbst scheint seine Informationen - die er sich weiß Gott wo zusammengeklaubt hat - oft nicht zu hinterfragen, sondern er reicht sie, ähnlich einem modernen Journalisten, unkritisch an die Leserschaft weiter. Man sollte den griechischen Historiographen und Ethnographen aber nicht grundsätzlich als Dampfplauderer abtun. Wie schon eingangs erwähnt, finden sich in Herodots Texten auch etliche hochwertige Informationen. Nicht immer ist es freilich so einfach wie hier, die Spreu vom Weizen zu trennen. 

Ergänzender Hinweis: Über die indischen Kallantier, die Herodot neben den Äthiopiern nennt, schreibt er auch an anderer Stelle. Und zwar im Zusammenhang mit deren ungustiösen Brauch, verstorbene Familienangehörige zu verspeisen. Ich habe dazu ebenfalls einen Beitrag verfasst. Im oben nicht zitierten Textteil (siehe die eckigen Klammern) findet dies ebenfalls Erwähnung. Hier haben wir es mit genau einer dieser Erzählungen Herodots zu tun, bei der man nicht auf Anhieb sagen kann, was daran Dichtung und was daran Wahrheit ist. Ein weiteres - aber wesentlich umstritteneres Beispiel dafür - sind Herodots Einlassungen zu den ägyptischen Pyramiden im 2. Buch der "Historien". Doch dazu ein anderes Mal mehr.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.