Freitag, 20. Juli 2012

Die karolingische Klosterstadt Messkirch und der St. Galler Klosterplan: Entworfen für den Süden.

Rekonstruktion nach J. Rudolf Rahn (Foto: Wikimedia.org)
Im Rahmen des Projekts Campus Galli soll mit den Methoden der Experimentellen Archäologie eine komplette klösterliche Ansiedlung des 9. Jh. rekonstruiert werden - als Vorlage dient der idealtypische und nie umgesetzte  Klosterplans von St. Gallen. Die Bauarbeiten werden auf rund 40 Jahre veranschlagt, die Eintrittsgelder zahlender Besucher sollen zukünftig die Finanzierung sichern - ähnlich wie bei dem französischen Projekt von Guedelon (auch die Kärntner Burg Friesach sei an dieser Stelle erwähnt!)Sämtliche Handwerker auf der Baustelle sollen, dem Prinzip von Living History folgend, ihren Tätigkeiten in möglichst zeitgenössischer Kleidung nachgehen (soweit es der Arbeitsschutz zulässt)

Nun zu dem, was mich in diesem Zusammenhang umtreibt:
Mir ist in letzter Zeit wiederholt im Netz der Hinweis untergekommen, dass der St. Galler Klosterplan Merkmale aufweist, die darauf hindeuten, dass der Ersteller dieses Plans ein Kloster im Sinn hatte, das im sonnenverwöhnten Südeuropa stehen sollte und nicht in einer deutlich kühleren Gegend, wie etwa nördlich der Alpen (Meßkirch, der Ort wo die Karolingische Klosterstadt enstehen soll, liegt in Baden-Württemberg).
Also habe ich meine einschlägige Literatur hervorgekramt und wurde rasch fündig: Beispielsweise in Konrad Hechts Monographie, "Der St. Galler Klosterplan", geht es in einem ganzen Kapitel nur um die Frage, für welche klimatischen Bedingungen das Kloster ausgelegt wurde. Sein Fazit vorweg: Eindeutig für den Süden.  
   
Ein besonders starkes Indiz ist ein im Plan eingezeichneter Versorgungsbau, der wie folgt bezeichnet wurde: domus ad p(rae) parandu(m) pane(m) s(an)c(ta)m et oleum exprimendum
In diesem Gebäude sollten also quasi die Hostien und das Öl (zur Beleuchtung) gepresst bzw. hergestellt werden. 
Doch woraus gewinnt man nördlich der Alpen Öl? Heutzutage aus Kernen bzw. Samen bestimmter Früchte. Das war, als der Plan gezeichnet wurde, aber noch nicht üblich. Damals wurde (Lampen-)Öl aus Oliven gewonnen. Die wiederum wachsen nur in bestimmten Gegenden Südeuropas! Wozu braucht aber ein Kloster, das nicht in einer Anbauregion für Oliven liegt, einen speziellen Raum zur Ölgewinnung?

Es gibt noch einige andere typisch südländische Besonderheiten, wie die Tatsache, dass man bevorzugte Gebäude, beispielsweise das Krankenhaus, an schattige Stellen legte (in unseren Breiten würde man das Krankenhaus in einem sonnigen Bereich platzieren). 
Da zumindest dieser Punkt der Forschung nicht verborgen blieb, suchte man nach Erklärungen. Eine besonders schwache ist, dass der Zeichner des Klosterplans aus dem Süden kam und deshalb aus Gewohnheit südliche Merkmale mit einfließen hat lassen. Das wäre dann allerdings so, als ob ein Architekt aus Kalifornien in Island Häuser ohne Wärmeisolierung aber mit Pool bauen möchte - bloß weil er es eben so von zuhause gewöhnt ist ;)
Ob der St. Galler Klosterplan demnach nicht eher die Kopie eines Plans aus Südeuropa ist?

(Ich hoffe man ist sich in Meßkirch obiger Tatsachen bewusst und übernimmt das Kloster nicht 1:1 vom Plan aus St. Gallen.)

Nachtrag:
Da ich bemerkt habe, dass schon einige Leute über diesen Artikel gestolpert sind, hier der Link zur Fortsetzung. Dort wird auch auf den Kommentar von Andreas Sturm (Campus Galli) eingegangen.
--> http://hiltibold.blogspot.co.at/2012/07/st-galler-klosterplan-reloaded.html

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Passende Blog-Artikel zu diesem Thema: 
http://hiltibold.blogspot.com/2012/07/st-galler-klosterplan-reloaded.html
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http://hiltibold.blogspot.com/2012/07/st-galler-klosterplan-digitalisiert.html
http://hiltibold.blogspot.com/2012/12/drei-mal-campus-galli-karolingische.html

5 Kommentare:

  1. Hallo!

    die angesprochene Interpretation, dass der Plan für ein Kloster in südlichen Gefilden bestimmt sei, ist mittlerweile veraltet - wird aber dennoch häufig weiter zitiert, vielleicht weil Hechts Buch einfach eine sehr hohe Auflage erfahren hat und demnach leichter verfügbar ist als neuere Literatur.

    Es kann heute als gesichert gelten, dass der Klosterplan auf der Reichenau explizit für das Kloster St. Gallen angefertigt wurde. Dabei diente für den Kernbereich des Plans die damals bestehende Klosteranlage auf der Reichenau als Vorlage.

    Teilweise finden sich selbst Details wie die Heizungsanlagen und steinerne Sitzbänke im Kreuzgang im Plan so wieder, wie sie archäologisch auf der Reichenau nachgewiesen werden konnten.

    Der Entwurf wurde allerdings im Arbeitsprozess mehrfach verändert und erweitert, bis er sein endgültiges Erscheinungsbild erreichte.

    Jedoch darf man den Klosterplan nicht als eine Architekturzeichnung im modernen Sinne missverstehen - diesen Anforderungen genügt er in vielen Dingen bei weitem nicht. Er ist eher ein Schema, das demonstriert, wie man einen großen Klosterbetrieb sinnvoll organisieren kann.

    Theorien, dass der Klosterplan nur die Kopie eines wie auch immer gearteten "Masterplanes" war, sind seit der Entdeckung von Zeichenspuren durch Stachura (1978) und Jacobsen (1992) obsolet geworden.

    Hecht z.B. konnte diese neuen Erkenntnisse aber leider nicht mehr in sein bekanntes Werk einfließen lassen, da er schon 1980, vor der Veröffentlichung, verstorben ist.

    Grundlegende Literatur zum aktuellen Forschungsstand:

    W. Jacobsen, Der Klosterplan von St. Gallen und die karolingische Architektur. Entwicklung und Wandel von Form und Bedeutung im fränkischen Kirchenbau zwischen 751 und 840 (Berlin, Marburg 1992)

    W. Jacobsen, Der St. Galler Klosterplan – 300 Jahre Forschung, in: P. Ochsenbein – K. Schmuki (Hrsg.), Studien zum St. Galler Klosterplan II. Koll. St. Gallen 1997, Mitt. vaterl. Gesch. 52 (St. Gallen 2002) 13–56

    D. Büker, Vier Jahrhunderte und vier Jahre. Der Klosterplan von St. Gallen und seine Bedeutung als Dokument frühmittelalterlicher Schriftlichkeit (Frankfurt am Main 2009)

    Mit freundlichen Grüßen,

    Andreas Sturm
    Projektmanager Living History
    www.campus-galli.de

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    1. Erst mal danke für diese ausführliche Stellungnahme!
      Mir ist natürlich klar, dass das Buch von Hecht schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat ;)
      Der für ein nördlich der Alpen liegendes Kloster doch recht auffällige Raum zur (Oliven-)Ölpressung, ist andererseits nach wie vor auf dem Plan eingezeichnet.
      Wie wird er in den neueren Publikationen interpretiert?
      Hecht weist nämlich darauf hin, dass die Forscher vor ihm, diesen Raum und die Bedeutung die er impliziert, quasi "übersehen" haben. Deshalb hoffe ich, dass dieser Schnitzer nicht auch seinen Nachfolgern unterlaufen ist.

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    2. Guten Tag Herr Fellner,
      soweit ich es aus dem Gedächtnis sagen kann, ist Hechts These mit der Olivenölbereitung in der jüngeren Forschung nicht weiter besprochen worden. Das würde mich aber auch nicht weiter verwundern, denn Hecht benutzt dieses Detail wie andere Beobachtungen dazu, seine Theorie einer südlichen Herkunft der Planvorlage zu untermauern.

      Um den Vorgang richtig zu bewerten, muss man neben den vielen Eigentümlichkeiten des Klosterplanes vor allem die lange Forschungsgeschichte des Klosterplanes betrachten (hierzu insb. Jacobsen 2002).

      Zum einen ist die Übersetzung des Ausdrucks „exemplata“ in der Widmungsschrift nicht ganz eindeutig. Man kann den Abschnitt so übersetzen, dass des sich bei dem Plan um eine Kopie handelt, es kann aber auch nur ganz allgemein eine Vorlage sein (vgl. Büker 2009, 116-117, 140-141; Berschin 2005, 131).

      Die Idee, dass der Klosterplan nur die Kopie einer älteren Vorlage sei, wurde Ende der 50er Jahre durch weiter gefestigt. Er hatte den Klosterplan untersucht und fand nach seinem Bekunden keinerlei Zirkellöcher oder Vorzeichnungen auf dem Pergament, so dass es sich beim Klosterplan von St. Gallen um die Durchpausung handeln müsse. Dies forderte natürlich Spekulationen heraus, wo und zu welchem Zweck die auf der Reichenau kopierte Planvorlage entstanden sei (Horn 1962).

      Hechts Thesen (1983) bauen auf dieser Annahme einer älteren Planvorlage auf. Anhand von bestimmten Gegebenheiten wie etwa den antik wirkenden Haustypen, für das Klima ungeeignete Pflanzen oder eben der Olivenölpresse verortet er die Planvorlage im Süden des Reiches.

      Alle diese Ideen werden aber in der jüngeren Forschung nicht mehr verfolgt, da ihnen mit der Entdeckung von Zeichenspuren und Zirkeleinstichen durch Norbert Stachura (1978; 1980; 1982) und anschließend Werner Jacobsen (Jacobsen 1992) die Grundlage entzogen wurde.

      Mich wundert es sehr, das Horn seinerzeit keine Zeichenspuren entdeckt haben will, denn ich habe den Plan im Frühjahr 2012 selbst gesehen und die Zirkellöcher sind mit bloßem Auge (!) gut zu erkennen.

      [Unterbrechung wegen Zeichenbeschränkung]

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    3. [Fortsetzung]

      Insbesondere seit der grundlegenden Untersuchung durch Jacobsen hat sich die Sicht auf den Klosterplan deutlich gewandelt. Die Originalität des Plans wird nicht mehr angezweifelt, die Bezüge der Planzeichnung zum Baubestand des Reichenauer Klosters sind überdeutlich (Jacobsen 1992, 325–327; vgl. Zettler 1988).

      Gleichzeitig entfernt sich die Interpretation des Klosterplanes mehr und mehr von einer naiv-gegenständlichen Auffassung als verbindliche Handlungsanweisung für St. Gallen (gerade Hecht möchte den Plan ja als im Gelände umsetzbaren Schnurplan verstanden wissen).

      Der Plan erscheint auf den ersten Blick so detailverliebt, dass er den modern geschulten Betrachter geradezu herausfordert, ihn wie eine Architekturzeichnung der Gegenwart zu lesen. Doch im Detail führt dieses Vorgehen immer wieder zu erheblichen Widersprüchen und praktischen Schwierigkeiten, wie sich an der kaum zu überblickenden Literatur z. B. zur Frage eines Maßstabs, dem Fußmaßes, den widersprüchlichen Maßangaben oder auch am schlichten Fehlen von Treppenhäusern deutlich zeigen lässt.

      Immer mehr setzt sich deshalb die Idee durch, den Klosterplan aus dem politisch-theologischen Kontext seiner Entstehungszeit als eine in Schrift und Bild festgehaltene Diskussion gelehrter Männer über die rechte monastische Lebensform zu erklären (Büker 2009, 148–151; Zettler 2005). Dabei orientierten sich die Reichenauer Mönche nicht nur an realen architektonischen Vorbildern, sondern ließen auch das gesammelte Wissen ihrer Bibliothek einfließen – angefangen von der Regel des hl. Benedikt über die Beschlüsse der Reformsynoden in Aachen bis hin zum Capitulare de villis (Schedl 2012, 100–101). So erklären sich z. B. die für das St. Galler Klima ungeeigneten Pflanzennamen, die schlicht aus dem Capitulare abgeschrieben wurden (Schmuki 2010, 18).

      In gleicher Weise lässt sich auch die Ölbereitung in der Hostienbäckerei neu interpretieren. Anzumerken ist zunächst allerdings, dass auch nördlich der Alpen im frühen Mittelalter Ölpflanzen angebaut wurden, allen voran Lein, Hanf und Schlafmohn (RGA² XXI [2002] 599- s. v. Ölpflanzen [H. Beck]). Es ist jedoch nicht geklärt, ab wann genau man begonnen hat, daraus Öl zu gewinnen. Leinöl wird erstmals im 12. Jahrhundert schriftlich erwähnt (RGA² XXI [2002] 586–588 s. v. Öl [H. Beck]).

      Dem (Oliven-) Öl kommt aber im christlichen Kult als Salb- wie auch Lampenöl große Bedeutung zu. Es würde deshalb durchaus in das heutige Verständnis vom Entstehungsprozess des Klosterplanes passen, wenn die Mönche der Reichenau die Ölpresse aus einem älteren Traktat in ihre Kompilation übernahmen – unabhängig davon, ob in St. Gallen die Möglichkeit zur Umsetzung gegeben war.

      Dieses Vorgehen stünde voll im Einklang mit der Aufforderung der Widmungsschrift, nach welcher der Empfänger an Plan seine „Findigkeit üben“ sollte. In St. Gallen jedenfalls scheint man den Plan lange nicht so wörtlich genommen zu haben wie so manche Planforscher (vgl. Hoffmann 2002, 305), denn der Gozbertbau weicht in seiner Form ganz erheblich von der Plankirche ab (Sennhauser 2001).

      [Unterbrechung wegen Zeichenbeschränkung]

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    4. [Fortsetzung]

      Literatur

      Berschin 2005
      W. Berschin, Der St. Galler Klosterplan als Literaturdenkmal, in: W. Berschin, Mittellateinische Studien (Heidelberg 2005)
      Büker 2009
      D. Büker, Vier Jahrhunderte und vier Jahre. Der Klosterplan von St. Gallen und seine Bedeutung als Dokument frühmittelalterlicher Schriftlichkeit (Frankfurt am Main 2009)
      Hecht 1983
      K. Hecht, Der St. Galler Klosterplan (Sigmaringen 1983)
      Hoffmann 2002
      V. Hoffmann, Der St. Galler Klosterplan – einmal anders gesehen, in: Ochsenbein – Schmuki 2002, 299–305
      Horn 1962
      W. Horn, The Plan of St. Gall – Original or Copy?, in: J. Duft (Hrsg.), Studien zum St. Galler Klosterplan, Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte XLII (St. Gallen 1962) 79–102
      Jacobsen 1992
      W. Jacobsen, Der Klosterplan von St. Gallen und die karolingische Architektur. Entwicklung und Wandel von Form und Bedeutung im fränkischen Kirchenbau zwischen 751 und 840 (Berlin, Marburg 1992)
      Jacobsen 2002
      W. Jacobsen, Der St. Galler Klosterplan – 300 Jahre Forschung, in: Ochsenbein – Schmuki 2002, 13–56
      Ochsenbein – Schmuki 2002
      P. Ochsenbein – K. Schmuki (Hrsg.), Studien zum St. Galler Klosterplan II. Koll. St. Gallen 1997, Mitt. vaterl. Gesch. 52 (St. Gallen 2002)
      Schedl 2012
      B. Schedl, Der St. Galler Klosterplan – ein materialisierter Diskurs, in: A. Wieczorek – G. Sitar, OSB (Hrsg.), Benedikt und die Welt der frühen Klöster. Ausst. Mannheim 2012 2013, Publ. Reiss-Engelhorn-Mus. 50 (Regensburg 2012) 92–105
      Schmuki 2010
      K. Schmuki, Heilkräuter und Gartenanlagen im Kloster St. Gallen. Ausst. St. Gallen (St. Gallen 2010)
      Sennhauser 2001
      H. R. Sennhauser, St. Gallen - Klosterplan und Gozbertbau. Zur Rekonstruktion des Gozbertbaues und zur Symbolik des Klosterplanes, Veröff. Inst. Denkmalpflege ETH Zürich 23 (Zürich 2001)
      Stachura 1978
      N. Stachura, Der Plan von St. Gallen – ein Original?, Architectura 8, 2, 1978, 184–186
      Stachura 1980
      N. Stachura, Der Plan von St. Gallen: Der Westabschluß der Klosterkirche und seine Varianten, Architectura 10, 1, 1980, 33–37 (24.07.2012)
      Stachura 1982
      N. Stachura, Die Entdeckung von Zeichenspuren auf dem Plan von St. Gallen und das Problem seiner Urschriftlichkeit, in: Koldewey-Gesellschaft (Hrsg.), Bericht über die 31. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung. Vom 14. - 18. Mai 1980 in Osnabrück (Bonn 1982) 58–63
      Zettler 1988
      A. Zettler, Die frühen Klosterbauten der Reichenau. Ausgrabungen – Schriftquellen – St. Galler Klosterplan, Arch. u. Gesch. 3 (Sigmaringen 1988)
      Zettler 2005
      A. Zettler, Der Himmel auf Erden … Raumkonzepte des St. Galler Klosterplans, in: E. Vavra (Hrsg.), Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter (Berlin 2005) 35–46

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