Neben religiösen Ernährungsvorschriften - die häufig ignoriert bzw. umgangen wurden - gab es im Mittelalter auch unzählige "medizinisch" motivierte Überlegungen und Ratschläge, die sich mit den Zutaten und Zubereitungsarten von Speisen beschäftigten. Einige der vertretenen Ansichten entstammten der antiken Medizin - was sie jedoch nicht per se besonders qualitätvoll machte. Freilich, völlig dumm und blind ist man weder in der Antik noch im Mittelalter gewesen. So war etwa klar ersichtlich, dass übermäßiger Alkoholkonsum dem Menschen schadet. Dementsprechend wurde geraten, derlei Getränke nur in Maßen zu konsumieren. Dies bedeutete konkret, dass der mittelalterlicher Stadtbewohner im Schnitt einen Liter Wein pro Tag trank, Bauern und Knechte bis zu zwei Liter (diese Schätzungen gelten vor allem für Gebiete mit Weinanbau, anderenorts wurde stattdessen Bier getrunken). Solche recht hoch erscheinenden Zahlen sollte jedoch nicht allzu sehr erschrecken, denn der Alkoholgehalt war damals relativ niedrig (ca. 5 Volumenprozent) und die Weine wurden vor dem Konsum überdies mit Wasser gestreckt. Im Übrigen dürften gerade in der Stadt alkoholhaltige Getränke eine gute Alternative zu purem Brunnenwasser dargestellt haben, da dieses oft bakteriell verunreinigt war. Apropos Wasser: Der Gelehrte Bartholomäus Anglicus meint im 13. Jahrhundert, dass nach Norden fließendes Quellwasser von besonders hoher Güte sei, da es der Nordwind feiner und leichter mache. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Aussage freilich wenig nachvollziehbar. Absolut richtig ist hingegen seine Erkenntnis, dass Quellwasser grundsätzlich am saubersten ist, gefolgt von Flusswasser, Wasser aus Seen, Teichen und schlussendlich Sümpfen. Auch die Sitte, Kindern abgekochtes und mit Zucker oder Honig gesüßtes Wasser zu trinken zu geben, war sicher nicht dumm. Obwohl sich die Frage stellt, wie bewusst es den Menschen tatsächlich war, dass das Abkochen des Wassers der Gesundheit förderlich ist. Von Bakterien und Keimen war noch nichts bekannt, obwohl zumindest Gelehrte Vermutungen in diese Richtung anstellten und allgemein von "Verschmutzung" sprachen, selbst wenn man diese nicht mit dem freien Auge sehen konnte. Wasser sollte - egal ob abgekocht oder nicht - übrigens grundsätzlich nicht während der Mahlzeit getrunken werden, da es aufgrund seiner Kälte als verdauungshemmend galt.
Stark beeinflusst wurde die mittelalterliche Ernährung von den Theorien des Arztes Galenos von Pergamon (2. Jh. n. Chr.), der unter anderem die alte Lehre von den vier Körpersäften (Humorallehre) weiterentwickelte und diese mit der Temperamentenlehre verband, der zufolge es vier Kategorien von Menschen gibt: Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melancholiker. Jeder dieser Kategorien wurden bestimmte Eigenschaften zugeordnet:
Sanguiniker: warm und feucht
Choleriker: heiß und trocken
Melancholiker: kalt und trocken
Phlegmatiker: kalt und feucht
Erkrankte ein Mensch, dann führte man dies häufig auf ein starkes Ungleichgewicht der Körpersäfte zurück. Im Falle eines Cholerikers bedeutete dies beispielsweise, dass seine überhand nehmenden heißen und trockenen Eigenschaften durch eine auf "feuchten Speisen" beruhende Diät (z.B. Fisch) eingedämmt werden mussten.
Die Lehre von den Körpersäften und den Temperamenten besaß jedoch nicht nur bei der Behandlung von Krankheiten eine zentrale Bedeutung. Vielmehr ersonn man auf ihrer Basis auch spezielle Speisepläne, denen man eine prophylaktische Wirkung zuschrieb. Abhängig von der Jahreszeit versuchte man so zu verhindern, dass das natürliche Temperament eines Menschen nicht auch noch durch eine falsche Ernährung in ungesunder Weise verstärkt wurde. Für einen von Natur aus hitzigen Choleriker bedeutete dies beispielsweise, dass er vor allem im heißen Sommer Nahrungsmittel meiden sollte, die sein Blut zusätzlich erwärmten.
Interessant ist überdies, dass man versuchte, die "negativen" Eigenschaften bestimmter Zutaten durch maßgeschneiderte Formen der Zubereitung abzumildern. So galt Gemüse meist als zu trocken - es wuchs nämlich in der Erde - und man versuchte deshalb ihm durch Dünsten mehr Feuchtigkeit zu verleihen. Eine Ausnahme hiervon waren jedoch Zwiebeln, die als feucht galten und deshalb gebraten wurden. Auch bei den ebenfalls als zu feucht verrufenen Früchten verfuhr man in dieser Art und röstete oder backte sie - z.B. in Form einer Pastete. Das Kombinieren mit "trocken Zutaten" stellte in den Augen mittelalterlicher Ernährungsberater ebenfalls eine Möglichkeit dar, um allzu feuchten Eigenschaften eines Lebensmittels entgegenzuwirken.
Wie ein roter Faden ziehen sich die kuriosen und von anderen Gelehrten weitergesponnenen Ansichten des Galenos durch die gesamte mittelalterliche Küche - man könnte noch hunderte Beispiele aufzählen! Und obwohl in modernen Mittelalterromanen jüdische Ärzte generell als klug und geschickt dargestellt werden, hingen auch sie diesem Humbug an.
Fazit: Bereits im Mittelalter wurde offensichtlich krampfhaft versucht, sich möglichst gesund zu ernähren. Wie in der heutigen Zeit stellte dies überdurchschnittlich oft ein Steckenpferd der besserverdienenden Schickeria dar, während die Unterschicht sich eher wenig um die Humoral- bzw. Temperamentenlehre kümmerte. Und bedenkt man die wissenschaftliche Qualität dieser Theorien, dann dürften selbst arme Leute kaum ungesünder gespeist haben als reiche.
Weiterführende Literatur:
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Fazit: Bereits im Mittelalter wurde offensichtlich krampfhaft versucht, sich möglichst gesund zu ernähren. Wie in der heutigen Zeit stellte dies überdurchschnittlich oft ein Steckenpferd der besserverdienenden Schickeria dar, während die Unterschicht sich eher wenig um die Humoral- bzw. Temperamentenlehre kümmerte. Und bedenkt man die wissenschaftliche Qualität dieser Theorien, dann dürften selbst arme Leute kaum ungesünder gespeist haben als reiche.
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Weiterführende Literatur:
- Hannele Klemettilä | Das Mittelalter-Kochbuch | Anaconda | 2013 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
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