Mittwoch, 8. April 2015

Die Varusschlacht: Teile und verliere?















Quintili Vare, legiones redde!  -  Quinctilius Varus, gib die Legionen zurück! 

Laut Sueton soll der verzweifelte Kaiser Augustus diesen Satz ausgerufen haben, nachdem er von der totalen Vernichtung eines großen römischen Heeres in den Tiefen Germaniens erfuhr. Tacitus benennt als Ort des Geschehens den Teutoburger Wald bzw. "teutoburgiensis saltus" (saltus = gebirgiger Wald).
Praktisch keine TV-Dokumentation, die sich thematisch mit der Varusschlacht auseinandersetzt, verzichtet auf dieses Zitat. Ebenso wenig wird darauf vergessen, die Armee des unglückseligen Feldherren Publius Quinctilius Varus als elendig langen "Wurm" darzustellen, der sich über einen schmalen Waldweg schlängelt. Die Soldaten (Reenactors) marschieren bzw. stolpern dabei für gewöhnlich im Gänsemarsch oder zu zweit nebeneinander.
Ein solches Szenario ist jedoch überaus fragwürdig, denn: Das aus 3 Legionen, 6 Hilfskohorten, 3 Alen (=Reiterregimenter) und einem umfangreichen Tross (Fuhrwerke, Tragtiere, Sklaven, Frauen, Kinder,...) bestehende Heer, hätte sich bei dieser Marschordnung über eine Länge von 30 Kilometern oder mehr verteilt (hier ein detailliertes Rechenbeispiel).
Konkret bedeutet das: Während die Vorhut am Ende des ersten Tages bereits mit dem Anlegen des Nachtlagers begonnen hätte, wäre die Nachhut vermutlich noch nicht einmal dazu gekommen, das Sommerlager an der Weser zu verlassen! Zwar schreibt bzw. "orakelt" Cassius Dio im 3. Jahrhundert, das römische Germanien-Heer habe 9. n. Chr. nicht seine Sollstärke besessen; doch kann man davon ausgehen, dass die verbliebene Marschsäule auf einem engen, nicht befestigten Waldweg immer noch extrem lang ausgefallen wäre.
Realistischer erscheint da schon die Annahme, dass sich die Armee des Varus - sofern es das Gelände zuließ - vorübergehend aufteilte und in lockerer Formation parallel marschierte. Aufgrund dieser Zersplitterung wäre es den feindlichen Germanen des Cheruskers Arminius allerdings möglich gewesen, jeden Heeresteil einzeln niederzumachen, sobald er sich allzu weit von der Hauptstreitmacht entfernte.

Dass es eventuell tatsächlich so gewesen sein könnte, zeigt ein anderes Beispiel aus der römischen Geschichte, welches manch interessante Ähnlichkeit aufweist:
Man schrieb das Jahr 218 v. Chr. und der Karthager Hannibal schickte sich gerade an die Alpen zu überqueren. In dieser für Rom an sich schon brenzligen Situation erhoben sich in Norditalien die gallischen Boier/Bojer. Grund hierfür war möglicherweise die Besiedlung ihres Stammesgebietes mit römischen Kolonisten. Womit bereits die erste Parallele zu den Vorgängen in Germanien zur Zeit des Varus genannt wäre. Denn auch dort gründeten die Römer, inmitten der autochthonen Bevölkerung, Städte; man denke etwa nur an die entsprechenden Funde bei Waldgirmes. 
Der Abfall der aufmüpfigen Boier bedurfte einer raschen Reaktion. Nicht zuletzt deshalb, weil römische Kolonialstädte belagert und Gesandte - entgegen jeder Gepflogenheit - als Geiseln genommen wurden. Livius schreibt zu den weiteren Vorgängen im 21. Buch seiner Römischen Geschichte (Ab urbe condita)
"Nachdem man gemeldet hatte, was den Gesandten widerfahren war und das Mutina und seine Besatzung in Gefahr waren, führte der Praetor Lucius Manlius zornentbrannt sein Heer in loser Formation nach Mutina. Damals säumten Wälder die Straße, denn die Gegend war weitestgehend unbebaut. Da Manlius, ohne den Weg zu erkunden , aufgebrochen war (Anm. auch Varus kannte den Weg nicht), geriet er in einen Hinterhalt und entkam nur unter schweren Verlusten in offenes Gelände."
Das Glück dieser Armee war es, dass sich der Wald immer wieder lichtete, sodass eine Neuformierung bzw. Aufstellung in Schlachtordnung durchgeführt werden konnte. Dem Heer des Varus war das über 200 Jahre später nicht möglich, wenn man den Chronisten glaubt. Doch zurück zu Lucius Manlius und seinen Männern. Nachdem diese die Nacht in einem sicheren Marschlager verbracht hatten  - eine weitere Parallele zu Varus - setzte man den Marsch fort.
"... und solange das Heer durch freies Gelände zog, ließ sich kein Feind blicken. Doch sobald man wieder in die Wälder geraten war, überfielen die Gallier die Nachhut, töteten in der großen allgemeinen Verwirrung 700 Soldaten und erbeuteten sechs Feldzeichen. Erst als man aus dem unwegsamen Waldgebirge (=saltus!) herausgekommen war, verbreiteten die Gallier keinen Schrecken mehr und die Römer brauchten nicht länger Angst zu haben. Von da an waren die Römer im offenen Gelände in der Lage, ihren Heereszug problemlos zu schützen..."
Dieses frühe Beispiel aus der römischen Geschichte zeigt sehr gut, wie überaus gefährlich es für eine Armee war, durch bewaldetes, unwegsames Gelände zu stolpern. Sie zog sich nicht nur weit auseinander, sondern die einzelnen Truppenteile verloren bei der damit einhergehenden Auflockerung der Marschordnung überdies untereinander die Tuchfühlung.
Eigentlich hätte Varus demnach gewarnt sein können. Doch wie schrieb sein Zeitgenosse Velleius Paterculus über ihn:
Wenn ein Gott das Glück eines Menschen vernichten will, dann trübt er meistens seinen Verstand und bewirkt damit, dass das Unglück auch noch scheinbar verdientermaßen eintritt und sich Schicksal in Schuld verwandelt. (Römische Geschichte II, 118)


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Quellen / weiterführende Literatur:

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