Samstag, 7. April 2018

Der überraschend komplexe Aufbau frühmittelalterlicher Schwertklingen

Da ich vorhabe, mir in näherer Zukunft ein weiteres frühmittelalterliches Schwert anzuschaffen - genauer gesagt eine merowingerzeitliche Spatha - war es nötig, mich mit diesem Thema wieder einmal näher auseinanderzusetzen; schließlich soll der ausführende Schmied keine Vorgaben von mir erhalten, die zu einem schwer ahistorischen Endprodukt führen (ein bisschen ahistorisch wird es trotzdem werden, da ich nicht bereit bin, sündteuren Rennofen-Stahl zu finanzieren).

Die drei großen Teilaspekte einer frühmittelalterlichen Schwertes sind: SchwertscheideKlinge und Gefäß (bestehend aus Parierplatte/Parierstange, Heft bzw. Hilze und Knaufplatte plus ggf. Knaufkrone).
Zurzeit beschäftige ich mich speziell mit dem Aufbau der Klinge, deren Kern in merowingischer und karolingischer Zeit (ca. 450 - 900 n. Chr.) typischerweise aus ganz oder teilweise tordierten (=verdrehten) Metallstäben bestand. Diesen vergleichsweise 'weichen' Kern feuerverschweißte man mit der gehärteten, separat gefertigten Schneide. Später, beim Polieren und Ätzen der Klinge, zeigte sich im Bereich des tordierten Materials das so typische 'wurmbunte' Muster an der Oberfläche.

Freilich, der Aufbau einer solchen Schweißmusterklinge (irrtümlich oft als Damaszenerklingen bezeichnet)  konnte in seiner Komplexität stark variieren, wie die nachfolgenden Querschnitte zeigen. Während der Klingenkern beim ersten Beispiel aus lediglich drei verdrehten Metallstäben bestand, so wurden beim mittleren bereits sechs verwendet. Und im Falle der dritten Klinge war zusätzlich zu den sechs Metallstäben in den Kern ein weiterer, nicht verdrehter Metallstreifen eingesetzt worden (eventuell um die mechanischen Eigenschaften der Klinge zu verbessern).

Keine Rechte vorbehalten, aber um die Nennung der Quelle wird gebeten: HILTIBOLD.Blogspot.com

Dass der Aufbau einer frühmittelalterlichen Klinge noch weitaus komplizierter als die obigen Beispiele ausfallen konnte, bezeugt jenes Schwert eindrucksvoll, das Archäologen im Grab 85/77 in Schlotheim (Thüringen) entdeckten - siehe die nachfolgende Grafik. Die aus dem 6. Jahrhundert stammende Spatha-Klinge ist nämlich nicht über ihre gesamte Länge identisch aufgebaut. Erst ab dem mittleren Bereich bis zum Ort (= die Spitze) wurden besonders kohlenstoffhaltige bzw. härtbare Stahlstreifen eingesetzt. Interessanterweise weist aber auch der innere Klingenkern im unteren Bereich einen hohen Kohlenstoffgehalt auf.
Hier wird deutlich, dass es sehr problematisch ist, eine Schwertklinge lediglich anhand von Untersuchungen an einer einzigen Stelle zu rekonstruieren. Vielmehr muss die gesamte Klinge genau in Augenschein genommen werden - sofern ihr Erhaltungszustand das zulässt.
Keine Rechte vorbehalten, aber um die Nennung der Quelle wird gebeten: HILTIBOLD.Blogspot.com

Die frühmittelalterliche Spatha steht im Verdacht, durch mehrere Hände gegangen zu sein, bevor sie als Beigabe in einem Grab landete (aufgrund von Korrosion lassen sich davon herrührende Gebrauchsspuren allerdings nur sehr selten feststellen).  Darüber hinaus weiß man z.B. anhand eines Fundes in Warburg-Ossendorf (Westfalen), dass ausrangierte Schwerter unter anderem zu Webschwertern für Frauen umgearbeitet worden waren. 
Das alles könnte bedeuten: Viele Verstorbene, die ursprünglich ein Schwert trugen, wurden ohne dieses bestattet. Die Spatha wäre demzufolge in der männlichen Bevölkerung weitaus stärker verbreitet gewesen, als man gemeinhin annimmt.
 !  Unter bestimmten Umständen wurde das zweischneidige Langschwert (=Spatha) auch Personen ins Grab mitgegeben, die zu Lebzeiten körperlich kaum in der Lage waren, dieses im Kampf zu handhaben. Beispielsweise fand man im Gräberfeld am Lübecker Ring (Soest, Westfalen) eine entsprechende Waffe, die neben einem Buben niedergelegt worden war. Dergleichen sollte man unbedingt hinsichtlich jener Fälle im Hinterkopf behalten, wenn feministische Ideologinnen Archäologinnen wieder einmal übereifrig versuchen, sehr seltene Waffenbeigaben in Frauengräbern vorschnell als Beleg für ein weibliches Kriegertum im europäischen Frühmittelalter zu interpretieren.

Hinweis: Selbstverständlich dürfen meine obigen Grafiken kopiert und geteilt werden. Sie finden sich in höherer Auflösung bei Flickr. Außerdem sind sie bei Pinterest verfügbar (allerdings weiß ich nicht, ob das bei Pinterest mit der höheren Auflösung funktioniert). 

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Die Vorlagen für die von mir angefertigten Zeichnungen fand ich in folgendem Buch:

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2 Kommentare:

  1. Vor gut 20 Jahren, als ich meinen ersten Schmiedekurs absolviert habe, hat der Kursleiter auch keinen sprachlichen Unterschied zwischen den in einem Tiegel erzeugten orientalischen Damaststahl (Wootz) und europäischem Schweißverbundstahl gemacht. Und das obwohl er ein Schmiedemeister war und es hätte besser wissen müssen. Seit damals hat sich in der Hinsicht leider nicht viel verändert. Die meisten Leute reden immer noch von Damast, wenn eigentlich Schweißverbundstahl gemeint ist.

    Ich wünsche ein schönes Wochenende,
    Der Wanderschmied

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    1. Offen gestanden habe ich bis vor wenigen Jahren - wider besseren Wissens - auch keinen Unterschied gemacht. Mittlerweile bemühe ich mich aber das sprachlich zu trennen.
      Mein Schmiedelehrer hat übrigens auch immer nur verallgemeinernd von Damast geredet. Also war eigentlich er schuld :)

      Auch dir ein angenehmes Wochenende

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