Sonntag, 23. Juni 2019

⚔️ Die Kimbern und der Mythos vom ungepanzerten Germanen-Krieger



Den behaupteten 'Eisenmangel' bei den Germanen beäuge ich schon länger mit einer gewissen Skepsis (siehe z.B. hier). Sicher, ihnen standen zweifellos nicht dermaßen große Mengen an Metall wie den benachbarten Römern zur Verfügung; denn schließlich verfügte man im freien Germanien nicht über die nötige Infrastruktur für den Erzabbau und die Verhüttung im großen Stil. Auch Importe konnten das schwerlich voll ausgleichen. Dass die Forschung heute aber soweit geht, aus dem oftmaligen Fehlen von einschlägigen Grabbeigaben zu schließen, nur sehr reiche Germanen hätten sich eine metallene Rüstung in Form eines Ketten- oder Schuppen- bzw. Lammellenpanzers leisten können, halte ich für vorschnell und gewagt. Denn gerade die wertvollsten Bestandteil der Waffenausstattung eines Kriegers könnten auch schlicht und ergreifend bis zur totalen Unverwendbarkeit über Generationen weitervererbt worden sein (dafür gibt es mehrere archäologische Beispiele). Ganz davon abgesehen, dass sich Eisen/Stahl im Boden naturgemäß nicht sehr gut hält. Deshalb haben wir selbst von den Römern nur vergleichsweise wenige entsprechende Funde, obwohl diese definitiv metallene Rüstungen massenhaft einsetzten, wie aus Zeitzeugenberichten und bildlichen Darstellungen hervorgeht.

Kürzlich bin ich in Plutarchs Biografie des römischen Feldherren Marius auf eine Beschreibung der Kimbern gestoßen, die ein interessantes Licht auf die Frage wirft, in welchem Ausmaß Germanen imstande waren, Eisen/Stahl für ihre Bewaffnung zu verwenden. Denn während es bei Tacitus heißt, sie würden hölzerne Speerspitzen oft im Feuer härten - was man, neben ähnlichen Äußerungen in anderen antiken Quellen, gerne auf einen allgemeinen Mangel an Eisen zurückführt - schreibt Plutarch über die Schlacht zwischen germanischen Kimbern und Römern bei Vercellae:

Das Fußvolk der Kimbern rückte ohne Hast und Lärm aus den Verschanzungen heraus und marschierte auf zu einem regelmäßigen Viereck, dessen Seiten je dreißig Stadien maßen. Prächtig gerüstet zogen die Reiter heran, fünfzehntausend an der Zahl. Ihre Helme glichen den aufgesperrten Rachen reißender Tiere oder zeigten sonst ein eigenartiges Tiergesicht; darüber ragten Federbüsche, welche die hohen Gestalten der Barbaren noch mächtiger erscheinen ließen; eiserne Panzer umschlossen ihre Körper, und hell glänzten die weißen Schilde. Jeder trug eine zweispitzige Wurflanze und für den Nahkampf ein schweres langes Schwert. (Plutarch, Marius 25)

Freilich, der im 1. und 2. Jh. n. Chr. lebende Plutarch hat die Kimbern nie mit eigenen Augen gesehen. Allerdings dürfte er sich hier auf einen Bericht Sullas berufen haben, den er auch an anderer Stelle als Quelle für die Schilderung der Schlacht nennt; und ohne jeden Zweifel war der spätere Diktator und erfahrene Soldat damals - am 30. Juli 101 v. Chr. - live dabei, kannte also die Gegner Roms aus eigener Anschauung.
Es ist demnach nicht allzu weit hergeholt, hier die Vermutung zu äußern, dass zumindest die Reiterei der germanischen Kimbern in einem hohen Maß über metallene Rüstungen verfügte. Diese Reiterei wird sich zwar aus eher Bessergestellten zusammengesetzt haben, aber nicht zwangsläufig aus lauter reichen Leuten, von denen es heute gerne heißt, nur sie hätten sich im germanischen Kulturkreis Kettenhemden und ähnliche metallene Rüstungsteile leisten können.

Zum Schluss noch eine Einschränkung: Eventuell waren die metallenen Körperpanzer der Kimbern zu guten Teilen Kriegsbeute aus zuvor gegen die Römer erfolgreich geführten Schlachten. Wobei sich mir allerdings die Frage stellt, ob jemand, der sein ganzes bisheriges Leben lang ungepanzert gekämpft hat, bereit war, mitten im Krieg eine solche Umgewöhnung auf sich zu nehmen. Schließlich bestand die Gefahr, dass man durch die gewöhnungsbedürftige Panzerung an Geschwindigkeit - und somit auch an Kampfkraft - einbüßt. Wobei eingeräumt sei, dass die wanderlustigen Kimbern ja relativ lange durch die Lande zogen und ihnen entsprechende Adaptierungen deshalb prinzipiell durchaus zuzutrauen sind.
Trotzdem - oder gerade deswegen - sollte man es wohl tunlichst vermeiden, sämtliche Germanen über einen Kam zu scheren und zu unterstellen, sie hätten aus Mangel an Eisen fast ausschließlich mit nacktem Oberkörper bzw. ungepanzert gekämpft. Das gilt auch für die Behauptung, Schwerter hätten sich aus demselben Grund nur wenige leisten können. Wir wissen heute einfach nicht mehr, wie die spezielle Situation bei den einzelnen Stämmen zu unterschiedlichen Zeiten tatsächlich war. Und das Fehlen metallener Grabbeigaben in Form von Kettenhemden und Schwertern - siehe oben - ist hierbei leider kein verlässlicher Indikator. Die Archäologie ist sich dieser Problematik durchaus bewusst, berücksichtigt sie aber in ihren Theorien meiner Ansicht nach oft nicht ausreichend.



6 Kommentare:

  1. Grundsätzlich stimme ich dir zu, aber die Bewaffnung und neue Rüstungen sind auch, laut einer neulich gehörten Vorlesung aus der Alten Geschichte, darauf zurückzuführen, dass die Germanen jahrelang durch Gallien zogen und dort im Kontakt mit den Galliern/Kelten sich eine neue Kampfesweise angewöhnten und deren Bewaffnung übernahmen.
    Viele Grüße
    D.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, es gibt tatsächlich wissenschaftliche Publikationen, in denen auf den gallischen/keltischen Einfluss bei der germanischen Bewaffnung hingewiesen wird (ich habe dazu sogar mal etwas in der PDF-Rubrik des Blogs verlinkt). Vor allem im Grenzgebiet hat man auf germanischer Seite ja z.B. einige Latène-Schwerter gefunden.

      Löschen
  2. Was meint Plutarch mit "zweispitzigen Wurflanzen"??

    Hagen

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich vermute, die zweite Spitze ist der Lanzenschuh aus Eisen. Das hintere Ende könnte aber auch nur zugespitzt und im Feuer gehärtet gewesen sein. Andererseits würde beides meiner Meinung nach doch besser zu einer langen Stoßlanze passen...

      Löschen
    2. Der "Lanzenschuh" scheint mir auch die naheliegendste Interpretation zu sein.

      Löschen
  3. Eine Erklärung wäre auch eine Synthese, sprich - beide überlieferte Typen waren gleichzeitig auf dem Schlachtfeld vorhanden. Ungepanzert kamen wahrscheinlich die jungen, vielfach wenig erfahrenen und deshalb auch leicht bewaffneten Krieger.
    Dagegen war der Besitz und die Haltung eines Pferdes schon damals ein Indiz für Wohlstand und Ansehen, dass eben wirtschaftlich mindestens bessergestellte oder sogar ausgewählte, erprobte Krieger hatten. Ob zusammengesammelt, geraubt, bei Kelten getauscht oder ob einiges aus germanischer Produktion stammte, werden Archäologen wohl irgendwann genauer feststellen.
    Einen übermässigen Eisenmangel kann ich mir bei den Germanen genau so wenig vorstellen, wie die ausreichende Deckung des Bedarfs an Kriegsmaterial, wie z.B. im Gegensatz auf röm. Seite, wo öfter mal Material auf Vorrat gehortet wurde, welches dann gar nicht zum Einsatz kam oder Reserven ermöglichte.

    AntwortenLöschen

Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.