An sich geht es in den "Nomoi" um die Frage, welche Maßnahmen und Gesetze am geeignetsten für eine neu zu gründende Koloniestadt auf Kreta wären. Im Zuge der Diskussion werden jedoch auch Themenbereiche angeschnitten, die für uns heute in gänzlich anderen Zusammenhängen interessant sind. Zu nennen ist etwa die berühmte, bis heute ziemlich umstrittene Atlantis-Erzählung.
ATH: Sag, glaubst du wohl jemals die Länge der Zeit erfassen zu können, die vergangen ist, seit es Städte gibt und Menschen, die in staatlicher Ordnung leben?
KL: Das ist keineswegs leicht. ATH: Aber das siehst du ein, dass der Zeitraum unendlich und unvorstellbar ist? KL: Das allerdings. ATH: Sind uns nun nicht tausende und abertausende Städte in dieser Zeit entstanden, aber auch im selben Größenverhältnis nicht weniger Städte vernichtet worden? [...] ATH: Meint ihr, dass die alten Sagen irgendeine Wahrheit enthalten? KL: Welche Sagen denn? ATH: Dass viele Vernichtungen der Menschheit stattgefunden haben durch Überschwemmungen, durch Seuchen und vieles andere, wobei immer nur ein kleiner Teil des Menschengeschlechts übrig blieb. KL: Ja, das erscheint jedermann ganz glaubhaft. ATH: Nun, so wollen wir uns eine von den vielen Vernichtungen vorstellen, nämlich diejenige, die einst durch die Überschwemmungen verursacht wurde. KL: Und welche Vorstellung sollen wir uns davon machen? ATH: Dass die, die damals der Vernichtung entgingen, durchwegs Berghirten gewesen sein werden, schwache Funken des Menschengeschlechts, die irgendwo auf den Berggipfeln gerettet worden sind. KL: Das ist klar. [...] ATH: Sollen wir nun annehmen, dass die in den Ebenen und am Meer erbauten Städte in der damaligen Zeit bis auf den Grund vernichtet wurden? KL: Das wollen wir. ATH: Also werden wir auch behaupten müssen, dass alle Werkzeuge untergingen und was es an ernstzunehmenden Erfindungen auf dem Gebiet der Staatskunst oder sonst einer Fertigkeit gab, dass also diese alle in der damaligen Zeit verloren gingen. KL: Ja, mein Bester; denn wenn diese die ganze Zeit hindurch in der Form erhalten geblieben wären, in der sie heute sind, wie hätte da jemals auch nur irgend etwas Neues erfunden werden können? Dies beweist, dass diese Dinge offenbar zahllose Jahrtausende hindurch den Leuten damals unbekannt geblieben sind und dass erst 1000 oder doppelt so viele Jahre vergangen sind, seit sie wieder entstanden sind. [...] (Platon, Nomoi, 3. Buch, 676a-d) |
Normalerweise wird diese Quelle von Atlantis-Interessierten - egal ob von seriösen oder eher spinnerten - nahezu völlig übersehen. Freilich, sie ist vom Inhalt her - verglichen mit den beiden oben genannten Werken - nicht weltbewegend, trotzdem erschien es mir wichtig, sie der Vollständigkeit halber hier einmal zu zitieren.
Doch damit sind wir noch nicht am Ende angelangt: Ein Kataklysmus wie im Atlantis-Mythos, der eine sehr frühe 'Zivilisation' (darunter muss man sich nicht zwangsweise etwas allzu Großartiges vorstellen) rückstandsfrei vom Antlitz der Erde getilgt haben soll, kommt in den Erzählungen verschiedenster Kulturen weltweit vor - und das erstaunlich häufig. Es ist daher der Verdacht gerechtfertigt, in all dem könnte zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten sein (so wie die Forschung es ja auch für denkbar hält, die Sage rund um Troja sei nicht zwangsläufig vollkommen aus der Luft gegriffen, sondern wäre vielmehr ein Nachhall auf mehrere miteinander vermengte Großkonflikte in der späten Bronzezeit).
Eines dieser Beispiele, das auffällige Parallelen zur Atlantis-Erzählung aufweist, ist ein wenig beachteter ägyptischer Mythos über die ursprüngliche Heimat der 'Götter' bzw. eines kulturell relativ hochstehenden und daher als quasi gottähnlich angesehen Volkes. Dieses Volk - gibt eine Inschrift auf dem Horus-Tempel in Edfu Auskunft - lebte ursprünglich auf einer Insel, auf dem es ein ringförmiges Graben- bzw. Kanalsystem gab, das bereits sehr an Atlantis erinnert. Ähnlich ist auch der Untergang der Insel: Feuer und Wasser soll sie vernichtet haben. Die Überlebenden hätten sich daraufhin mit Schiffen rund um die Erde zerstreut und traten dabei wohl als 'Kulturbringer' auf.
Interessanterweise soll auch die von Platon verarbeitete (und um 9000 v. Chr. angesiedelte) Atlantis-Erzählung ursprünglich aus Ägypten stammen; genauer gesagt wird das Archiv des zeitlich sehr weit zurückreichenden Tempels von Sais im Nildelta als Quelle genannt.
Selbstverständlich belegen solche Geschichten für sich genommen rein gar nichts. Doch wie bereits gesagt, ihre Häufung sowie der sich mitunter stark ähnelnde Tenor sind durchaus auffällig und sollten keinesfalls leichtfertig als purer Zufall verworfen werden.
Seit 2015 gibt es ein aus meiner Sicht sehr gut recherchiertes, mit unzähligen Zitaten und Quellenangaben versehenes Buch zu diesem Themenkomplex: Graham Hancocks "Die Magier der Götter". Ich habe es bereits hier im Blog besprochen. Zwar stimme ich dem Autor nicht immer zu - einige seiner Schlüsse sind mir einfach zu spekulativ bzw. gehen mir viel zu weit - aber jene Leser, die sich etwa mit den weltweit auftretenden erzählerischen Parallelen zum Atlantis-Mythos in 'quellennaher' Form auseinandersetzen wollen, dürften in diesem Buch auf Neues stoßen. Ein Altphilologe, der mein Blog liest und die Atlantis-Thematik zwar offen, insgesamt aber doch auch kritisch betrachtet ("mindestens 95% Paläo-SETI-Blödsinn und Blabla à la EvD"), hat mir die Nützlichkeit von Hancocks Buch bestätigt. Manch eine der darin ausgegrabenen und "sehr spannenden" Quellen kannte auch er bisher noch nicht.
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Quelle:
- Platon | Nomoi | Verlag Philipp Reclam jun. | 2019 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
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Hallo Herr Hiltibold, von dieser Quelle höre ich zum ersten Mal. Finde das aber als - vielleicht etwas spinnerter Atlantisinteressierter - wirklich sehr spannend! Danke für das volle Zitat!!
AntwortenLöschenGreetings,
Thomas Gräf
Richtig: Platons Nomoi bestätigen zahlreiche Teilaspekte der Atlantisgeschichte. Auch das Alter Ägyptens von über 10.000 Jahren, von dem man damals irrigerweise ausging, wird von Platon behauptet (Nomoi II 656e). Ich hatte das schon in meinem Buch über Herodot und Atlantis thematisiert (S. 151). Wir alle sind aber nicht die ersten, denen das auffällt. Das Wissen ist in der Wissenschaft jedoch etwas "abhanden" gekommen, weil es nicht so gut in das Bild von der "reinen Erfindung" von Atlantis passt.
AntwortenLöschenGraham Hancock sehe ich hingegen sehr kritisch, u.a. weil er die 10.000 Jahre (und mehr) für das Alter Ägyptens für bare Münze nimmt, statt den damaligen Irrtum zu erkennen. Auch sonst hört man viel Falsches und Schlechtes von und über Graham Hancock. Ich gebe aber zu, dass ich noch kein einziges Buch von ihm wirklich gelesen habe. Ich habe einige Videos von und über ihn auf Youtube gesehen, das hat mir bereits genügt ...
Zum Tempel in Edfu: David Miano hat ein Video gemacht, in dem diese Atlantis-in-Edfu Geschichte widerlegt wird. Zudem ist Atlantis bei Platon auch nicht "der" Ursprungsort, sondern nur einer von mehreren, abgesehen davon, dass sich der Ursprung bei Platon wiederholt, bei den Ägyptern aber nicht.
https://www.youtube.com/watch?v=pYYktjXlEK8
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Danke für den Video-Link, fand die Ausführungen sehr interessant. Zu Hankock: Da gabs mal eine Diskussion zwischen ihm und einem Skeptiker im Rahmen eines Podcasts von Joe Rogan. Der Skeptiker hatte dabei gar keine gute Figur gemacht; gehörte so in die Kategorie Universal-Dilettant. Umso interessanter wäre es, wenn Hancock mit entsprechenden Fachleuten in ähnlicher Form öffentlich diskutieren würde. Teilweise hat er das auch schon gemacht, aber davon gibts leider keine Mitschnitte.
LöschenDanke, die Debatte mit dem Skeptiker bei Joe Rogan habe ich gefunden und werde sie mir ansehen. Skeptiker machen oft keine gute Figur, weil sie die Sache nicht ernst genug nehmen. Eine gute Ausnahme ist hier der youtube Kanal von Dr David Miano, ich kann ihn nur empfehlen.
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