Mittwoch, 28. Oktober 2020

⚖️ Cicero, Verres und Heraclius - Die Geschichte eines antiken Justizskandals






Das Römische Recht wird bis heute gepriesen und ist immer noch ein Teilaspekt der juristischen Ausbildung. Doch wie sah die Praxis dieses Rechts in der Antike aus? Nun, bestenfalls war sie durchwachsen. Selbst in ihren besten Tagen - also in der Republik - stellte die römische Juristerei eine oft schmutzige, korrupte und außerordentlich ungerechte Angelegenheit dar. Beispiele dafür könnte man etliche nennen, ich möchte mich an dieser Stelle jedoch auf ein einziges, überaus aussagekräftiges beschränken:

Im Jahr 70 v. Chr. wurde Gaius Verres, der kurz zuvor aus seinem Amt geschiedene Statthalter Siziliens, von niemand geringerem als dem aufstrebenden Politiker und Rechtsanwalt Marcus Tullius Cicero angeklagt (einen Staatsanwalt gab es im Antiken Rom nicht, es oblag vielmehr immer Privatpersonen Anklage zu erheben). Die Vorwürfe gegen Verres waren außerordentlich zahlreich, doch kurz zusammengefasst lässt sich sagen, dass er die ihm für drei Jahre zugewiesene Provinz als Selbstbedienungsladen betrachtet hatte und dabei überaus skrupellos vorging.
Nun war zwar bereits im 2. Jh. v. Chr. in Rom ein ständiger Gerichtshof gegen derlei Ausbeutung eingerichtet worden, doch die sogenannten "Repetundenprozesse" gingen häufig zu Ungunsten der klagenden Partei bzw. der finanziell drangsalierten Provinzbevölkerung aus. Ein Umstand, der kaum verwundert; schließlich konnten es sich die nach Ablauf ihrer Amtszeit verklagten Ex-Statthalter aufgrund der kurz zuvor erworbenen 'Beute' problemlos leisten, die Geschworenen mit hohen Geldsummen zu bestechen. Dass besagte Geschworene überdies der stadtrömischen Oberschicht angehörten - und daher ihrem verklagten Standesgenossen eher zugeneigt waren, als irgendwelchen Provinzlern - wird gewiss ebenfalls etwas dazu beigetragen haben. Auch im Fall des Gaius Verres stellte sich die Gemengelage dergestalt dar. Cicero, der Ankläger, ließ sich davon allerdings nicht entmutigen, sondern erschlug das Gericht regelrecht mit Beweisen, die er und sein Team im Vorfeld des Prozesses in Sizilien unter teils schwierigen Bedingungen gesammelt hatten.

Zu diesen Beweisen zählte auch der besonders skandalöse Fall des Heraclius, Sohn des Hieron. Diesem schon älteren, angesehenen Bürger der Stadt Syrakus war einst unter der Auflage, er müsse in einer lokalen Ringerschule einige Statuen aufstellen lassen, von einem Verwandten ein reiches Erbe vermacht worden, das u.a. aus einem mit viel kunstvollem Silbergeschirr und wertvollen Teppichen bestückten Haus, etlichen Sklaven sowie drei Millionen Sesterzen bestand (der Tagesverdienst eines Arbeiters betrug damals ca. drei bis vier Sesterzen). Als Verres von dem Vermögen erfuhr, versuchte er zuerst, sich einige der wertvolle Kunstobjekte 'auszuborgen' - ohne freilich die Absicht zu hegen, davon je wieder etwas zurückzugeben. Da Heraclius diese Masche des Verres bereits zu Ohren gekommen sein dürfte, ließ er sich nicht darauf ein. Nun traten allerdings vier führende Köpfe der Stadt Syracus - nämlich Theomnastos, Aischrion, Dionysodoros und Kleomenes  - an Verres heran und erzählten diesem von jener Bedingung, an die das Erbe des Heraclius geknüpft war. Außerdem unterbreitete man den Plan, Vertreter der Ringerschule zu der Falschaussage zu überreden, die im Testament vorgeschriebenen Statuen seien überhaupt nie aufgestellt worden, weshalb das ganze Erbe zur Strafe an die Ringerschule fallen müsse. Verres gefiel der Plan, denn er sah darin die Chance, sich im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzung kräftig zu bereichern.

So wurde hurtig ein Prozess gegen den armen Heraclius angestrengt, der nicht recht wusste wie ihm geschah. Da der in seiner Provinz mit absoluter Macht (dem 'Imperium') ausgestattete Verres die traditionell auf Sizilien üblichen Rechtsbestimmungen mit Füßen trat - so wurde etwa die Auswahl der Geschworenenrichter manipuliert -, flüchtete Heraclius aus Syrakus. Daraufhin wollte Verres ihn in Abwesenheit verurteilen lassen. Doch seine Mitverschwörer befürchteten sehr, dass ein Urteil in Abwesenheit die ganze Angelegenheit noch unrechtmäßiger erscheinen ließe und bei der Bevölkerung wesentlich mehr Erbitterung hervorrufen könnte, als dies ohnehin schon absehbar war. Nachdem Verres nachträglich einige kosmetische Veränderungen am Prozedere des Verfahrens vorgenommen hatte, ließ er den geflüchteten Heraclius von einigen Handverlesenen Geschworenenrichtern trotzdem verurteilen: Man übertrug der lokalen Ringerschule bzw. ihrer Besitzerin - das war die Stadt Syrakus - die gesamte Erbschaft des Heraclius. Mehr noch, sogar dessen restlicher Besitz, welcher ebenfalls beträchtlich war, wurde vollständig eingezogen. Die Verschwörer bereicherten sich sofort persönlich daran, wobei Verres die wertvollen Teppiche, die Silbergefäße und einige besonders kostbare "korinthische Gefäße" (die aus einer Gold-Silber-Kupfer-Legierung bestanden) erhielt; auch an den Sklaven des Heraclius bediente er sich reichlich. Als dann jedoch bekannt wurde, Verres hätte überdies 300000 Sesterzen an Bargeld bekommen, lief das Volk wütend zusammen und protestierte lautstark. Da er nicht abstreiten konnte, dass das Geld in seine Richtung geflossen ist, bezichtigte er seinen Schwiegersohn, es entwendet zu haben. Dieser hatte ihn nämlich, wie es damals für nahe männliche Verwandte mit politischen Ambitionen üblich war, in die Provinz als Mitglied des statthalterlichen Stabes begleitet. Allerdings konnte der besagte Schwiegersohn in einer Rede vor dem Gemeinderat von Syrakus glaubhaft machen, dass die Anschuldigungen gegen ihn unzutreffend sind. Darüber hinaus legte er unverblümt Verres' schlechten Charakter offen. Dem blieb deshalb nichts anderes übrig, zumindest die 300000 Sesterzen zurückzuzahlen. Doch tat er das nur vordergründig, den hinten herum kassierte er sie über Mittelsmänner bald darauf wieder ein ...

Was war das Ende vom Lied? Nun, Verres' Nachfolger als Statthalter von Sizilien, Lucius Caecilius Metellus, setzte Heraclius wieder in seine Besitzrechte ein. Freilich, von den besonders wertvollen beweglichen Wertgegenständen und dem Geld war nichts mehr übrig, sondern lediglich die Immobilien. Doch sträubten sich Mitglieder des Gemeinderats von Syracus (wohl allen voran die Verschwörer) dagegen, selbst diese zurückzugeben. Metellus griff deshalb hart durch und ließ die betreffenden Personen, wie es in der Überlieferung heißt, "abführen". Später, als Cicero Verres angeklagt hatte und sich nach Sizilien begab, um Beweise für dessen Verbrechen zu sammeln, änderte Metellus sein Verhalten plötzlich. Er behinderte Cicero bei dessen Ermittlungen wo immer er nur konnte. Angeblich war dem ein Schreiben des nun schwerreichen Verres an Metellus vorausgegangen...

Gaius Verres wurde dank Ciceros Engagement trotzdem verurteilt, nicht nur für das, was er Heraclius angetan hatte, sondern auch für viele weitere Verbrechen, die man ihm als Statthalter Siziliens nachweisen könnte. Seine politische Karriere, die wenige Jahre später mit der Wahl zum Konsul ihren Höhepunkt hätte finden können, war damit abrupt beendet. Er ging, wie manch anderer gescheiterter römischer Politiker, ins Exil nach Massalia (Marseille). Dort lebte er ein Leben in Luxus, denn die lediglich drei Millionen Sesterzen Entschädigung, die er hatte bezahlen müssen, schmälerten sein zusammengeraubtes Vermögen kaum. Das jedoch sollte ihm 27 Jahre später zum Verhängnis werden: Wie viele andere reiche Leute wurde er im Jahr 43 v. Chr. - während der Gewaltherrschaft von Antonius, Octavian und Lepidus - auf die Proskriptionsliste gesetzt und ermordet; dasselbe Schicksal ereilte auch seinen einstigen juristischen Gegenspieler Cicero.

Hinweis: Der Prozess und die Verbrechen des Verres sind ein zentrales Thema in Robert Harris' "Imperium" - dem ersten von drei Romanen über den Aufstieg und Fall des Marcus Tullius Cicero.

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Quelle und weiterführende Literatur:
  • Cicero | Reden gegen Verres III | Reclam Verlag | 1988/2015 | Infos bei Amazon


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