Dienstag, 12. Januar 2021

📖 Zeitschrift "Bayerische ArchĂ€ologie: Abrisse alter HĂ€user" - ĂŒber Denkmalschutz-Sauereien und 'Dorfdeppen'

Denkmalschutz-Sauereien zum Quadrat

Themenschwerpunkt in Heft 4/2020 der vom Verlag Friedrich Pustet herausgegebenen Zeitschrift "Bayerische ArchĂ€ologie" ist der "Abriss alter HĂ€user" wie Stadeln, Bauern- und WirtshĂ€user. Anhand von 16 konkreten Beispielen wird dargelegt, mit welcher Leichtig- und Hirnlosigkeit Politiker sowie mutmaßlich kriminelle Immobiliengesellschaften unser historisch-bauliches Erbe unwiederbringlich vernichten, um es durch ParkplĂ€tze und neue HĂ€user im faden Einheitsstil zu ersetzen. 

Besondere BestĂŒrzung und große Wut ruft der Fall des im Jahr 1548 errichteten "Rosenzweighauses" im mittelfrĂ€nkischen Markt MĂŒhlhausen hervor. Trotz einer vom Landesamt fĂŒr Denkmalpflege als illegal eingestuften Abbruchgenehmigung des baugeschichtlich wertvollen BĂŒrgerhauses und trotz der Tatsache, dass eine BĂŒrgerinitiative die Sanierung ĂŒbernehmen wollte, ließ der Gemeinderat das GebĂ€ude hastig dem Erdboden gleichmachen. Angeblich sogar gegen den Willen des eigenen BĂŒrgermeisters. Als Grund fĂŒr diese Eile wird eine 500.000-Euro-Förderung fĂŒr die "Dorferneuerung" genannt, die man sich nicht entgehen lassen wollte. 
Man möchte diese Gemeindepolitiker - vielleicht wĂ€re hier aber auch der Begriff 'Dorfdeppen' probater - fĂŒr ihre unsagbare Borniertheit gerne mit einem nassen Fetzen traktieren. Was nicht der 2. Weltkrieg vernichtet hat, wird nun ausgerechnet von einer so gerne demonstrativ als Muster-Anti-Nazis posierenden Politikerklasse sukzessive ruiniert. Wenn das mal keine Ironie ist!

Besser ging ein Fall in Bamberg aus. Dort ließ eine Immobilienfirma, die mittlerweile Insolvenz angemeldet hat und gegen die wegen Betrugs ermittelt wird, ein aus zwei HĂ€usern bestehendes Baudenkmal in der Oberen Sandstraße 20 dermaßen verfallen, dass die Fassade durch massive StĂŒtzen davor bewahrt werden musste, auf die Straße zu fallen. Eine skandalöse VernachlĂ€ssigung, wenn man bedenkt, dass Teile des Komplexes bereits 1358 urkundlich erwĂ€hnt worden sind; das bestehende Dachwerk wurde dendrochronologisch in die Jahre 1530/31 datiert; wiederum ein RĂŒckgebĂ€ude stammt aus dem 18. Jahrhundert. 
Aufgrund von BĂŒrgerprotesten konnten ein weiterer Verfall und ein Abriss jedoch abgewendet werden. Die Stadt kaufte das Vorderhaus von der Immobiliengesellschaft und bezahlte dabei sogar 550.000 weniger, als die Firma selbst bezahlt hatte.
Bezeichnenderweise ist in Bamberg ein weiteres mittelalterliches/frĂŒhneuzeitliches GebĂ€ude - der ehemalige "Gasthof zum Roten Ochsen" - aufgrund schwerer VernachlĂ€ssigung durch die selbe Immobilienfirma bedroht ...

Beispiele wie die obigen erinnern mich an die Schreinerei von Meister Eder aus der Fernsehserie "Pumuckl". Dieses schöne alte MĂŒnchner Hinterhaus, in dem einst die Dreharbeiten stattgefunden haben, wurde ebenfalls abgerissen und durch einen BĂŒroklotz ersetzt.


Funde zum Quadrat - doch Forscher mĂŒssen draußen bleiben

In der Tongrube Hammerschmiede bei Pforzen befindet sich eine außergewöhnliche Fundstelle, wo PalĂ€ontologen unzĂ€hlige Überreste von z.T. in Westeuropa lĂ€ngst ausgestorbenen Tieren wie dem PandabĂ€ren und dem Riesenkranich ausgraben; auch der bedeutenden Menschenaffenart Danuvius gugenmosi ist man auf der Spur. Erfreulicherweise findet das alles unter Beteiligung begeisterter BĂŒrger statt. Sogar auf eine interessante, von einem AusgrĂ€ber selbst gebaute Maschine zum Aussieben von Funden wird dabei zurĂŒckgegriffen (etwas in der Art hatte ich noch nie gesehen).
BemÀngelt wird vom Artikel-Autor allerdings, dass aufgrund der bayerischen Gesetzgebung nicht mehr von dem GelÀnde der Tongrube untersucht bzw. unter Schutz gestellt werden kann; vielmehr haben die Wissenschaftler in diesen anderen Bereichen sogar Betretungsverbot.

VerstĂ€ndlich. Das Betretungsverbot meine ich. Der Besitzer wird schließlich kein Interesse daran haben, wegen den archĂ€ologischen Maßnahmen, die sich ĂŒber Jahre oder gar Jahrzehnte hinziehen können, großen finanziellen Schaden zu erleiden. So etwas ist eigentlich immer nur solchen Leuten wurscht, die derartiges selbst nicht treffen kann (weil sie nichts Nennenswertes besitzen, das man ihnen wegnehmen könnte). Forschung kann es ebenso wie Denkmalschutz nicht zum Nulltarif geben.


Heuchler zum Quadrat: Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die in der Heftmitte abgedruckten Mitteilungen der "Gesellschaft fĂŒr ArchĂ€ologie in Bayern e.V." haben mich auch diesmal nicht enttĂ€uscht. Im Bericht ĂŒber die Verleihung eines ArchĂ€ologiepreises fĂŒr SchĂŒler des Anne-Frank-Gymnasiums heißt es: "Coronabedingt wurde die Preisverleihung, auch um die geltenden Abstandsregeln einzuhalten, im Erdinger Stadtpark vorgenommen". Daneben prangt ein Bild, auf dem PreistrĂ€ger und EhrengĂ€ste sich grinsend und ohne Gesichtsvorhang dicht an dicht drĂ€ngen. 🙄

Um eines klarzustellen, mir persönlich ist jedwede BlockwartmentalitĂ€t fremd, weshalb es mich an sich auch nicht kratzt, ob diese Leute irgend einen Virensicherheitsabstand einhalten oder nicht. Von mir aus können sie auf offener BĂŒhne auch gerne Lambada tanzen. Aber wenn man schon in einem Artikel die eigene Tugend und Gesetzestreue herausstreicht, dann sollte man dies nicht sogleich mit einem Foto konterkarieren. Es sei denn, man möchte unbedingt in den Augen der Öffentlichkeit als Oberheuchler dastehen.


Fragen zum Quadrat: Ein toter keltischer Bub in der Speichergrube

Zu der absolut bemerkenswerten Funktionsweise von eisenzeitlich-keltischen Speichergruben habe ich im Blog vor ein paar Monaten einen Beitrag veröffentlicht. Darin wies ich auch darauf  hin, dass solche Gruben, die sehr hĂ€ufig archĂ€ologisch festgestellt werden, am Ende ihrer primĂ€ren Nutzungsdauer gerne zur Abfallentsorgung verwendet wurden. Freilich, dass man darin auch Leichen entsorgt hat, war zwar kein ĂŒbliches Prozedere, kam aber gelegentlich vor. Ein solcher Fall wurde nun in Nördlingen dokumentiert, wo man das in die LatĂšnezeit datierte Skelett eines "9-12jĂ€hrigen Jungen"* entdeckte. 
Der spannende Befund gibt einige RÀtsel auf: Handelt es sich vielleicht um die hastige Beseitigung eines Mordopfers? Oder hat man es mit der lieblosen Bestattung eines Menschen von sehr niedrigem sozialem Status zu tun? Etwa einem Kriegsgefangenem bzw. Sklaven? Die vom Autor aufgezÀhlten Befunde sind hier nicht eindeutig, aber in Summe durchaus interessant; verdeutlichen sie doch wie die moderne ArchÀologie unter Zuhilfenahme naturwissenschaftlicher Methoden in der Lage ist, immer genauere Bilder der Vergangenheit zu entwerfen.

Ein bisschen erinnert mich diese Geschichte ĂŒbrigens an einen von ArchĂ€ologen aufgedeckten Fall im antiken Pompeji, der ebenfalls höchst außergewöhnlich ist - siehe meinen Text darĂŒber.

* Warum verwendet das Bayerische Landesamt fĂŒr Denkmalpflege in einer bayerischen ArchĂ€ologie-Zeitschrift eigentlich nicht den sĂŒddeutschen, aber auch nördlich des WeißwurstĂ€quators verstĂ€ndlichen Begriff "Buben"? Dieses Wort ist schließlich nicht "Dialekt", sondern auch Hochdeutsch. 
Es mutet widersprĂŒchlich an, einerseits (zurecht) die Zerstörung von BaudenkmĂ€lern zu kritisieren, andererseits aber die ebenfalls schĂŒtzenswerte Vielfalt der deutschen Sprache gering zu achten und somit genauso dem Verfall preiszugeben. 


Weitere BeitrÀge
  • Polder Sulzbach: ArchĂ€ologie beim Donauausbau
  • Reiter im Kreisgraben
  • Pandemie in der Altsteinzeit? Krankheitserreger und ihre Ausbreitung unter historischen JĂ€gern und Sammlern (eine interessante Fragestellung, weil schon lĂ€nger die Theorie herumgeht, erst mit der Sesshaftwerdung seien Pandemien möglich gewesen)
  • Nachruf auf Johannes Prammer: Verdient um Sorviodurum
  • Neue BĂŒcher
  • Ausstellungen
  • Veranstaltungen/Abos
  • Veranstaltungen/Vorschau


Fazit

Dass im vorliegenden Heft die geradezu böswillige Zerstörung von Baujuwelen anhand besonders aufrĂŒttelnder Beispiele ausfĂŒhrlich dokumentiert worden ist, kann aufgrund der Dringlichkeit des Problems kaum genug gelobt werden. Schließlich arbeiten Zeit und geschichtsvergessene Politignoranten unaufhörlich auf verschiedensten Ebenen an der unwiederbringlichen Vernichtung unserer kulturellen/historischen Erbes. Abseits dieses Schwerpunkts stellen die anderen Themen des Hefts einen abwechslungsreichen Mix dar. 
Einen kleinen, aber grundsĂ€tzlichen Kritikpunkt kann ich den Machern der Reihe allerdings nicht ersparen - nĂ€mlich diese inkonsequent-skurrile Geschlechtergerechtigkeitssprache, bei der man zu Beginn eines Textes pro forma die mĂ€nnliche und weibliche Variante nebeneinander verwendet ("ArchĂ€ologinnen und ArchĂ€ologen"), aber bei nĂ€chstbester Gelegenheit sofort wieder darauf 'vergisst' ("die Kelten" statt "die Keltinnen und Kelten"), weil der Text anderenfalls schlicht zu anstrengend zu lesen wĂ€re. Möglicherweise findet der geschĂ€tzte Herausgeber Roland GschlĂ¶ĂŸl diese Alibi-Handlungsweise ja so entbehrlich und strohdumm wie ich, traut sich aber nicht gegen den Strom zu schwimmen bzw. konsequent zum generischen Maskulinum zurĂŒckzukehren? Was denkt er sich wohl dabei? Mich wĂŒrde es ehrlich interessieren.

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6 Kommentare:

  1. Am Rosenzweighaus (den Namen habe ich nicht gekannt, aber das Haus) bin ich 31 Jahre lang vorbei gefahren. Als Schuler, als Lehrling, als Angestellter und als Vater. SpĂ€ter ist mein Sohn daran als SchĂŒler vorbeigefahren. Auf einmal war es weg. Ich habe mir zuerst gedacht, dass es eines UnglĂŒcks wegen eingestĂŒrzt ist, aber wie ich dann Monate spĂ€ter erfahren habe, dass es absichtlich weggerissen worden ist, hat mich das sehr verĂ€rgert.
    Wie viele Menschen haben das schöne alte HĂ€uschen vor mir schon bewundert, und wie viele hĂ€tten es nach uns noch bewundern können, wenn wir nicht von Deppen regiert werden wĂŒrden?

    Viele grĂŒĂŸe,
    Vince

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  2. Hilti, Herr GschlĂ¶ĂŸl wĂŒrde dir wahrscheinlich sagen, dass er die Berichte so eingereicht bekommt und auch genauso abdrucken muss, damit die Autoren keinen Druck kriegen, wenn sie nicht gendern. Richtige Meinungsfreiheit ist in der Wissenschaft noch nie groß geschrieben worden, vor allem wenn man als Wissenschaftler Erfolg haben möchte. FrĂŒher haben die Konservativen die Linken/Progressiven mit der Kommunisten-Keule unterdrĂŒckt, heute ist es genau umgekehrt und man wird sofort als Nazi oder "rechts" aus dem Diskursraum gekickt.

    C3PO

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    1. GschlĂ¶ĂŸl gendert aber selber genauso inkonsequent und damit blödsinnig.
      Außerdem erscheinen viele der Artikel ohne Nennung der genauen Autorenschaft, das finde ich ebenfalls fragwĂŒrdig fĂŒr so eine Publikation.
      Die Hefte sind ansonsten aber nicht schlecht gemacht, bin schon lange Abonnent.

      RR

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    2. Der Preis stimmt auch, deshalb blicke ich ĂŒber solchen kleineren MĂ€ngel hinweg :-)

      Gero

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  3. Der Duden will jetzt auch online alles durchgendern.
    https://reitschuster.de/post/widerstand-gegen-den-gender-duden/

    Aber:
    >> “Damit widerspricht der Duden nicht nur den Regeln der deutschen Grammatik, sondern auch dem Bundesgerichtshof”, kritisiert der Sprachverein. Der Bundesgerichtshof habe im MĂ€rz 2018 letztinstanzlich festgestellt, dass mit der Bezeichnung “der Kunde” Menschen jeglichen Geschlechts gemeint seien. Er habe damit die Beschwerde einer KlĂ€gerin abgewiesen, die von ihrer Sparkasse als “Kundin” bezeichnet werden wollte, fĂŒhrt der Verein aus.<<

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  4. Diese Speichergruben sind wirklich eine spannende Sache! LG, Hadi

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