Freitag, 9. Juli 2021

📖 Buch: Kleine Geschichte des römischen Volkes - von Rufius Festus

Mehr eine Geschichtsaufzählung, weniger eine Geschichtserzählung

Der im 4. Jahrhundert lebende römische Beamte Rufius Festus verfasste im Auftrag des oströmischen Kaisers Valens um 370 n. Chr. eine knapp 4000 Wörter zählende Zusammenfassung der römischen Geschichte; von der Gründung der Stadt bis in die Gegenwart des Autors. Zweck des Werks war es wahrscheinlich, das historische Grundlagenwissen von kaiserlichen Beamten zu festigen und möglicherweise auch das durch eine 'Barbarisierung' zunehmend wegerodierende "Wir-Gefühl" mit Verweis auf die glorreiche Vergangenheit des Reichs zu stärken. Auf jeden Fall wird dazumal wohl eine gute Allgemeinbildung innerhalb der Beamtenschaft nicht mehr auf sämtlichen Ebenen anzutreffen gewesen sein. Überhaupt ist es auffällig, dass in der Spätantike stark zusammengekürzte Geschichtsabhandlungen (Epitome, Breviarien) - die eine oder mehrere Quellen älterer Autoren verwendeten - außerordentlich beliebt waren. Gleichzeitig wurden die wesentlich umfangreichen Werke von z.B. Livius zunehmend ins Abseits gedrängt. Insgesamt wird man darin wahrscheinlich ein Zeichen für den kulturellen Verfall jener Tage sehen können (die z.T. politisch motivierten Schönredner in den Historikerkreisen würden gewiss den Euphemismus "Transformation" vorziehen).

Der historische Stoff wurde vom Autor nicht streng chronologisch, sondern auch geografisch geordnet. Aufgrund der vom Kaiser verlangten Kürze des Werks musste dabei eine thematische Auswahl getroffen werden, bei der einiges unter den Tisch fiel - etwa die Zeit der flavischen Kaiser. Festus räumt darüber hinaus ein, dass sein Werk eher aufzählenden, statt erzählenden Charakter hat. Hier zwei Beispiele:

Von der Gründung Roms bis zum Beginn der Herrschaft Eurer Ewigkeit, wodurch Rom eine so glückliche Regentschaft unter den Brüdern [Valens und Valentinian] zuteil wurde, zählt man 1117 Jahre. Also zählt man 243 Jahre unter den Königen, 467 Jahre unter den Konsuln und 407 Jahren unter den Kaisern. (Kapitel 2.1)

Der Prokonsul Servlius, ausgesandt einen Krieg gegen die Piraten zu fĂĽhren, nahm Pamphylien, Lykien und Pisidien ein.
Bithynien erlangten wir durch den letzten Willen des verstorbenen Königs Nikomedes.
Wir drangen in Gallogriecheneland ein, d.h. Galatien (die Galater stammen nämlich, wie der Klang des Namens offenbart, von den Galliern ab), weil die Galater dem Antiochus gegen die Römer Hilfe geleistet hätten. Der Prokonsul Mummius verfolgte die Galater und drängte sie, als sie teils auf den Olympus, teils auf den Berg Magaba, der jetzt Modiacus heißt, flüchteten, von den steilen Hängen in ebenes Gelände und brachte ihnen, nachdem sie besiegt waren, dauerhaften Frieden. Anschließend beherrschte, mit unserer Erlaubnis, der Tetrarch Deiotarus Galatien. Zuletzt bekam Galatien unter Octavius Caesar Augustus den Status einer Provinz und als Erster verwaltete sie der Propraetor Lollius. (Kapitel 11.1 - 11.3)

Es ist auffällig, dass der Autor - obwohl er selbst aus dem Westteil des Reiches stammt - sich stark auf den Osten konzentriert und dabei wiederum besonders ausführlich die vielen militärischen Konflikte mit den benachbarten Parthern bzw. dem Neupersischen Reich (Sassaniden) betrachtet. Es wird vermutet, dass der Grund für diese Schwerpunktsetzung in einem geplanten Feldzug des Ost-Kaisers Valens liegt.

Mehr als die Hälfte der vorliegenden 168seitigen lateinisch-deutschen Ausgabe besteht aus Einleitung und Anhang, wo sich viele nützliche Zusatzinformationen finden, die das sinnerfassende Lesen und Verwenden des Textes erleichtern (z.B. eine Analyse der von Festus herangezogenen Quellen, ein Namensverzeichnis usw.).
Die Übersetzung ist eine Gemeinschaftsarbeit mehrere Wissenschaftler. Der Fokus lag dabei auf einer guten Leserlichkeit, nicht auf einer möglichst genauen Wiedergabe der lateinischen Sprachstrukturen. Das ist an sich gelungen, allerdings hätte man den einen oder anderen verschachtelten Satz durchaus entschärfen können.


Fazit: Festus' "Kleine Geschichte des römischen Volkes" muss man nicht in seiner Bibliothek antiker Primärquellen haben, es schadet aber auch nicht (sofern man sich nicht am Preis stört).  Am ehesten ist der Text fĂĽr an der Spätantike Interessierte nĂĽtzlich, da sich der Autor mit ihr ĂĽberproportional beschäftigt (es war ja auch seine eigene Zeit). Die Epochen davor werden hingegen wesentlich ausfĂĽhrlicher von Autoren wie Dio, Livius, Tacitus und Co. behandelt.

—————–


Weitere interessante Themen:


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.