Mehr eine GeschichtsaufzÀhlung, weniger eine GeschichtserzÀhlung
Der im 4. Jahrhundert lebende römische Beamte Rufius Festus verfasste im Auftrag des oströmischen Kaisers Valens um 370 n. Chr. eine knapp 4000 Wörter zĂ€hlende Zusammenfassung der römischen Geschichte; von der GrĂŒndung der Stadt bis in die Gegenwart des Autors. Zweck des Werks war es wahrscheinlich, das historische Grundlagenwissen von kaiserlichen Beamten zu festigen und möglicherweise auch das durch eine 'Barbarisierung' zunehmend wegerodierende "Wir-GefĂŒhl" mit Verweis auf die glorreiche Vergangenheit des Reichs zu stĂ€rken. Auf jeden Fall wird dazumal wohl eine gute Allgemeinbildung innerhalb der Beamtenschaft nicht mehr auf sĂ€mtlichen Ebenen anzutreffen gewesen sein. Ăberhaupt ist es auffĂ€llig, dass in der SpĂ€tantike stark zusammengekĂŒrzte Geschichtsabhandlungen (Epitome, Breviarien) - die eine oder mehrere Quellen Ă€lterer Autoren verwendeten - auĂerordentlich beliebt waren. Gleichzeitig wurden die wesentlich umfangreichen Werke von z.B. Livius zunehmend ins Abseits gedrĂ€ngt. Insgesamt wird man darin wahrscheinlich ein Zeichen fĂŒr den kulturellen Verfall jener Tage sehen können (die z.T. politisch motivierten Schönredner in den Historikerkreisen wĂŒrden gewiss den Euphemismus "Transformation" vorziehen).
Der historische Stoff wurde vom Autor nicht streng chronologisch, sondern auch geografisch geordnet. Aufgrund der vom Kaiser verlangten KĂŒrze des Werks musste dabei eine thematische Auswahl getroffen werden, bei der einiges unter den Tisch fiel - etwa die Zeit der flavischen Kaiser. Festus rĂ€umt darĂŒber hinaus ein, dass sein Werk eher aufzĂ€hlenden, statt erzĂ€hlenden Charakter hat. Hier zwei Beispiele:
Von der GrĂŒndung Roms bis zum Beginn der Herrschaft Eurer Ewigkeit, wodurch Rom eine so glĂŒckliche Regentschaft unter den BrĂŒdern [Valens und Valentinian] zuteil wurde, zĂ€hlt man 1117 Jahre. Also zĂ€hlt man 243 Jahre unter den Königen, 467 Jahre unter den Konsuln und 407 Jahren unter den Kaisern. (Kapitel 2.1) |
Der Prokonsul Servlius, ausgesandt einen Krieg gegen die Piraten zu fĂŒhren, nahm Pamphylien, Lykien und Pisidien ein. Bithynien erlangten wir durch den letzten Willen des verstorbenen Königs Nikomedes. Wir drangen in Gallogriecheneland ein, d.h. Galatien (die Galater stammen nĂ€mlich, wie der Klang des Namens offenbart, von den Galliern ab), weil die Galater dem Antiochus gegen die Römer Hilfe geleistet hĂ€tten. Der Prokonsul Mummius verfolgte die Galater und drĂ€ngte sie, als sie teils auf den Olympus, teils auf den Berg Magaba, der jetzt Modiacus heiĂt, flĂŒchteten, von den steilen HĂ€ngen in ebenes GelĂ€nde und brachte ihnen, nachdem sie besiegt waren, dauerhaften Frieden. AnschlieĂend beherrschte, mit unserer Erlaubnis, der Tetrarch Deiotarus Galatien. Zuletzt bekam Galatien unter Octavius Caesar Augustus den Status einer Provinz und als Erster verwaltete sie der Propraetor Lollius. (Kapitel 11.1 - 11.3) |
Es ist auffĂ€llig, dass der Autor - obwohl er selbst aus dem Westteil des Reiches stammt - sich stark auf den Osten konzentriert und dabei wiederum besonders ausfĂŒhrlich die vielen militĂ€rischen Konflikte mit den benachbarten Parthern bzw. dem Neupersischen Reich (Sassaniden) betrachtet. Es wird vermutet, dass der Grund fĂŒr diese Schwerpunktsetzung in einem geplanten Feldzug des Ost-Kaisers Valens liegt.
Mehr als die HĂ€lfte der vorliegenden 168seitigen lateinisch-deutschen Ausgabe besteht aus Einleitung und Anhang, wo sich viele nĂŒtzliche Zusatzinformationen finden, die das sinnerfassende Lesen und Verwenden des Textes erleichtern (z.B. eine Analyse der von Festus herangezogenen Quellen, ein Namensverzeichnis usw.).
Die Ăbersetzung ist eine Gemeinschaftsarbeit mehrere Wissenschaftler. Der Fokus lag dabei auf einer guten Leserlichkeit, nicht auf einer möglichst genauen Wiedergabe der lateinischen Sprachstrukturen. Das ist an sich gelungen, allerdings hĂ€tte man den einen oder anderen verschachtelten Satz durchaus entschĂ€rfen können.
Fazit: Festus' "Kleine Geschichte des römischen Volkes" muss man nicht in seiner Bibliothek antiker PrimĂ€rquellen haben, es schadet aber auch nicht (sofern man sich nicht am Preis stört). Am ehesten ist der Text fĂŒr an der SpĂ€tantike Interessierte nĂŒtzlich, da sich der Autor mit ihr ĂŒberproportional beschĂ€ftigt (es war ja auch seine eigene Zeit). Die Epochen davor werden hingegen wesentlich ausfĂŒhrlicher von Autoren wie Dio, Livius, Tacitus und Co. behandelt.
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