Dienstag, 15. November 2022

💀 Josef Mengele lässt grüßen: Grausame medizinische Experimente an Gefangenen in der Antike


Unethische medizinische Experimente gibt es nicht erst seit dem berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele. Vielmehr wurde schon in der Antike Häftlingen im Namen der Wissenschaft, des Fortschritts und des Allgemeinwohls unsagbares Leid zugefügt. Zwar wurde damals auch der berühmte "Eid des Hypokrates" geboren, jedoch etwas wie den "Nürnberger Kodex" kannten antike Ärzte noch nicht. Diese speziellen Richtlinien waren - auch als Reaktion auf Mengele und Konsorten - erst 1947 beschlossen worden; mit dem Ziel, unethisches Verhalten besonders im Rahmen medizinischer Experimente am Menschen zu verhindern. Freilich, bald acht Jahrzehnte später nimmt man es mit dem besagten Nürnberger Kodex nicht mehr so genau. Wieder ist es jüngst das Allgemeinwohl, das wie schon vor über 2000 Jahre als Grund vorgeschoben wird, um ethische Maßstäbe zu ignorieren sowie um bestehende Regeln auszudehnen, umzuinterpretieren oder ganz zu verwerfen (einige Ärzte antworten darauf nun mit der sogenannten "Heidelberger Erklärung"). In den USA können kleinkriminelle Häftlinge sogar eine Haftverkürzung erlangen, wenn sie sich als Probanden für medizinische Versuche - oft geht es dabei um neue Medikamente - zur Verfügung stellen. Immerhin ist das 'freiwillig'. Aber ist es deshalb auch gleich ethisch? Wird hier - und in anderen, wesentlich größeren Zusammenhängen - nicht von Pharmakonzernen, in Partnerschaft mit dem Staat, die schwierige Lebenssituation von Menschen schamlos ausgenutzt?

Die folgenden Zitate habe ich entnommen aus "Celsus und die antike Wissenschaft", Verlag De Gruyter, 2017. Sie enthüllen die totale Entmenschlichung, die schon in der Antike einige medizinische Wissenschaftler kennzeichnete.

[...] Weil Schmerzen und andere Krankheitssymptome in den inneren Regionen des Körpers entstehen, glauben sie (die Empiriker unter den antiken Ärzten) ferner, dass niemand die richtigen Heilmittel einsetzen könne, der diese Teile nicht kenne. Deshalb halten sie es für erforderlich, Leichen zu öffnen und deren Eingeweide und Gedärme zu untersuchen. Herophilos und Erasistratos hätten hervorragende Arbeit geleistet, indem sie Verbrecher, die sie von den Königen aus dem Gefängnis bekommen hatten, bei lebendigem Leib öffnete und, während sie noch atmeten, deren Organe betrachteten, die die Natur vorher unter Verschluss gehalten hatte, deren Lage, Farbe, Gestalt, Größe, Anordnung, Härte, Weichheit, Glätte, die Nachbarschaftsbeziehungen, schließlich die Vorsprünge und Vertiefungen der einzelnen Organe, und darauf achteten, wie sich ein Organ an das andere schmiegt oder das eine einen Teil des benachbarten in sich aufnimmt. [...]
Es sei auch nicht grausam, durch die Opferung von - noch dazu - wenigen Verbrechern nach Behandlungsmethoden für alle rechtschaffenen Menschen kommender Zeiten zu suchen. Die von der Mehrheit vertretene gegenteilige Meinung sei verkehrt. [...]
Aulus Cornelius Celsus| De medicina I Prooemium 1-75 | in "Celsus und die Antike Wissenschaft" S 87-89 | Herausgeber: Werner Albert Golder | Verlag: De Gruyter, 2017

Man war ja in der Antike nicht gerade Zart besaitet - siehe die grausamen Strafen und all die oft nicht minder grausamen Volksbelustigungen wie etwa Gladiatorenspiele. Aber offenbar bereitete es schon damals Menschen große Bauchschmerzen, wenn gruselige Methoden wie die Vivisektion Anwendung fanden. Das legt zumindest die Formulierung "die von der Mehrheit vertretene gegenteilige Meinung" nahe. Ob hier die Mehrheit der Mediziner, die Mehrheit der Bevölkerung oder die Mehrheit insgesamt gemeint ist, bleibt eher offen.
 
Der Autor und Arzt Aulus Cornelius Celsus geht wenig später erneut auf das Thema Menschenversuch sowie die ethische Rechtfertigung dafür ein. Anscheinend neigt er aber selbst den Argumenten der strikten Gegnern dieser Praxis zu, denn er legt sie recht ausführlich dar. Grausam sei es, dass ...

... Ärzte Bauch- und Brusthöhlen lebender Menschen öffnen und so die Disziplin, die das gesundheitliche Wohl der Menschen wahren soll, einige nicht nur ins Verderben stürze, sondern dies auch noch in seiner schrecklichsten Form - ganz abgesehen davon, dass ein Teil von dem, was man mit so großer Brutalität zu erforschen trachtet, überhaupt nicht und das übrige auch ohne verbrecherische Eingriffe ans Licht gebracht werden könne. [...].
Es gebe nichts törichteres als anzunehmen, die anatomischen Verhältnisse beim sterbenden oder sogar bereits toten Menschen seien die gleichen wie beim Lebenden. Die Bauchhöhle, die für die Integrität des Lebens weniger wichtig sei, könne man zwar öffnen, ohne dass der Mensch zu atmen aufhöre. Sobald aber das Messer in die Brusthöhle eingedrungen und die Querwand durchtrennt sei - ein häutiges Gebilde, dass die Brust- von den Bauchorganen trennt (die Griechen nennen es Diaphragma) - verliere der Mensch sofort das Leben. So kämen dem mörderischen Arzt schließlich Brust- und Bauchbogen eines bereits Toten zu Gesicht und zwar notwendigerweise in dem Zustand wie man ihm bei Toten antreffe, und nicht so wie bei einem Lebenden. So erreiche der Arzt nur, dass er einen Menschen grausam hinschlachte, er erfahre aber nicht wie unsere Eingeweide aussehen, solange wir leben. Wenn er aber doch das eine oder andere gebe, das der Betrachtung zugänglich sein sollte, solange der Mensch noch atme, verschaffe oftmals der Zufall den Ärzten die Gelegenheit dazu. Vereinzelt werde nämlich ein Gladiator in der Arena, ein Soldat in der Schlacht oder ein Reisender bei einem Raubüberfall so schwer verletzt, dass innere Organe zu sehen seien. In dieser Situation könne der kluge Arzt Sitz, Lage, Anordnung, Gestalt und ähnliches mehr erkennen, und zwar ohne Tötungsabsicht, sondern mit dem Vorsatz zu helfen, und das auf dem Weg der Barmherzigkeit erlernen, was sich andere mit entsetzlicher Grausamkeit angeeignet hätten. Deshalb sei nicht einmal die Sektion von Leichen notwendig - eine, wenn doch nicht grausame, so doch ekelhafte Angelegenheit - weil sich die Verhältnisse mit dem Tod größtenteils ändern und die Behandlungspraxis zeigt, wie viel man bei Lebnenden erkennen könne.
Aulus Cornelius Celsus| De medicina I Prooemium 1-75 | in "Celsus und die Antike Wissenschaft" S 95-99 | Herausgeber: Werner Albert Golder | Verlag: De Gruyter, 2017

Die Befürworter der beschriebenen brutalen Vorgehensweise waren offenbar von der Wichtigkeit überzeugt, die inneren Organe nicht im bereits toten Zustand zu begutachten, sondern noch im lebenden. Da man nur so wichtige Rückschlüsse für das Heilen von Krankheiten, die lebende Organe befallen haben, ziehen könne. Auch Informationen zur Funktion der Organe erhoffte man sich dadurch. Das ist auch aus moderner medizinischer Sicht nicht völlig falsch, jedoch haben wir heute die Möglichkeit, diese Erkenntnisse mit schmerzfreien bildgebenden Verfahren wie Ultraschall, Röntgen usw. zu erlangen. 
Als anderes, wenn auch bei weitem nicht so übles Extrem wird dann noch jene damalige wissenschaftliche Meinung angeführt, wonach selbst das Sezieren von Toten nicht nötig sei. Wir wissen heute, dass es sich dabei um einen falschen Ansatz handelt. Auch Celsus war dieser Ansicht und zieht zum gegenständlichen Themenkomplex sein persönliches Fazit:

Vivisektionen sind grausam und überflüssig, Leichenöffnungen hingegen für die Studierenden unverzichtbar. Denn sie müssen die Lage und Anordnung der Organe kennen lernen. Das Studium der topographischen Anatomie ist aber bei einem Leichnam aufschlussreicher als bei einem Verletzten, der noch am Leben ist. Das andere, was man am lebenden Menschen lernen kann, wird die traumatologische Praxis zeigen, ein wenig langsamer zwar, aber viel schonender.
Aulus Cornelius Celsus| De medicina I Prooemium 1-75 | in "Celsus und die Antike Wissenschaft" S 113 | Herausgeber: Werner Albert Golder | Verlag: De Gruyter, 2017


Notiz am Rande, zum mittleren der obigen Zitate: Es fällt auf, dass Celsus nach dem Gladiator und dem Soldaten sofort der von Räubern überfallene Reisende als typisches Opfer von brutalster körperlicher Gewalt einfällt. Das ist ein Indiz dafür, wie extrem schlecht es um die Sicherheit auf den heute noch vielgepriesenen römischen Straßen bestellt war. Ich habe dazu ja bereits vor einiger Zeit einen eigenen Beitrag geschrieben.



8 Kommentare:

  1. Puuh, da dreht es einem ja den Magen um. Das ist wie aus einem Horrorfilm. Der Menschändert sich offenbar nicht, nur seine Möglichkeiten.
    Guinevere

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  2. Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert, könnte man hier sagen.

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  3. mir gefallen gewisse Andeutungen nicht.

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    1. Im ersten Absatz die Heidelberger Erklärung

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    2. Inwieweit ist da etwas "angedeutet"? Um was es geht, kann man klar und deutlich der verlinkten Erklärung entnehmen, nämlich um ethisch astreine Standards beim Einsatz von neuen, noch nicht breit erprobten medizinischen Substanzen am Menschen. Das lässt nicht viel Spielraum für Interpretationen. Und wer könnte außerdem gegen die Intention etwas einwenden wollen? Außer vielleicht Pharmakonzerne und ihre politischen Wasserträger.

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    3. Ich halte den angegebenen Auslöser der Unterzeichner für fragwürdig.

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    4. Für den gut Informierten ist daran absolut nichts fragwürdig.
      Ich empfehle zuvörderst einen Blick in die entsprechenden Quellen zu werfen, wie etwa aktuelle wissenschaftliche Studien (Beispiel: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2589004222018168)
      oder juristische Dokumente, die die wissenschaftliche Faktenlage allgemein verständlich und gut übersichtlich aufschlüsseln (Beispiel: https://tkp.at/wp-content/uploads/2022/11/DE_Strafanzeige-Swissmedic_v1.0.pdf).

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