Dienstag, 17. September 2024

🥣 Hiltibold backt: Wie genießbar sind altrömische Mostbrötchen nach einem Rezept aus dem 2. Jahrhundert vor Christus?


Beim Nachkochen bzw. Nachbacken historischer Rezepte sind für mich drei Punkte von zentraler Bedeutung: 1. Das Rezept muss einfach umsetzbar sein. 2. Die Zutaten müssen leicht beschaffbar sein. 3. Die Zutaten dürfen nicht zu viel kosten. Was hat man schon davon, wenn das Rezept zwar unkompliziert ist, aber man wegen allzu exotischen Ingredienzien von Pontius zu Pilatus pilgern muss? Es ist außerdem ärgerlich, wenn ein großer Arbeits- und Kostenaufwand getrieben wurde, nur um dann am Ende festzustellen, dass einem das kulinarische Ergebnis nicht besonders mundet. Sei es, weil man etwas falsch gemacht hat oder weil der persönliche Geschmack einfach nicht mit dem historischen Gericht kompatibel ist.

Das vorliegende Rezept für römische Mostbrötchen bzw. Mostkuchen aus dem 2. Jahrhundert vor Christus erfüllt meine Anforderungen voll und ganz. Entdeckt habe ich es im Buch "Backen - Von der Steinzeit bis ins Mittelalter". Es handelt sich um die Interpretation bzw. leicht abgewandelte Variante eines Rezepts, das der berühmt-berüchtigte Cato der Ältere ("ceterum censeo Carthaginem esse delendam")  in seinem Buch "De agri cultura" ("Über die Landwirtschaft") erwähnt (es wurden bereits beide Bücher im Rahmen des Blogs besprochen - siehe die Links im Anhang unten). 

Folgende Zutaten benötigt man für eine Menge von ca 10 Stück Mostbrötchen:
  • 500 g Weizenvollkornmehl (sehr fein gemahlen)
  • 100 g Butterschmalz
  • 50 g Schafskäse
  • 1 TL Kümmel (gemörsert)
  • 1 TL Anis (ersatzweise Fenchelsamen)
  • 30 g Frischhefe/Germ
  • 1 EL Salz
  • 0,31 Traubensaft (naturtrüb)
Wer will, kann natürlich das Originalrezept verwenden. Allerdings ist es deutlich weniger auskunftsfreudig als die moderne Interpretation. Hier eine Gegenüberstellung:

De agri cultura

Originaltext: 
Mustaceos sic facito.
Farinae siligneae modium unum musto conspargito; anesum, cuminum, adipis p. II, casei libram, et de virga lauri deradito, eodem addito et, ubi definxeris, lauri folia subtus addito, cum coques.

Übersetzung:
Mostkuchen mache wie folgt.
Besprenge einen Modius Weizenmehl mit Most; (gib) Anis, Kümmel, 2 Pfund Schmalz, ein Pfund Käse (dazu) und schabe (die Rinde) von einem Lorbeerzweig ab, gib (sie ebenfalls) dort hinzu und lege, sobald du (den Kuchen) geformt hast, Lorbeerblätter darunter, wenn du ihn backst.
Backen - Von der Steinzeit bis ins Mittelalter

Aus Mehl, Traubensaft und Hefe einen Teig mischen, diesen für 30 Minuten an einem warmen Ort mit einem Tuch abgedeckt ruhen lassen. Dann den Teig mit den restlichen Zu- taten vermengen, kräftig durchkneten und 10 gleich große Teiglinge formen und diese auf einem Backblech für weitere 30 Minuten warm stellen. Danach die Teiglinge an der Oberfläche mit etwas Wasser abstreichen, einritzen und im gut vorgeheizten Backofen bei 200 °C auf mittlerer Schiene ca. 30-35 Minuten backen





Gedanken und Erläuterungen zu den beiden Rezepten:
  • Die Käsesorte wird von Cato nicht erwähnt. Allerdings war Schafskäse dazumal sehr weit verbreitet (mehr als heute), so dass die Annahme, der antike Autor könnte diesen gemeint haben, recht naheliegend ist.
  • Es wird im Original auch nicht die Art des Mosts genannt, aber im Kontext der Zeit und des Ortes (Italien) wird man am ehesten von Traubenmost ausgehen dürfen (davon abgesehen scheint die Most-Art ohnehin relativ egal zu sein, siehe mein Fazit weiter unten).
  • Cato hat Schmalz statt Butterschmalz verwendet. Wobei ich mich an dieser Stelle ans Originalrezept gehalten habe. Einfach weil wir zufällig im Kühlschrank Schweineschmalz hatten. Ich vermute, dass sich hingegen der Autor des modernen Kochbuchs gedacht hat, Butterschmalz ist heutzutage leichter erhältlich als reines Schweineschmalz. Mit letzterem würde ich übrigens nicht sparen; man kann ruhig etwas mehr unter den Teig mischen.
  • Hefe/Germ wird in antiken Backrezepten meiner bisherigen Erfahrung nach nie aufgelistet; heutige Forscher vermuten jedoch, dass diese Zutat einfach zu trivial bzw. selbstverständlich war, um sie immer extra zu erwähnen (das könnte hier übrigens auch für das fehlende Salz gelten - mehr dazu weiter unten). Marcus Junkelmann, der Catos Mostbrötchen-Rezept in seinem Buch "Römische Naschkatzen" ebenfalls beschreibt, weist allerdings darauf hin, dass der Most als Treibmittel dient. Nur wenn man wie in meinem Fall Traubensaft verwendet, muss man demnach extra Hefe/Germ zusetzen.
  • Die Teigmenge fällt bei Cato wesentlich größer aus als beim modernen Rezept (1 Modius Mehl entspricht etlichen Kilogramm!). 
  • An Lorbeerrinde, wie sie im Originalrezept verlangt wird, kommt man in unserer modernen Zeit weniger leicht heran. Ich jedenfalls nicht. Die auch heute noch leicht erhältlichen Lorbeerblätter wiederum hatten dazumal beim Backen nicht nur die Aufgabe zu würzen, sondern dienten auch oder vor allem als eine Art Backpapier - siehe meinen Blogtext zu diesem Thema. Ich habe die Blätter testweise bei einem der Brötchen untergelegt, ohne aber geschmacklich einen nennenswerten Unterschied feststellen zu können. Möglicherweise wäre das bei frischen Lorbeerblättern, deren Säfte im heißen Backofen verdampfen, anders gewesen. Doch im Handel gibt es heutzutage nur getrocknete Blätter, bei denen rein gar nichts mehr dampft...
  • Der von mir verwendete Traubensaft war nicht "naturtrüb". Einen solchen habe ich einfach in keinem der in meiner Nähe befindlichen Supermärkte gefunden. Es ist mir unmöglich zu sagen, ob das eine signifikante geschmackliche Auswirkung hatte oder sich irgendwie auf den Backvorgang ausgewirkt hat. So recht vorstellen kann ich es mir aber nicht.
  • Es wird im modernen Rezept gemörserter Kümmel verlangt (kein gemahlener!). Wer keinen Mörser hat, der zerreibt den Kümmel (evtl. gemeinsam mit dem Anis) einfach grob auf einem Holzbrett; beispielsweise mit dem Kopf eines Hammers. Das so erzielte Ergebnis reicht völlig aus. 
Die fertigen römischen Mostbrötchen | Zum Vergrößern auf das Bild klicken | Keine Rechte vorbehalten, doch um die Nennung der Quelle wird gebeten: https://HILTIBOLD.Blogspot.com


Und wie schmecken die römischen Mostbrötchen à la Cato?

Sehr, sehr, sehr gut! Die Brötchen/Weckerln sind außen knusprig und innen flaumig. Die Gewürze und der Schafskäse verleihen dem Ganzen eine interessante, nicht alltägliche Note. Vom Most/Traubensaft, der dem Rezept seinen Namen gibt, hat mein Gaumen allerdings nicht wirklich etwas bemerkt. Hingegen das Schweineschmalz aus dem Originalrezept trägt sehr viel zum Geschmackserlebnis bei. Auch wenn mir hier der direkte Vergleich fehlt, so würde ich es vom Gefühl her dem Butterschmalz vorziehen.
Mit einem "Kuchen" hat das Ergebnis freilich nichts gemein. Ich halte die in vielen modernen deutschen Übersetzungen verwendeten Begriffe wie "Mostkuchen" oder gar "Torte" (siehe unten) deshalb für sehr irreführend. Selbst ohne das Salz, das wie schon gesagt im Originalrezept nicht erwähnt wird, hätte man es hier geschmacklich und von der Konsistenz her eindeutig mit Brötchen/Weckerln zu tun. Allerdings macht es ohnehin keinen Sinn, auf Salz zu verzichten - ist doch andererseits auch kein Süßen des Teigs vorgesehen (der Traubensaft/Traubenmost reicht nicht aus), wobei hier im zeitlichen Kontext vor allem Honig in Frage gekommen wäre (und Honig wird meiner Einschätzung und Erfahrung nach im Gegensatz zu Salz in antiken Backrezepten durchaus immer explizit erwähnt, wenn der Autor ihn als Zutat vorgesehen hat). Natürlich ist auch der beigefügte Schafskäse salzig. Ob das in der Antike ebenfalls grundsätzlich immer so war, kann ich nicht sagen. Es erscheint mir aber relativ wahrscheinlich, da Salz nicht zuletzt in Catos "De agri cultura" eine große Rolle bei der Lebensmittelkonservierung spielt (siehe Link im anhang). Vielleicht war der Schafskäse dazumal sogar dermaßen salzig, das man sich aus diesem Grund das zusätzliche Salzen des Teiges ganz ersparen konnte. Auch dies wäre eine plausible Erklärung, warum man im Originalrezept kein Salz als Zutat findet. 

Übrigens: Solche Mostbrötchen (mustei, mustacea oder mustacei) wurden im Antiken Rom wohl gerne am Abschluss von Banketten den Gästen mitgegeben. Im frühen 2. Jahrhundert nach Christus heißt es in Juvenals "Satiren" dazu:

Wenn du die rechtmäßig durch Verlobung und Eheertrag dir verbundene Frau nicht lieben kannst, dann gibt's keinen Grund, die Ehe zu schließen; dann kannst du dir Hochzeitsmahl und Torte (Anm: mustacea bzw. Mostkuchen) ersparen, die man den vollgegessenen Gästen am Ende der Feier mitgibt.
Juvenal | Satiren VI 202 | Übers.: Hartmut Froesch |  Reclam, 1969/2013

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1 Kommentar:

  1. Gestern gelesen, heute ausprobiert. Wirklich top, diese Brötchen!
    Passt perfekt zu Feta und Schinken. Oder auch ohne irgendwas, wegen des intensiven Eigengeschmacks.
    Danke und liebe Grüße aus Oberammergau!

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