Sonntag, 26. Januar 2025

💰 Korruption und Machtmissbrauch: Titus Livius wirft ein Schlaglicht auf den politischen Wahnsinn im Alten Rom

Altar - Domitius

Der spannendste Abschnitt in der Geschichte des Alten Roms ist aus meiner Sicht jener der Republik. Die Geschichtsforschung legt den Beginn dieses Staatswesens um das Jahr 509 v. Chr. fest und lässt es im Jahr 27 v. Chr. enden, als Octavian/Augustus die von ihm kreierte Monarchie weitestgehend einzementiert hatte. 
Über die Anfänge dieser Republik wissen wir relativ wenig, von der mittleren und vor allem der späten Phase ist und jedoch umso mehr bekannt. Dieses halbe Jahrtausend römischer Geschichte ist nicht zuletzt deshalb von hohem Interesse, weil es besonders in politischer Hinsicht unserer Gegenwart z.T. sehr ähnelt. Wirklich gut passt hier der weise Satz: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich!"
Der als Republik bezeichnete Staat der Alten Römer war im Wesentlichen nichts anderes als das, was die Griechen Demokratie nannten. Sicher, im Detail gab es Unterschiede, doch lief in beiden Systemen alles darauf hinaus, dass das Volk seine politischen Führer wählen durfte und auch in vielen Sachfragen mittels Stimmabgabe das letzte Wort hatte. In gewisser Weise gab es damals ein deutlich größeres Mitspracherecht als das in modernen Demokratien der Fall ist (ausgenommen die Schweiz). Was uns, nebenbei bemerkt, durchaus zu denken geben sollte.

Im republikanischen Rom zählte zu den bedeutendsten politischen Ämtern das des Censors. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war es, ähnlich einer modernen Rating-Agentur, die Bürger in Vermögensklassen bzw. "Rangstufen" einzuteilen - abhängig vom jeweiligen Besitz (z.B. Senatoren, Equites/Ritter, Aerarier). Auch konnte der Censor Bürger, denen man ein unwürdiges Verhalten attestierte, abstufen oder ihnen den Aufstieg verweigern (eng daran geknüpft war der soziale Status einer Person, der hier entweder gesteigert oder gemindert wurde). Dazu zählte auch, ob jemand im prestigeträchtigen Senat seinen Platz einnehmen durfte. Zu den gelinderen Mitteln, die einem Censor zur Verfügung standen, zählte das Verwarnen. Für den Betroffenen war das bereits ein deutlicher Schmutzfleck auf seiner Toga - und dieser Umstand konnte sich zumindest kurz- und mittelfristig negativ auf eine etwaige politische Karriere auswirken.
Das Amt des Censors wurde - wie damals auch manch anderes - doppelt besetzt. Dieses Prinzip der sogenannten Kollegialität sollte dem Machtmissbrauch eines Einzelnen vorbeugen. Denn der eine Censor konnte bis zu einem gewissen Grad die Entscheidungen des Kollegen blockieren. Freilich, in der Theorie mag sich das gut anhören, doch in der Praxis bedeutete es mitunter, dass zwei Censoren, die sich politisch und/oder persönlich nicht leiden konnten, keine Gelegenheit ausließen, um dem Kollegen ein Bein zu stellen. Sei es aus machtpolitischem Kalkül oder aus purer Bosheit. Und das obwohl das Job-Anforderungsprofil von Censoren eigentlich verlangte, dass gerade sie, die über andere Menschen zu Urteilen hatten, von herausragendem Charakter und hoher Integrität sein sollten.

Als geradezu skandalös ging die Censur (= Tätigkeitszeitraum) von Marcus Livius Salinator und Caius Claudius Nero in die römische Geschichte ein. Die beiden benahmen sich in den Jahren 203/204 v. Chr. im Rahmen ihrer Amtsführung dermaßen skurril und daneben, dass der Geschichtsschreiber Titus Livius die Ereignisse ausführlich in seinem Geschichtswerk "Ab urbe condita" schilderte. Ich habe, um das Verstehen des Textes zu erleichtern, in Klammern einige Anmerkungen gemacht. Ganz allgemein erhält man hier einen schönen Einblick in die Funktionsweise ('Dysfunktionsweise') des römischen Staates, bevor er durch Augustus in eine Monarchie umfunktioniert wurde (wobei sich ja selbst dann noch einige republikanische Elemente in der einen oder anderen Form erhalten haben).

[...]. Während die Konsuln in den verschiedenen Gegenden mit diesen Dingen befasst waren, verlasen inzwischen die Zensoren Marcus Livius und Caius Claudius Nero in Rom die Senatorenliste. Zum Führer des Senats wurde wiederum Quintus Fabius Maximus gewählt, sieben, von denen aber keiner ein kurulisches Amt bekleidet hatte, erhielten eine Rüge (kurulische Ämter = besonders hohe, prestigeträchtige Posten im Staatsdienst, deren Inhaber eine purpurgesäumte Toga trugen). Die Maßnahmen zur Instandsetzung der öffentlichen Gebäude wurden streng und höchst verantwortungsvoll überwacht. Man vergab den Auftrag für eine Straße vom Rindermarkt zum Venus-Tempel bei den öffentlichen Sitzreihen und den Bau eines Heiligtums der Magna Mater auf dem Palatin. Man beschloss auch eine neue Steuer auf den jährlichen Salzertrag. Sowohl in Rom als auch in ganz Italien kostete das Salz ein sechstel As (=Münze); in Rom ließ man das Salz zu demselben Preis verkaufen, in den Marktflecken und Gerichtsorten aber zu einem höheren und überall anderen Preis. Man war sich ziemlich sicher, dass der eine der beiden Zensoren diese Steuer aus Ärger über das Volk eingeführt hatte, da er einst durch einen ungerechten Richterspruch verurteilt worden war, und dass durch den Salzpreis vor allem die Tribus (Wahl- bzw. Stimmbezirk) belastet wurden, die seine Verurteilung betrieben hatten. Daher erhielt Marcus Livius den Beinamen "Salinator" (=Salzhändler).
Das Reinigungsopfer wurde später durchgeführt, weil die Zensoren Kommissare durch die Provinzen geschickt hatten, um sich berichten zu lassen, wie viele römische Bürger überall in den Heeren dienten. Mit diesen wurden 214 000 Männer gezählt. Caius Claudius Nero brachte das Reinigungsopfer dar. Dann nahmen sie, was zuvor noch niemals geschehen war, den Zensus der zwölf Kolonien entgegen - die (lokalen, untergeordneten) Zensoren der Kolonien selbst überbrachten die Angaben - so dass in den amtlichen Dokumenten festgehalten war, über wie viele Soldaten und wie viel Geld sie verfügten.
Anschließend begann man mit der (Vermögens-)Schätzung der Ritter (lat.: equites); und zufällig hatten beide Zensoren ein Staatspferd (= vom Staat zur Verfügung gestelltes Pferd für den Kriegsfall; hatte in dieser Zeit wohl vor allem symbolischen Charakter bzw. galt als prestigeträchtig). Als man zur Tribus "Pollia" gekommen war, in der der Name des Marcus Livius verzeichnet war, und der Herold zögerte, den Zensor selbst aufzurufen, sagte Nero: »Rufe Marcus Livius auf!« Ob er aus noch verbliebener alter Feindschaft handelte oder sich mit einer unpassenden Demonstration von Strenge brüsten wollte - er wies Marcus Livius an, sein Pferd zu verkaufen, da er vom Volk (in der Vergangenheit im Rahmen eines Gerichtsprozesses) verurteilt worden sei (er galt somit in den Augen seines Kollegen als vorbestraft bzw. unwürdig, ein Staatspferd zu besitzen). Ebenso befahl Marcus Livius, als man zur Tribus "Arniensis" und dem Namen des Kollegen kam, Caius Claudius Nero aus zwei Gründen den Verkauf seines Pferdes. Zum einen weil er eine falsche Zeugenaussage zu seinen Lasten abgegeben, zum anderen, weil er sich nicht in aller Aufrichtigkeit mit ihm versöhnt habe.
Zu einem ebenso schändlichen Wettkampf, bei dem der Ruf des anderen in den Schmutz gezogen werden sollte, auch wenn das eigene Ansehen Schaden nahm, kam es am Ende der Zensur. Als Caius Claudius Nero die Gesetzmäßigkeit seiner Amtsführung beschworen hatte und in die Schatzkammer hinaufgestiegen war, gab er unter den Namen derer, die er unter die Ärarier versetzte, den Namen seines Kollegen an (der eigentlich dem wesentlich höheren Senatorenstand angehörte). 
Dann kam Marcus Livius in die Schatzkammer. Außer der Tribus "Maenia", die ihn weder verurteilt noch ihn, als er verurteilt war, zum Konsul oder Zensor gewählt hatte, versetzte er das gesamte römische Volk, 34 Tribus, unter die Ärarier, weil es ihn unschuldig verurteilt und als Verurteilten zum Konsul und Zensor gemacht habe und weil es nicht leugnen könne, dass es sich entweder einmal bei seinem Urteilsspruch oder zweimal bei den Wahlen falsch verhalten habe. Mit den 34 Tribus werde, so Marcus Livius, auch Caius Claudius Nero ein Ärarier sein; wenn er aber ein Beispiel dafür hätte, dass ein und derselbe Mann zweimal unter die Ärarier verwiesen worden sei, würde er Caius Claudius Nero ausdrücklich unter die Ärarier versetzen.
Der Streit unter den Zensoren um die gegenseitigen Rügen war tadelnswert; die scharfe Kritik aber an der Unbeständigkeit des Volkes war dem Amt der Zensur und jenen schwierigen Zeiten  angemessen (der 2. Punische Krieg tobte damals noch). Da die Zensoren in Missgunst standen, hielt der Volkstribun Cnaeus Baebius die Gelegenheit für gekommen, sich auf ihre Kosten zu profilieren, und verklagte beide vor dem Volk. Diese Sache wurde durch einen einstimmigen Beschluss der Senatoren zu Fall gebracht, weil die Zensur später nicht von der Laune des Volkes abhängig sein sollte.
Titus Livius | Ab urbe Condita Buch 29, 37,1-17 | Übers.: Ursula Blank-Sangmeister | Reclam, 2016

Solche persönlichen Befindlichkeiten, Boshaftigkeiten und der offene Missbrauch von Recht und Gesetz zum Zweck der Schädigung des politischen Konkurrenten sind auch heute noch integraler Bestandteil der politischen Auseinandersetzung. Nichts hat sich diesbezüglich geändert, obwohl sich gerade die Machthaber der Gegenwart den Altvorderen moralisch himmelhoch überlegen fühlen. Der Mensch ist und bleibt eben wie er ist - nämlich charakterlich äußerst mangelhaft. Für Berufspolitiker gilt das erfahrungsgemäß noch mehr als für andere Leute. Es passt deshalb durchaus, dass wir für unser modernes Staatswesen antike Begriffe wie "Republik" und "Demokratie" verwenden. Sind doch die Urheber und frühen Anwender der dahinterstehenden Konzepte moralisch bereits ähnlich verlottert gewesen wie ihre modernen Nachfolger. Ausnahmen bestätigen die Regel.


2 Kommentare:

  1. Ich denke, dass Leute, die es aktiv anstreben, über ihre Mitmenschen zu bestimmen, charakterlich am absolut ungeeignetsten für politische Ämter sind. Leider sind es aber genau die, die in der Politik zu 99% das Sagen habe .

    Gero

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    1. Einerseits ja, andererseits ist sicher nicht nur die Macht eine starke Triebfeder, um in die Politik zu gehen, sondern auch Narzissmus und Profitstreben. Caesar, der wegen der angeblichen Verletzung seiner berühmt-berüchtigten "dignitas" den Rubicon überschritten und einen Bürgerkrieg losgetreten hatte, ist ein Paradebeispiel dafür.

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