Sonntag, 13. April 2014

Ottonische (Unter-?)Tunika aus gebleichtem Leinen

Vor ein paar Jahren, als ich damit begonnen hatte mir meine ottonische (wikingerzeitliche) Ausstaffierung  (10. Jh.) zusammenzustellen, fertigte mir eine geschickte Frau eine "Untertunika" aus grauem, naturbelassenem Leinen an (Klick mich). Da eine einzige Untertunika bei mehrtägigen Veranstaltungen jedoch nicht ausreicht - es sei denn man hat nichts gegen (authentischen?) Schweißgeruch - musste eine zweite her. Diese wurde nun von mir selbst genäht und ist beinahe eine 1:1 Kopie des ersten Modells. Hauptunterschied ist, dass ich den leichten Leinenstoff diesmal bleichte. Da bei einem ähnlichen Vorhaben mit Seifenkraut kein vernünftiges Ergebnis zustande kam, griff ich diesmal kurzerhand zu einem Chlorreiniger (Danklorix). Danach war der Stoff - möglicherweise weil die Konzentration des Reinigers zu gering war - allerdings nicht weiß, sondern gelblich.
Der gerne propagierte "Schmäh", man möge vergilbtes Leinen zwecks Bleichung einfach im feuchten Zustand der direkten Sonnenbestrahlung aussetzen, führte hier zu keinem befriedigenden Ergebnis und nach drei Durchläufen gab ich es auf. Stattdessen weichte ich alles in einer kräftigen Lauge aus heißem Wasser und Vollwaschmittel ein. Und siehe da, endlich kippte die Farbe des Stoffes in ein Weiß um! Die fertige Tunika reicht knapp bis zu den Knien und hat leicht überlange Ärmel. Außerdem wurden von mir an beiden Seiten jeweils zwei Keile eingesetzt. Der Saum ist unten übrigens nur umgebügelt und angeheftet; er muss noch um zwei Drittel gekürzt und fix vernäht werden. Allerdings war das Wetter kürzlich so schön sonnig, dass ich das Bild schon vor der eigentlichen Fertigstellung gemacht habe.

Nachfolgendes Foto zeigt den Saum des Kopflochs. Gut erkennbar ist hier, wie leicht und luftig der Stoff ist. 



Frühmittelalterliche Leinenkleidung in den Quellen:

Flachs (Linum usitatissimum) war im frühen Mittelalter, wie Pollenanalysen zeigen, eine weit verbreitete Kulturpflanze; die daraus hergestellten Textilien tauchen daher wenig überraschend immer wieder als Teil bäuerlicher Abgaben in zeitgenössischen Schriften auf.
Stoffe aus Flachs/Leinen besitzen die positive Eigenschaft Schweiß aufzusaugen und diesen in Form von Dampf nach außen abzugeben - dies beugt der Überhitzung des Körpers vor. Wolle hingegen speichert Feuchtigkeit - und zwar bis zu einem Drittel der Masse ihrer Fasern. Sie ist also in der heißen Jahreszeit weniger gut geeignet - vor allem dann nicht, wenn einer anstrengenden Tätigkeit nachgegangen wird. Nie wieder werde ich beispielsweise eine sommerliche Wanderung in einer wollenen Tunika mitmachen - das eine Mal hat mir gereicht! Textilien aus Leinen sind überdies strapazierfähiger als Wolle und vergleichsweise schmutzabweisend, lassen sich jedoch auch schwerer einfärben. Nichtsdestotrotz spricht der Mönch Notker (9./10. Jh.) explizit von roten Leinenhosen (über die im Bereich der Unterschenkel Wadenbinden gleicher Färbung gewickelt wurden - siehe etwa auch den Lotharpsalter). Einhard (8./9. Jh.) wiederum bezeichnet Leinentuniken und Leinenhosen (= feminalia linea --> könnte hier eventuell auch "Leinenbinden" bedeuten, da dieser Begriff auch für Windeln benutzt wurde!) als typische Bestandteile der fränkischen Tracht Karls des Großen, der in dieser Beschreibung darüber auch noch eine mit Seide besetzte Wolltunika an hat. Über 100 Jahre später soll diese Tracht auch der Sachse Otto I. bei seiner Krönung getragen haben.

Obschon Leinenkleidung sicher häufig als Unterbekleidung getragen wurde, so lässt sie sich doch nicht 1:1 mit heutiger Unterwäsche gleichsetzen. Dass man Tuniken und Hosen aus Leinen zumindest im Sommer aufgrund der kühlenden Wirkung des Stoffs auch ohne bzw. statt wollener "Überkleidung" verwendete, erscheint nicht zuletzt aus praktischen Erwägungen absolut naheliegend. Kaum zufällig beschreibt etwa Agathias von Myrina im 7. Jh. ein (aus Bauernkriegern bestehendes) fränkisch-alamannisches Heer, das im italienischen Hochsommer mit Leinenhosen bekleidet in die Schlacht zog.
Wenn demnach Hosen aus Leinen als oberste bzw. einzige Kleidungsschicht taugten, dann galt das sicher auch für Tuniken aus diesem Material. Bestätigung findet diese Annahme beispielsweise durch einen Fund bei der Augsburger Basilika St. Ulrich und Afra. In einem mit Beigaben versehen Klerikergrab des 7. Jahrhunderts wurde neben einer Leinehose auch eine mit Leder gegürtete Tunika aus Leinen nachgewiesen - allem Anschein nach ohne, dass darüber eine weitere Tunika getragen wurde.
Auch Frauen benutzten leinene Gewänder offensichtlich nicht nur zusätzlich, sondern mitunter auch statt wollenen. Tacitus weist bereits um 100 n. Chr. in seiner Germania auf eine Art Peplos(?) aus Leinen hin, das rot/purpurn verziert war - ein Aufwand, den man sich bei einem reinen Untergewand sicher erspart hätte (außerdem belegt dieses Beispiel nochmals, dass Leinen, trotz gewisser Schwierigkeiten, gefärbt wurde).
Nec alius feminis quam viris habitus, nisi quod feminae saepius lineis amictibus velantur eosque purpura variant, partemque vestitus superioris in manicas non extendunt, nudae brachia ac lacertos; sed et proxima pars pectoris patet. 
Nicht anderes ist die Tracht der Frauen und der Männer, außer dass sich die Frauen häufiger in einen leinernen Überwurf hüllen und diesen mit Purpur bunt färben und dem oberen Teil des Untergewandes keine langen Ärmel geben, nackt am Unter- und Oberarm; aber auch der nächste Teil der Brust ist frei.
Und schließlich ist besonders eindrücklich in der Vita der heiligen Radegunde (6. Jh.) davon die Rede, dass die Königin "feine, mit Gold und Edelsteinen geschmückte Leinenkleidung" trug. Dass es sich hierbei um ein schnödes Unterhemd handelte, ist ebenfalls mehr als nur unwahrscheinlich.

Betrachtet man die archäologischen Befunde und schriftlichen Überlieferungen, welche Leinenhosen selbst in Bezug auf einfache Bauernkrieger erwähnen, dann darf daraus geschlossen werden, dass Kleidung aus Leinen im frühen Mittelalter relativ häufig anzutreffen war und trotz des im Vergleich zu Wollstoff etwas höheren Herstellungsaufwandes an sich keinen außergewöhnlichen Luxus darstellte. Die überlieferten Preisangaben - z.B. 4 Denarii/Pfennige für "ein Stück Leinen" - müssen jedenfalls differenziert und mit Vorsicht betrachtet werden, da sich die fertigen Textilien, je nach Feinheit, qualitativ deutlich voneinander unterscheiden konnten. Die an Klöster gelieferten Stoffe - und gerade diese werden ja in den Quellen gerne genannt - dürften jedenfalls tendenziell von eher besserer (teurerer) Machart gewesen sein, was demnach nicht unbedingt mit der Alltagskleidung eines durchschnittlichen Bauern konform gehen musste.




Quellen und weiterführende Literatur:
  • A. Strassmeir, A. Gagelmann | Das fränkische Heer der Merowingerzeit - Teil I (Bekleidung,...) | Zeughaus Verlag | 2014 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
  • Katrin Kania | Kleidung im Mittelalter: Materialien - Konstruktion - Nähtechnik | Böhlau | Infos bei Amazon
  • Christoph Lauwigi | Wikinger selbst erleben! Kleidung, Schmuck und Speisen - selbst gemacht und ausprobiert | Theiss | Infos bei Amazon
  • Die Welt der Karolinger | Pierre Riché | Reclam | 2009 | Infos bei Amazon
  • Vita Karoli Magni / Das Leben Karls des Großen (ergänzte Ausgabe) | Einhard | Reclam | 2010 | Infos bei Amazon
  • Vita sanctae Radegundis / Das Leben der heiligen Radegunde | Venatius Fortunatus /Gerlinde Huber-Rebenich | Reclam | 2008 | Infos bei Amazon
  • Germania | Publius Cornelius Tacitus/ Arno Mauersberger | Anaconda | 1942 / 2006 | Infos bei Amazon

13 Kommentare:

  1. Hi,wie viele Laufmeter Stoff hast du bei deiner Körpergröße benötigt, wenn es knielang ist?
    Greets,
    Markus Wender

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo auch,
      2 Meter bei einer Körpergröße von ca 184 cm. Viel Material blieb da nicht übrig.
      Wobei erwähnt sei, dass der für den Zuschnitt wichtige Abstand der von den Schultern bis zu den Knien ist.

      Löschen
  2. Leinentunika geht als Untertunika und als Obertunika, Hilti. Ich habe im Sommer immer nur Leinentuniken getragen. Bei kühleren Wetter einfache Untertunika unter Obertunika (oder bei feierlichen Anlässen, wo man ordentlich angezogen werden sollte). Beim Arbeiten einfach nur Untertunika oder Arbeitstunika. Wolle bei Hochsommer, da warst Du aber tapfer !

    Dein Isí

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wolle bei Hochsommer, da warst Du aber tapfer

      Das hat du jetzt sehr höflich formuliert ;)

      Deine Bohrmaschine ;)

      Löschen
  3. Was mich ja jetzt interessieren würde, wäre, wie man das Leinen so rot kriegt wie in den Beschreibungen, die du zitierst, ich glaub an rot, das länger als 2 Wäschen hält, haben sich schon einige Färberinnen die Zähne ausgebissen.

    Bezüglich des Bleichens würde ich noch ein paar Versuche starten. Normalerweise würdest du die Leinentunika ja wieder und wieder in Aschelauge auskochen und jedes Mal danach wieder auslegen in der Sonne und mehrmals benetzen. Das Sonnenbleichen ist also eher so eine Art Standardbehandlung zum kontinuierlichen Bleichen von Gebrauchs-Kleidung und taugt nicht dazu, auf einen Schlag große Farbmengen auszubleichen. Das ginge also auch eher auf ein paar Monate oder so, wo dus immer wieder wäscht und bleichst (da werden dann auch noch diverse Hausmittel eingesetzt http://wh1350.at/kleidung/wasche-waschen-im-mittelalter-ein-praxisversuch-auf-der-kanzach/ http://wh1350.at/literatur-und-quellen/gegens-stinken-den-schweis-wasche-waschen-im-spatmittelalter/). Auch Schwefeldampf wird zumindest fürs Spätmittelalter erwähnt für das Bleichen, ist natürlich unter modernen Umständen auch schwierig.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. "Was mich ja jetzt interessieren würde, wäre, wie man das Leinen so rot kriegt wie in den Beschreibungen, die du zitierst, ich glaub an rot, das länger als 2 Wäschen hält, haben sich schon einige Färberinnen die Zähne ausgebissen."

      Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Und sicher nicht zufällig sieht man moderne Frankendarsteller praktisch nur in weißen Hosen und mit roten Wadenbinden aus Wolle. Auch das ist ja schriftlich belegt und sicher einfacher zu bewerkstelligen, als die besagten roten Hosen.

      Dass mein Bleichversuch nicht optimal war, kam mir schon während der Ausführung halb in den Sinn. Allerdings hatte ich keine Pottasche zur Verfügung, musste die Sache aber schnell erledigen (mit Schwefeldampf haben übrigens schon die Römer ihre Togen gebleicht).
      Ich werds aber auf alle Fälle, auch anhand deiner Anleitung, nochmal versuchen, wenn ich mir eine Leinenhose nähe... oder nähen lasse, mal sehen. Von dem ungebleichten Leinen habe ich jedenfalls noch mehrere Meter hier.

      Löschen
  4. Im Fundgut wäre vermutlich noch einiges mehr an Leinentextilien enthalten, wenn diese sich nicht in vielen Böden so vergleichsweise schnell auflösen würden, z.B. in Mooren, die ja ansonsten sehr ergiebig sind.

    Grüßle,
    Maria

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dieser Umstand dürfte die Statistiken in der Tat ziemlich verzerren.

      Löschen
  5. Servus Hiltibold,

    ich hatte mir am anfang meiner Darstellung mal aus den textilen Befunden bei Ausgrabungen versucht einen Überblick zu verschaffen. Zumindest in den Gräbern der Baiuwaren wurden ca 30-40 % zuordenbar als Leinenstoffe identifiziert. Oft direkt an Metallteile wie Gürtel o.ä. korrodiert. (also Oberkleidung)

    Zur Rotfärbung, hatte mich mal ein Darsteller informiert, ich such mal nach wo ich das habe. aber nicht in den nächsten zwei Wochen ;-)

    Und ich persönlich finde Wolle auch im Sommer angenehm, wenn es feine Tuche sind.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Zur Rotfärbung, hatte mich mal ein Darsteller informiert, ich such mal nach wo ich das habe. aber nicht in den nächsten zwei Wochen ;-)

      Nur keine Eile ;)
      Irgendwie muss man es jedenfalls bewerkstelligt haben, denn es gibt auch spätantike/frühmittelalterliche Funde aus kräftig gefärbtem Leinen - allerdings in Ägypten, Stichwort "koptische Textilien". Das auf Mitteleuropa umzulegen, kann natürlich problematisch sein.

      Löschen
  6. Hallo Hilti,
    "unser" Restaurator hält es nach wie vor für nicht "dauerhaft" möglich. Wenn sich der Uhl genauso wie ich richtig erinnert, war es der Glasrestaurator aus Halberstadt, der ein krappgefärbtes Leinenzelt hatte. Ein russ. oder polnischer Reenactor hatte auch eine krappgefärbte Leinentunika. Seiden- oder Stoffeinfuhren aus dem Orient gab es natürlich und wurden geschätzt. Selbst Muschelseide kam vor. (z.B. in Theophanus Grab nachgewiesen. (?) Orientalische Stoffe kamen auch aus Spanien.
    Dauerhaft meint. Hält sich die Färbung über längere Zeit? Aber dürfen wir mit unseren Standarts an Farbbeständigkeit an die Sache heran gehen? Wir sollten wirklich mal wieder ein Färbesymposium einberufen. Vielleicht bist du mit dabei?

    Danke für die Anregungen, Dein Isí

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ob es vielleicht üblich war Kleidung einfach nachzufärben? Auch stellt sich natürlich die Frage, ob die Kleidung überhaupt bis zum deutlichen Verblassen der Färbung in Gebrauch war. Zumindest bei der Oberschicht könnte ich mir vorstellen, dass etwa Hosen durch Reiten, Jagden, Kriegsdienst usw vermutlich relatv rasch verschlissen waren und deshalb ohnehin schon vor dem Ausbleichen des Stoffs ausgetauscht wurden. Als Darsteller hat man diesbezüglich ja leider keine echten Erfahrungswerte, weil die Kleidung nur vergleichsweise selten getragen wird.

      Ein Färbesymposium?
      Betonung auf "Färben" oder "Symposium" im altgriechisdchen Sinn? ;)
      Ich fürchte im ersteren Fall könnte ich kaum praktisches Wissen beisteuern ;)

      Löschen
    2. Update: Das Thema Leinen bze. Färben wird auch hier besprochen:

      http://hiltibold.blogspot.com/2014/05/pdfs-leiergrab-von-trossingen.html?showComment=1401803013444

      Löschen

Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.