Donnerstag, 17. Januar 2019

📚 Über Bücherdiebe und haarsträubende Bücherpreise im Mittelalter



Bevor  im 15. Jahrhundert Johannes Gutenberg die Buch-Herstellung mit der Erfindung eines ausgeklügelten Druckverfahrens revolutionierte, war die Anschaffung von Lesestoff in der Regeln ein äußerst teurer Spaß (verglichen damit sind selbst die heute von Verlagen wie De Gruyter geforderten Preise für Fachliteratur ein Klacks 😉). 

Besonders Bücher mit Miniaturen waren im Mittelalter kostspielig. Bei diesen Miniaturen handelt es sich um nichts anderes als Buchmalereien. Der Begriff leitet sich ursprünglich vom lateinischen Wort minium ab, der Bezeichnung für den Farbstoff Zinnoberrot, den man u.a. für feine Punktmotive verwendete (siehe Bild) , welche die Konturen z.B. von Initialen (das sind vergrößerte und besonders kunstvoll gestalteten Anfangsbuchstaben) säumten. Im Spätmittelalter knüpfte man fälschlicher-, aber nachvollziehbarerweise an den lateinischen Wortstamm min an und bezeichnete mit dem Begriff Miniatur von nun an eine vergleichsweise kleinformatige Bidlkunst, wie sie eben in Büchern zu finden war.

Neben dem Anfertigen der Miniaturen (auch "Illuminationen" genannt) war natürlich besonders das mühselige Schreiben des Textes ein äußerst zeitraubendes Unterfangen. Hinzu kamen die hohen Kosten für den im europäischen Mittelalter lange Zeit bevorzugten Beschreibstoff Pergament. Dabei handelte es sich um aufwendig präparierte Häute von Ziegen, Schafen und Kälbern. Beispielsweise mussten für das berühmte, im frühmittelalterlichen Britannien entstandene "Book of Kells" 150 Kälber geschlachtet werden. Für die "Winchester Bibel" aus dem 12. Jh. waren es 250; und eine monumentale Vollbibel (Altes + Neues Testament) kostete gar eine Herde von 500 Kälbern das Leben!
Das alles schlug sich entsprechend im Wert des Endprodukts nieder (auch heute noch bezahlt man für einen einzigen A3-Bogen Pergament rund 60 Euro!). Es folgen einige bemerkenswerte Beispiele für den Wert, den Bücher im Mittelalter hatten. Wobei es sich dabei nicht einmal um Prunk-Exemplare handelt (deren Deckel mit Edelmetallen und Edelsteinen verziert waren): 
Ca. 700: Eine von Rom nach England verkaufte Kosmographie - dabei handelt es sich um eine Beschreibung der Welt und ihrer Entstehung - wechselte den Eigentümer für einen Gegenwert, der dem Landbesitz von acht durchschnittlichen Bauernfamilien entsprach.
796: Ein simpler Antiphonar - das ist ein Liturgie-Buch, in dem die während der Messe oder dem Stundengebet von zwei sich abwechselnden Gruppen gesungenen Lieder enthalten sind - schlug mit drei Solidi zu Buche. Zum Vergleich: Ein ausgewachsener Ochse kostete damals eineindrittel dieser Goldmünze.
 1024: Für ein einfaches Missale - dabei handelt es sich um ein liturgisches Buch für die Messe - erhielt ein Priester einen kompletten Weinberg überschrieben.
Spätes 12. Jh.: Die sich heute in Erlangen befindliche Gumbertusbibel kostete 12 Talente (ein eigentlich antike Maß- bzw. Währungseinheit). Zum Vergleich: Wir wissen, dass ein Weinberg zu dieser Zeit für 33 Talente seinen Besitzer wechselte und ein Wasserleitungsbaumeister in Salzburg ein jährliches Honorar von 6 Talenten erhielt.
 Spätes 14. Jh.: Ein 'billiges' Handbuch für Mediziner hatte in Italien einen Wert, der den durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von mindestens drei Monaten entsprach. Der Anschaffungspreis eines einfachen juristischen Buchs entsprach sogar den Lebenshaltungskosten von 16 Monaten. Damit ist die Spitze aber noch nicht erreicht. In der selben Liste, aus der die beiden vorangegangenen Beispiele stammen, findet sich ein weiteres Buch für Juristen, das den Titel "Decretum Gratiani" trägt. Mit dem, was diese Handschrift wert war, konnte man damals sein Leben problemlos 5 Jahre lang bestreiten!
 Mitte 15. Jh.: In Deutschland ließ sich jemand eine Predigtensammlung 200 Schafe und größere Mengen Getreide kosten.
 1485: Für das Herstellen zweier Antiphonare wurden in Pavia 55 Florin (das ist eine Goldmünze) bezahlt. Davon erhielt der Schreiber mit 36 Florin den Löwenanteil, 19 Florin kostete das Illuninieren und Binden des Buchs. Zum Vergleich: Das Jahresgehalt eines Universitätsprofessors betrug in der Mitte des 15. Jahrhunderts rund 50 Florin.

Bei solchen Preisen ist es nicht verwunderlich, dass Bücher auch immer schon gestohlen wurden - und das obwohl man sie z.T. mit mit Ketten an Lesepulten sicherte sowie mit schriftlichen Flüchen wie dem folgenden versah: "Wer mich stiehlt, möge ohne guten Ruf bleiben, er möge niemals selig werden. Dieser Elende möge vom Feuer der Hölle verbrannt werden." 
Es folgen einige Beispiele für Bücherdiebe, deren Unwesen sich zeitlich vom Mittelalter bis in die jüngere Vergangenheit erstreckt.
Während der Wikingerzeit gingen besonders in England viele Handschriften verloren, wobei die Krieger aus dem Norden kaum deren künstlerischen und literarischen Wert zu schätzen wussten, sondern vielmehr an den kostbaren Metallen und Edelsteinen interessiert waren, mit denen Buchdeckel gelegentlich geschmückt worden sind. Übrigens: Dass sich Wikinger mit den Seiten von Büchern den Hintern abwischten, wie in Unterhaltungsliteratur immer wieder behauptet wird (um Ungebildetheit und Rohheit zu signalisieren), ist sehr unwahrscheinlich. Denn dafür hätte sich das steife Pergament nicht geeignet. Papier aus Textil- und Pflanzenfasern kam in Europa wiederum erst nach der Wikingerzeit auf.
➤ Ein bekannter historischer Bücherdieb ist der im 16./17. Jh. lebende Schweizer Humanist Melchior Goldast. Nicht nur, dass er ausgeliehene Bücher nicht zurückgab, sondern er riss auch einzelne Seiten heraus und steckte sie in seine Hosentaschen, um sie zuhause für weitere Studien verwenden zu können. Wie aus einem Gerichtsprotokoll hervorgeht, fand er nichts Anstößiges an dieser Vorgehensweise.
➤ Ähnlich ging ein amerikanischer Professor für Kunstgeschichte vor: Anthony Melnikas nutzte seinen für Studienzwecke gewährten Zugang zur Vatikanischen Bibliothek, um dort mit einer Rasierklinge in mehreren Kodizes besonders schöne Seiten herauszuschneiden und sie in den weiten Taschen seines Mantels aus dem Gebäude zu schmuggeln. Nachdem er versucht hatte, seine äußerst wertvolle Beute in den USA zu verkaufen, wurde er 1995 festgenommen.
➤ Noch weitaus dreister trieb es der Gelehrte Graf Guillaume Libri-Carrucci, der wohl als der größte und erfolgreichste Bücherdieb aller Zeiten gelten darf. Im Jahr 1841 war er Sekretär einer Komission geworden, die einen Bestandskatalog aller Handschriften erstellen sollte, welche sich in den öffentlichen Bibliotheken Frankreichs befanden. Libri-Carrucci nützte seine amtliche Stellung aus, indem er beim Sichten und Inventarisieren der Bibliotheksbestände etliche Bücher mitgehen ließ. Seine vor allem so angehäufte Sammlung soll rund 40 000 (!) Bücher umfasst haben. Obwohl der Graf bemüht war, seine Spuren zu verwischen, wurde er 1846/1847 als Dieb entlarvt und 1850 zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings längst mit seinen wertvollsten Büchern nach England geflüchtet, deren Verkauf ihm genügend Geld einbrachte, um ein angenehmes Leben im Kreis der High Society führen zu können.
➤ Manch Bücherdieb machte sogar eine große Karriere: Der im Frankreich des 17. Jahrhunderts für seien Diebstähle verschriene päpstliche Legat Giambattista Pamfili wurde später zum Papst (Innozenz X.) gewählt und ging nicht zuletzt wegen eines berühmten Gemäldesdas Velázquez von ihm anfertigte, in die Geschichte ein.

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Weiterführende Literatur: 

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