Donnerstag, 25. Juli 2019

⛪ Die frühmittelalterliche Kirche des Campus Galli: Pfosten oder Schwellen?



Ich möchte an dieser Stelle einmal der Frage nachgehen, ob die kleine Holzkirche der baden-württembergischen Mittelalterbaustelle Campus Galli in einer Bauweise errichtet wurde, die typisch für das Frühmittelalter ist. Genau das hat mir nämlich vor einigen Wochen jemand aus dem Umfeld des Projektes versichert (ein freundlicher Mann, keiner dieser tobenden Fans, die mich gelegentlich heimsuchen): "Ein Rahmenwerk aus Holz auf einem Stein-Mörtel-Fundament (siehe Foto) ist haltbarer als ins Erdreich gerammte Pfosten, die anfällig für Fäule sind. Deshalb ist die vom Campus Galli gewählte Konstruktionsform für die kleine Karolinger-Kirche die historisch wahrscheinlichste und auch authentischste!"

Trifft das wirklich zu? Ist die Sachlage dermaßen simpel? Nun, der Haushistoriker des Campus Galli, Erik Reuter, beruft sich in einem Text aus dem Jahr 2013 u.a. auf archäologische Befunde, die sich aus den Überresten einer frühmittelalterlichen Kirche in Berslingen (Schweiz) ergeben haben sollen. Forscht man jedoch - wie eine Archäologin unter meinen Lesern - diesbezüglich genauer nach, dann kommt dabei heraus, dass sich die Ausgräber besagter Kirche über die Natur ihrer steinernen Fundamente keineswegs völlig im Klaren waren. Will heißen, sie gingen nicht mit Sicherheit davon aus, dass die Wände - so wie beim Kirchlein des Campus Galli - aus einem hölzernem Aufbau bestanden. Vielmehr ist auch ein aufgehendes Mauerwerk aus Steinen denkbar.

Solchen vereinzelten und höchst problematischen 'Belegen' für Kirchen in Schwellenbauweise mit Stein-Mörtel-Fundament stehen etliche unzweifelhafte Belege für Kirchen in Pfostenbauweise gegenüber. Und das betrifft ganz besonders den frühmittelalterlich-alamannischen Siedlungsraum, in dem sich auch die Mittelalterbaustelle Campus Galli befindet. Besagte Kirchen wurden von mir anhand archäologischer Grabungsbefunde auf der nachfolgenden Grafik übersichtlich dargestellt. Diese findet sich in höherer Auflösung zur freien Weiterverwendung auch auf der Flickr-Seite dieses Blogs.



Warum wurde - trotz all der Beispiele für Kirchen in Pfostenbauweise - beim Campus Galli ausgerechnet eine für frühmittelalterliche Kirchen extrem dürftig belegte Misch-Bauform (Mörtelfundament + hölzernes Rahmenwerk) gewählt?
Tja, das ist wohl ganz einfach: Zwar behauptet der Campus Galli gebetsmühlenartig, das hölzerne Kirchlein sei doch nur ein Provisorium, welches nach wenigen Jahren durch eine große Steinkirche ersetzt wird. In Wirklichkeit ist die Errichtung dieser Steinkirche aufgrund großer finanzieller Probleme und dem damit einhergehenden Personalmangel aber längst in weite Ferne gerückt. Und zwar dermaßen weit, dass es für die  Betreiber des Campus Galli notwendig wurde, das Holzkirchlein dergestalt zu bauen, dass es in statischer Hinsicht möglichst lange untadelig bleibt und so den Besuchern als begehbare 'Attraktion' noch auf Jahrzehnte (!) hinaus zur Verfügung stehen kann.
Solchen wirtschaftlichen, aber nicht gerade wissenschaftlich seriösen Vorgaben folgend, pickte man sich die scheinbar 'passendsten' historisch-archäologischen Quellen heraus und bog sie entsprechend den eigenen Erfordernissen zurecht. Deshalb kam es schlussendlich dazu, dass für das hölzerne Kirchlein die schlechtest belegte Konstruktionsweise gewählt wurde, welche aber gleichzeitig wesentlich langlebiger als ein Pfostenbau ist und weniger Aufwand als ein komplett steinernes Gebäude verursacht
Darüber hinaus bot die Mischbauform Gelegenheit, sich sowohl im Holz- wie auch im Steinbau zu üben. Dieses Motiv mag zwar wie eine kluge Herangehensweise erscheinen, jedoch ist es angesichts der erheblichen Mitarbeiterfluktuation sehr wahrscheinlich, dass die meisten jener Leute, die einst am Steinfundament der Holzkirche mitarbeiteten, gar nicht mehr für den Campus Galli tätig sein werden, wenn in etlichen Jahren mit dem Bau der großen Steinkirche - dem angeblich ersten Steingebäude des Projekts - begonnen werden soll. Obwohl zwischenzeitlich auch schon alternativ von einem "Abthaus" als erstem Steingebäude die Rede ist - wohl weil man realisiert hat, dass so eine Basilika ein paar Nummern zu große für die eigenen Fähigkeiten ist.

PS: Stoff für einen gesonderten Blogbeitrag bietet das Dach der Campus-Galli-Kirche. Einem Blogleser gegenüber räumte man auf Anfrage ein, dass dessen äußerst spitzer Winkel aus historischer Sicht "unwahrscheinlich" ist (so lautete von Anfang an auch meine Kritik). Aber bei der Planung habe der zuständige Haushistoriker Erik Reuter eben "noch  kaum wissenschaftliche Ansprechpartner" gehabt. Man solle die Kirche halt als "Übungsstück" sehen.
Ob das all den arglosen Besuchern und Medienvertretern klar ist, denen man den Bären aufbindet, beim Campus Galli würden höchste wissenschaftliche Maßstäbe zur Anwendung kommen?

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Die Vorlagen für meine obigen Zeichnungen fand ich in folgenden Büchern:
  • Karlheinz Fuchs et al. | Die Alamannen | Konrad Theiss Verlag | 1997/2001 | Infos bei Amazon
  • Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff | Kunst und Kultur der Karolingerzeit (Band 3: Beiträge zum Katalog der Ausstellung) | Verlag Philipp von Zabern | 1999 | Infos bei Amazon

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8 Kommentare:

  1. Was ist eigentlich mit der Dokumentation der Kirche? Gibt es diesbezüglich etwas außer Reuters Text von 2013? Etwas in der Richtung ist doch schon vor Jahren angekündigt worden, falls ich mich richtig an einen Bericht hier erinnere?

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    1. Angekündigt ja, und zwar auf Facebook vom Campus Galli in Richtung des verwunderten Leiters des Geschichtspark Bärnau-Tachov. Aber geliefert wurde bis dato leider nichts.

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  2. Im Falle der Klosterstadt würde ich weniger von Pfosten, sondern mehr von Vollpfosten sprechen.

    Mr. Frog

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  3. Das Holzkirchlein wird mit Sicherheit den Besuchern als begehbare 'Attraktion' noch auf Jahrzehnte (!) hinaus zur Verfügung stehen. So sehen es zwischenzeitlich sogar treue Dauerkarteninhaber des Campus Galli.

    Insider

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  4. Wie schon an anderer Stelle darauf hingewiesen worden ist, darf die kleine, angeblich fertige Kirche außerdem nicht einmal vollständig betreten werden, sondern nur der Vorraum. So habe ich es auch bei meinem Ausflug zum Campus Galli dieses Jahr erlebt.

    Karl0

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  5. Zu erwähnen ist auch noch unbedingt, dass der Holzrahmen des Aufbaus mit modernen Stahlarmierungen am Fundament befestigt worden ist. Gerade so, als ob der Aufbau anderenfalls herunterrutschen könnte, z B bei etwas höherem Winddruck. Eine Vorstellung, die bei dem viele Tonnen schweren Eigengewicht der Holzkonstruktion vollkommen lächerlich ist, wie man auch an vielen Jahrhunderte alten historischen Häusern in dieser Bauweise sehen kann. Aber selbst wenn man überängstlich ist und das als mögliches Szenario annimmt, dann wäre eine authentischere Lösung möglich gewesen, z B mit seitlich in den Boden getriebenen Stützhölzern. Dafür gibt es Belege in Skandinavien und Südengland.

    In meinen Augen sind das bei Campus Galli bauhistorische Pfuscher, aber keine Experimentalarchäologen. Jeder Cent Steuergeld für diesen Scheiß ist einer zu viel.

    Albert, Maurermeister und FMA Darsteller

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  6. Mann muss Bedenken das Bert Geurten und Co wie ich aus der Nähe von Aachen kommen. Hier lautet die rheinische Mentalität "Wir machen das jetzt!", "Um den anderen Driss (Mist) kümmern me (wir) uns später!". Soll heißen: Wir vergeuden keine Zeit und fangen schon mal an, da das mit der Bürokratie und und der Forschung zu lange dauert und ggf. nicht umgesetzt werden kann. (Das gleiche macht man auch beim Kölner U-Bahn-Bau...) Ja, hier im Rheinland nimmt man es nicht so genau, hauptsache es wird gebaut! Auch Baugenehmigungen etc. dauern hier nicht so lange, da man ja einen kennt, der einen kennt der dafür zuständig ist (in Köln nennt man es "Klüngel")
    Von daher kann ich die Vorgehensweise genau nachvollziehen! Schließlich kann man ja Rückwirkend noch alles anpassen.
    Ich denke mal, dass es auch Strategisch von Herrn Geurten so gedacht war: "Bauen wir erst mal eine Vorkirche, in der Zeit kann man sich ja damit auseinandersetzen wie eine Große gebaut wird...

    Was das Fundament angeht, war es doch, so meine ich, Vorschrift der Baugenehmigung des 21. Jahrhunderts, dass die Kirche ein solches Fundament haben musste...

    Thomas

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    1. "Was das Fundament angeht, war es doch, so meine ich, Vorschrift der Baugenehmigung des 21. Jahrhunderts, dass die Kirche ein solches Fundament haben musste..."

      Laut eines Bauingenieurs aus Baden-Württemberg, der sich den Bau vor Ort angesehen hat und mich schon vor ca zwei Jahren deshalb anschrieb, ist es keine explizite Vorschrift. Es gibt auch mehrere Freilichtmuseen in Deutschland, die bei historischen Gebäuderekonstruktionen auf Mörtel- oder auch nur Trockenmauern als Fundament verzichtet haben: z.B. der Bajuwarenhof Kirchheim und der Geschichtspark Bärnau-Tachov. Von jemandem des Bajuwarenhofs habe ich außerdem die sinngemäße Aussage vorliegen: Bei sorgsamer Bauweise und mit einer guten Versicherung ist das alles kein Problem.

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