Donnerstag, 15. Oktober 2020

🎬 Doku-Kritik: "Campus Galli - Das [missratene] Mittelalterexperiment"

Beißt man die Hand, die einen füttert?

Im baden-württembergischen Meßkirch möchte seit 2013 der quasi kommunal kontrollierte Privatverein Karolingische Klosterstadt mit angeblich ausschließlich historischen Handwerksmethoden ein frühmittelalterliches Großkloster errichten. Zweck des äußerst zäh laufenden Projekts "Campus Galli" ist primär die Ankurbelung des lokalen Tourismus; in den Vordergrund gerückt wird von den Verantwortlichen hingegen aus Marketing-Erwägungen der pädagogische und wissenschaftliche Aspekt (Stichwort 'Experimentelle Archäologie') .

Der Filmemacher Reinhard Kungel ist der staatsnahen Mittelalterbaustelle überaus zugetan und begleitet sie dementsprechend vom Start weg mit seiner Kamera. Dies scheint sich durchaus für ihn zu lohnen, denn wie beim Campus Galli selbst, so ergießt sich auch über seine gemeinsam mit dem SWR produzierte Kino-Dokumentation "Campus Galli - Das Mittelalterexperiment" ein mit Staatsknete betanktes Füllhorn: 

Quelle: crew-united.com

Da also erwiesenermaßen Herr Kungel ein Kostgänger des Steuerzahlers ist und finanziell von jenen staatlich-politischen Strukturen profitiert, die auch den Campus Galli seit Jahren mit Zuschüssen künstlich am Leben erhalten, darf man sich von ihm keine dokumentarische Abrechnung à la Michael Moore erwarten. Eher stellt sich die Frage: Wie schlimm fällt seine Lobhudelei aus?

Nun, sie kommt zumindest nicht dermaßen plump daher wie manch journalistische Liebeserklärung der Lokalpresse an den Campus Galli. Vielmehr muss man Reinhard Kungel schon ein gewisses Geschick zugestehen; schafft er es doch, dem unbedarften Seher zu suggerieren, es würde hier ein kritischer und schonungsloser Blick auf das Projekt geworfen. Wobei dieser Blick in der Realität stets oberflächlich bleibt und stellenweise in Gefühlshuberei abgleitet. Kritische Untertöne dienen primär der Dramaturgie. Denn ähnlich der Handlung eines Groschenromans wendet sich das Blatt auch für den von Geldsorgen und Querelchen geplagten Campus Galli am Ende der Doku (scheinbar) doch noch zum Besseren: Das Miteinander habe sich spürbar verbessert; außerdem würde jedes Jahr mehr und mehr Besucher kommen, meint eine sanfte Frauenstimme aus dem Off verheißungsvoll.
Nun ist letztere Behauptung zwar zutreffend, aber gewiss nicht grundlos wird hier verschwiegen, dass diese Zuwächse deutlich zu gering ausfallen, um das Projekt in absehbarer Zeit finanziell unabhängig machen zu können. Mehr noch, der in der Doku behauptete Break-even-Point mit jährlich 100.000 Besuchern gilt mittlerweile als völlig überholt. Selbst 120.000 Besucher pro Saison dürften dafür nicht ausreichen.

Man sieht hieran, dass Herr Kungel, dieser Oswalt Kolle des Geschichtsdoku-Genres, keine rechte Ahnung hat. Oder wahrscheinlicher: Er will als Fan des Campus Galli keine Ahnung von solchen Dingen haben. Doch schauen wir uns nun einige weitere fragwürdige und unfreiwillig komische Stellen in seinem Doku-Meisterwerk etwas genauer an. 😃


Mönche, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!

Weil die übellaunig gewordene Belegschaft des Möchtegern-Klosters einen Betriebsrat gründen wollte (die konkreten Gründe dafür verschweigt der Fanboy Dokumacher Kungel), wurde ein sogenannter "Coach" engagiert. Ob der Herr gratis tätig war - oder ob die Träger des Campus Galli für diese Erwachsenen-Pädagogisierung Steuer- bzw. Spendengelder verbraten haben - ist nicht bekannt. Auf jeden Fall wurden die wie eine Schulklasse angetretenen Neo-Mönche mit einer wahren Kanonade an Banalitäten à la RTL-Super-Nanny eingedeckt: "Also hier ist ein Rad ins Rollen gekommen, das ihr eigentlich gar nicht mehr anhalten könnt." "Ihr, ihr habt da ein, ein einzigartiges Projekt". "Ich glaube, ihr könnt nicht an der Vergangenheit festhalten." 
Bei all diesem belanglosen Geschwurbel nimmt es nicht wunder, dass einem der Zuhörer unübersehbar die Haare zu Berge stehen.

Bildzitat aus "Campus Galli - Das Mittelalterexperiment" | ca Timecode: 0:40:58 | Quelle: Amazon Prime Video / RK-Film, Reinhard Kungel, SWR Südwestrundfunk, Mindjazz Pictures (Verleih, Vertrieb)

"Also ich denk, wenn die Mitarbeiter [des Campus Galli] sich benehmen wie normale Angestellte, können wir einpacken" meint Rapunzel. Pardon, die Dame heißt natürlich Punzel mit Nachnamen. Sie ist beim Campus Galli die fürs Grünzeug zuständige Kräuterfrau.
Es ist äußerst schade, gleichzeitig aber für die gesamte Doku typisch, dass Reinhard Kungel hier dem Seher die näheren Zusammenhänge und Hintergründe für die Wortmeldung vorenthält. Schließlich stellt es doch gerade für den indigenen Zahlesel eine spannende Frage dar, in welcher Art und Weise sich die von ihm mitfinanzierten Angestellten der finanzmaroden Mittelalterbaustelle sonst "benehmen" sollen. 
Mein bescheidener Vorschlag: Eventuell könnten die Truppe etwas mehr Elan an den Tag legen, statt der so hochgehaltenen "Entschleunigung" zu frönen. Wohl nicht zufällig berichtete ein Besucher des Campus Galli, die Arbeiter vor Ort würden "die meiste Zeit nur deppert in der Gegend herumstehen"...

Freilich, die eher unproduktive Mittelalterbaustelle steht bei einigen der Kritiker schon länger im Verdacht, eine "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für akademische Blindgänger und Gegner der sogenannten 'Leistungsgesellschaft' zu sein. Ohne Campus Galli wären diese Personen genötigt, ihren Lebensunterhalt mit gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten zu verdienen. Man vermutet weiter, dass sich besonders Personen mit Kommunismus- oder zumindest Sozialismus-Affinität von dem staatsnahen, dauerbezuschussten "Faulenzerprojekt" angezogen fühlen.
Ich persönlich würde es nicht ganz so drastisch ausrücken, zu 100 Prozent aus der Luft scheint der Vorwurf dann allerdings doch nicht gegriffen zu sein ...

Bildzitat aus "Campus Galli - Das Mittelalterexperiment" | ca Timecode: 0:40:49 | Quelle: Amazon Prime Video / RK-Film, Reinhard Kungel, SWR Südwestrundfunk, Mindjazz Pictures (Verleih, Vertrieb)

Was will dieser Herr mit dem Tragen eines solchen Kleidungsstücks bei eine Mitarbeiterversammlung zum Ausdruck bringen? Wenn jemand mit dem Antlitz eines notorischen Antidemokraten auf der Kleidung herumläuft, der u.a. die Meinung vertreten hat, ein Atomkrieg wäre ein probates Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele, dann zeugt das bestenfalls von Geschmacklosigkeit und Dummheit. Wobei freilich schon seit längerer Zeit evident ist, dass es oft nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sind, die für den Campus Galli werkeln.
"Im Endeffekt  müssen wir uns von einer anarchischen Community, die wir am Anfang waren, zu einem Betrieb hinentwickeln" meint der Möchtegern-Revoluzzer dann im starken Widerspruch zu seinem martialisch bedruckten Shirt ganz zahm - ja geradezu vernünftig.
Freilich, das ist eine reichlich späte Erkenntnis, denn das Projekt wird zwar von einem (auf dem Papier) privaten und gemeinnützigen Verein getragen, doch der Ideengeber stellte schon zu Beginn klipp und klar fest, dass es sich beim Campus Galli um ein "mittelständisches Unternehmen" handelt, und nicht etwa um ein "Forschungsinstitut", ein "Freilichtmuseum" oder eine Kommune für Spät-Hippies. 

Der ebenfalls bei der Zusammenkunft anwesende Geschäftsführer des Campus Galli - Hannes Napierala - scheint bereits voll in seiner Rolle als mittelalterlicher Bauherr aufgegangen zu sein. Von umfangreichen Demokratisierungs- und Transparenzbestrebungen, die Teilen der Belegschaft vorschweben, hält er ähnlich viel wie Ritter Kunibert vom Ende der Leibeigenschaft seiner Bauern. Im Rahmen der Mitarbeiterversammlung erklärt er: "[...] dass dann z.B. klar ist, dass nicht jeder über den Budgetplan im Detail informiert wird [...] weil es das natürlich mit sich bringt, dass man einfach dem anderen vertraut, dass er das schon gut machen wird."
Nun, es ist von den Mitarbeitern doch ziemlich viel verlangt, den Fähigkeiten der Geschäftsleitung blind zu vertrauen. Die offenbar hoch zu Ross sitzenden Chefitäten haben seit Bestehen des Projekts nämlich etliche der selbst aufgestellten Ziele meilenweit verfehlt und es in weiterer Folge bis heute nicht geschafft, den Campus Galli aus den Roten Zahlen zu führen. Herr Napierala verstieg sich deshalb gegenüber dem Meßkircher Gemeinderat sogar zu der Forderung, man sollte gar keine klaren, in Zahlen gegossenen Geschäftsziele mehr öffentlich kommunizieren - zweifellos um weitere Blamagen und die damit einhergehende Kritik zu vermeiden.
Bei der Geheimniskrämerei gegenüber den eigenen Mitarbeitern dürfte es ebenfalls darum gehen, das Durchsickern unschöner Details an die Öffentlichkeit zu verhindern. Gewiss nicht zufällig werden Aspekte der Finanzen des Campus Galli auch im Meßkircher Gemeinderat gerne in geheimen Sitzungen besprochen. Um trotzdem den Eindruck von Offenheit zu suggerieren, lässt die weitestgehend gleichgebürstete Polit-Kamarilla des lokalen Dorf-Potentaten handverlesenen Medien wie dem Südkurier und der Schwäbischen Zeitung Informationsschnippsel zukommen, die dann unkritisch an die Bevölkerung durchgereicht werden; ernsthaft nachgehakt wird von den zuständigen Lokalredakteuren so gut wie nie, schließlich hängt der eigene Arbeitgeber - ähnlich wie der Laden des Dokumachers Kungel - teilweise von Staatsknete ab, nachdem die Abonnenten in Schaaren das Weite suchen. Dementsprechend sind diese Käseblätter und ihr Personal tendenziell um ein gutes Verhältnis zu den vor Ort herrschenden Parteipolitikern bemüht. Wegen einer finanzmaroden Mittelalterbaustelle, die irgendwo in der Pampa vor sich hin grundelt, bricht man keinen Konflikt vom Zaun. Gehen Sie bitte weiter, es gibt hier nichts zu sehen.


Historisch authentisches Handwerk?

Beim Filmen eines der Steinmetze des Campus Galli heißt es es aus dem Off: "Jens Lautenschlager arbeitet schon seit Monaten am Altar für die Holzkirche. Die dafür notwendigen Steine muss er erst einmal aus dem Fels schlagen. Dazu nutzt er gewässerte Holzpflöcke, die aufquellen und dadurch zusätzlichen Druck bewirken."
Soso, bloß gewässerte Holzpflöcke benutzt der gute Mann? Eine erstaunliche Behauptung, denn in Wirklichkeit stammt das auf dem Campus Galli verarbeitete Steinmaterial aus einem Steinbruch in der Nähe. Dort wird es maschinell aus dem Felsen gebrochen und per LKW in grob passender Größe angeliefert. Bereits vor dem Start der Mittelalterbaustelle hatte sich nämlich herausgestellt hat, dass das vor Ort im Boden befindliche Gestein kaum tauglich für den Hausbau sowie elaborierte Steinmetzarbeiten ist. Zumindest war das die Begründung der Verantwortlichen. Ein Experimentalarchäologe erklärte mir hingegen, das Material sei für Mauern aus Bruchsteinen im Mörtelverband durchaus brauchbar; die Meßkircher Klosterbauer würden sich wohl lediglich den eigenhändigen Abbau ersparen wollen. 
Dazu passt vermutlich auch, dass der im Video gezeigte Stein eine Reihe von Löchern aufweist, die mir wenig nach mittelalterlichem Handwerk aussehen (siehe Screenshot unten). Eher erinnern sie an Spuren, wie sie von Pressluftbohrern verursacht werden.

Bildzitat aus "Campus Galli - Das Mittelalterexperiment" | ca Timecode: 0:04:47 | Quelle: Amazon Prime Video / RK-Film, Reinhard Kungel, SWR Südwestrundfunk, Mindjazz Pictures (Verleih, Vertrieb)

Wenn es zutreffend ist, dass hier maschinell vorgearbeitet wurde, dann sollen die kamerawirksam in die Löcher geschobenen Holz-Spaltkeile wohl über diesen Anachronismus hinwegtäuschen und dem Seher historisch korrektes Handwerk vorgaukeln. 
Ob Herr Kungel - wie es ein guter Rechercheur machen würde - 'off camera' nach der Herkunft der auffälligen Bohrungen gefragt hat? Oder war es ihm wichtiger, auf Teufel komm raus das Marketing-Narrativ des Campus Galli zu stützen, demzufolge man nicht im Traum daran denken würden, sich bei den Arbeiten von modernen Maschinen helfen zu lassen?


Bloß "Unkenrufe"

Auf die Frage, was vom Campus Galli zu halten ist, antworten die auf der Straße interviewten Eingeborenen folgendermaßen (ich gebe die Aussagen gegebenenfalls im gesprochenen Dialekt wieder, weil ich den spaßig finde und er mir gefällt 😊):

Mann: "Tauasad Johr z'spät (lacht)."
(Ehe?)Frau:"Er got nah wenns fertig ischt." (ca ab Timecode 0:13:03)
Anm.: Da müsste der Herr wohl bis in alle Ewigkeit warten - mehr dazu weiter unten.

Mann:"Die Rechnung geht nicht auf. Das ist doch... da muss man also ned lang Kopfrechnen, bis man das raus hat." (ca ab Timecode 0:01:52)

Mann: "Aber die Frage ist natürlich, ob, äh, die öffentliche Hand sich irgendwann aus der Finanzierung zurückziehen kann." (ca ab Timecode 0:13:12)

Mann: "Also das koscht der Stadt Meßkirch nur Geld, das kennen Se ruhig berichte. Und hot keun Wert."
Interviewer: "Ja waren Sie schon mal durt?"
Mann: "Nein!" (ca ab Timecode 0:13:19)

Nach dem letzten Statement erfolgt ein harter Schnitt. Zufall ist dieses Vorgehen natürlich nicht, vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass hier der Eindruck erweckt werden soll, es handle sich bei den Kritikern um notorische Meckerziegen, die allesamt den Campus Galli noch nie persönlich besucht haben und sich deshalb weder ein Bild davon machen können noch das Recht haben, ihn zu kritisieren.
Ein solcher Schluss ist freilich reine Polemik; und zwar keine gute Polemik, wie ich sie gerne mal raushaue 😄, sondern strohdumme, da faktenfrei. Etwa für die Beurteilung des klösterlichen Finanzierungsdesasters muss man nicht persönlich vor Ort gewesen sein; das Beherrschen der Grundrechnungsarten reicht stattdessen völlig aus. 
Dass Reinhard Kungel hier gezielt ein ganz bestimmtes Bild zeichnen möchte, wird auch daraus ersichtlich, dass er an anderer Stelle (Timecode  1:28:17) Kritik am Campus Galli pauschal als bloße "Unkenrufe" - also substanzlose Miesmacherei - abqualifiziert. 


"Der Promovierte"

Kommen wir noch einmal zurück zum oben bereits erwähnten Geschäftsführer des Campus Galli. Aus dem Off heißt es: "Geschäftsführer Hannes Napierala ist promovierter Archäologe. Seine Uni-Karriere hat er für das Projekt aufgegeben."
Unter Kritikern gilt es seit Jahren als eine Art Running Gag, dass die mit dem Projekt freundschaftlich verbandelten Medien den Herren immer betont als 'promovierten Archäologen' vorstellen. Mit dem Hinweis auf die Promotion soll Hannes Napierala zweifellos fachliche Autorität verliehen werden. In Wirklichkeit ist der Herr allerdings Archäozoologe - also ein auf Tierknochen spezialisierter Ausgräber. Das qualifiziert ihn schwerlich zum Managen einer Vorführbaustelle. Abzulesen ist das etwa daran, dass ein unter seiner Verantwortung errichteter Bau nicht nur keine behördliche Genehmigung hatte, sondern auch einstürzte, wobei sich ein Mitarbeiter ärgere Blessuren zuzog (der Einsturz wird in der Doku zwar kurz erwähnt, aber freilich nicht die Illegalität des Baus - das wäre dann wohl doch zu viel Offenheit gewesen...). 
Dem Vernehmen nach sollen für den Posten des Geschäftsführers einst nur wenige Bewerber vorstellig geworden sein, der Trägerverein und die Vertreter der Standortgemeinde musste also nehmen was zur Verfügung stand; ähnlich stellte sich die Situation ja schon beim Haushistoriker dar, der ebenfalls nicht gerade mit Kompetenz glänzen konnte. Verwundern darf das freilich alles nicht, weil nämlich der Campus Galli schon vor dem eigentlich Start in Fachkreisen einen fragwürdigen Ruf besaß - wie ich aus einigen Gesprächen weiß. Dieser Umstand dürfte das Interesse tatsächlich kompetenter Bewerber arg gedämpft haben.
Der Filmemacher Kungel interessiert sich für diese "Details" allerdings nicht. Stattdessen lässt er seine Sprecherin mit Säuselstimme etwas von einer aufgegebenen "Uni-Karriere" des Herrn Napierala daherreden. Hier ist es freilich interessant zu wissen, dass Archäozoologie ein klassisches Orchideenfach ist. Darin eine vorzeigbare Karriere zu machen ist dementsprechend schwierig. Wesentlich sicher ist es da schon, den gemütliche Geschäftsführer-Posten eines quasi 'staatsnahen' Betriebs zu bekleiden. Im Gegensatz zu seinen Untergebenen muss Herr Napierala sich auch nicht mit dem Mindestlohn bzw. einem vom Arbeitsamt finanzierten 1-Euro-Job begnügen, sondern kassiert ein stattliches Salär. Es kann also keine Rede davon sein, dass er sich sozusagen aus idealistischen Gründen für die knuddelige Mittelalterbaustelle geopfert hat, wie dem Seher subtil untergejubelt wird.

Dass man ständig versagt - sei es im betriebswirtschaftlichen oder im experimentalarchäologischen Bereich (siehe etwa das zu steile Dach der Holzkirche) - begründet Hannes Napierala folgendermaßen: "Na, wir haben die letzten drei Jahre natürlich sehr viel gelernt, und wir können natürlich auf allen Ebenen etwas besser machen, weil wir natürlich auch einfach aus einem Stück weit Unwissenheit hier ganz klar Fehler machen. Das ist normal, gehört dazu, aber ist natürlich manchmal schmerzhaft."
Aus dem Off wird daraufhin ein Beispiel genannt:  "So verzögert sich der Bau der großen Gebäude, weil Hütten und Ställe schon nach drei Jahren marode sind und erneuert werden müssen." Was hier unerwähnt bleibt: Die Kurzlebigkeit der betreffenden Bauten wurde von echten Fachleuten schon zu Baubeginn prognostiziert - ich selbst habe mit einem von ihnen gesprochen. Beim Campus Galli hat man die entsprechenden Warnungen aber schlicht ignoriert.
Die offensichtliche Unfähigkeit der Projektbetreiber versucht Hannes Napierala mit Verweis auf eine Uni-Partnerschaft zu überspielen, deren messbarer wissenschaftlicher Output sich freilich auch nach mehreren Jahren ungefähr im Bereich von Null bewegt. Abzulesen an der ziemlich ausbleibenden Publikationstätigkeit. Allerdings gibt es immer schöne Bilder für Zeitungsberichte, wenn wieder einmal ein paar Archäologiestudenten im Rahmen einer Lehrveranstaltung beim Campus Galli vorbeischauen, um dort z.B. Tontöpfe zu brennen. Damit wird das Projekt in den Augen der schlecht informierten Öffentlichkeit aufgewertet. Speziell dieser Marketingaspekt dürfte für die Geschäftsführung der primäre Zweck der ganzen Übung sein. 


Und sonst?

Was erfährt der Seher in Reinhard Kungels Doku sonst noch so über das Projekt? Nun, z.B. vergleicht einer der wenigen kompetent scheinenden Mitwirkenden - der bauhistorische Berater Tilmann Marstaller - den Campus Galli mit dem Köllner Dom. Dieses mittelalterliche Bauvorhaben sei ins Stocken geraten und über Jahrhunderte stillgestanden. Konkret auf den Campus Galli bezogen heißt es dann mit erstaunlicher Offenheit: "... und es ischt letschtendes ja hier auch noch nicht mit Brief und Siegel gegeben, dass am Schluss die komplette Kloschteranlage steht." 
Will heißen, die Betreiber glauben selbst nicht mehr so recht daran, dass das 'größenwahnsinnige' Ziel - nämlich ein komplettes Großkloster zu bauen - je erreicht werden kann. Trotzdem bleibt die entsprechende Behauptung Kern des Marketings. Baron Münchhausen hätte wohl seine Freude daran.

Wie bescheiden verwaltet das Projekt bereits zu Beginn war, lässt sich auch an einer Charakterisierung des aus Aachen stammenden Initiators und später abgesetzten Leiters erkennen. Der sei zwar charismatisch gewesen und hätte deshalb andere Menschen für seine Idee vom Bau eines frühmittelalterlichen Großklosters begeistern können, sagt ein langjähriger Mitarbeiter, jedoch: "Vernachlässigt hat er sicherlich die Feinarbeit, die Kleinarbeit. Das war nicht so seine Sache. So war z.B. der Kofferraum seines Autos sein Büro, wo ungeöffnete Post nach Aachen und wieder zurückgefahren ist und dabei auch unbezahlte Rechnungen. Was dann später auch mühsam aufgearbeitet werden musste und was uns fast auch das Rückgrat gebrochen hätte [...] um aus diesen Verträgen und Schulden, die wir hatten, rauszukommen und ein Konzept zu finden."
Das Projekt würde freilich auch heute noch ohne die hohen Fördergelder von der Standortgemeinde, dem Land und der EU sofort in die Insolvenz köpfeln. Erst kürzlich hat man seitens des Landes Baden-Württemberg für einen Beton-Fertigteil-Bau im Eingangsbereich des Campus Galli 125.000 Euro locker gemacht. Wohlgemerkt, nicht etwa für den Erwerb des Bau selbst, weil den hat sich der Campus Galli kostenneutral von einer verblichenen Landesgartenschau 'erschnorrt'. Die saftige Förderung geht vielmehr für die Adaption des hässlichen Klotzes drauf. Dergleichen aus eigenen Mitteln zu finanzieren ist den Betreibern unmöglich; kann man doch nicht einmal die jährlichen Betriebskosten der Klosterbaustelle mit Ticketverkäufen und Spenden decken. 


FAZIT 

Keine Frage, Reinhard Kungel versteht sich aufs Filmen und das geschickte Einfangen von Stimmungen mit seiner Kamera. Optisch ist diese Doku deshalb makellos. Auch die musikalische Untermalung kann als gelungen bezeichnet werden; meist ist sie dezent und wirkt an keiner Stelle penetrant.
Jedoch wird aus der inhaltlichen Zusammenstellung und dem einseitigen Framing klar ersichtlich, dass Herr Kungel ein Befürworter des Projekts ist - möglicherweise nicht zuletzt aus finanziellem Eigeninteresse. Der scheinbar kritische Blick hinter die Kulissen bleibt deshalb äußerst oberflächlich und hat meiner Einschätzung nach an mehr als nur einer Stelle reinen Alibicharakter. Das Faktum, dass es sich bei der Doku eigentlich um verkappte PR für den Campus Galli handelt (mitfinanziert vom selben Staat, der auch den Campus Galli sponsert) sollte dem Otto-Normal-Seher wohl nicht gleich mit Anlauf ins Gesicht springen. Kenner des Campus Galli bemerken freilich, dass Kernprobleme wie das in seinem Umfeld wuchernde 'Förder- und Abpumpdickicht' ausgespart wurden. So wird also in der Doku nicht unbedingt formell gelogen, aber durch Weglassen essentieller Fakten - die maßgeblich den Charakter des Projekts mit prägen - wird der Seher trotzdem hinter die Fichte geführt. 

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13 Kommentare:

  1. Gebe dir absolut recht, dass es bezeichnend ist, dass die Medien die finanziellen Aspekte fast überhaupt nicht interessieren. Es wundert mich auch nicht, dass der SWR diesen Film mitfinanziert hat, die Sender der ARD sehen sich schon immer als verlängerte PR-Arme von kommunalen Freilichtmuseen, egal wie abgewirtschafet die durch jahrelange parteipolitische Inkompetenz sind. Campus Galli ist in der Hinsicht leider absolut kein Einzelfall!

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  2. Ich fürchte, diese größenwahnsinnigen Häuslebauer brauchen keinen Coach, sondern gehören auf die Couch, wenn sie ernsthaft glauben, dass sie jemals ein Unternehmen sein können, dass ohne Fremdgelder auskommt. Schon alleine wegen dem ungünstig gelgenen Standort kann das nichts werden. Davor hat man den Bürgermeister und Gemeinderat von Meßkirch schon zu Beginn ausdrücklich gewarnt.

    Grüßle,
    Maria

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    1. Kungel war nach meinen Informationen schon vor der offiziellen Präsentation der Klosterstadt im Meßkircher Gemeinderat mit im Boot. Er ist also ein Fan der ersten Stunde. Klar, dass dann so etwas dabei herauskommt wie bei dieser Dokumentation.

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  3. Eine Meßkircher Gemeinderätin hat mir vor zwei Jahren gesagt, das Besucheraufkommen vom Campus Galli wächst von Jahr zu Jahr exponentiell.
    QX

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    1. Dann sollte sich die gute Frau rasch darüber informieren, was Exponentialfunktionen kennzeichnet.

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  4. "So wird also in der Doku nicht unbedingt formell gelogen, aber durch Weglassen essentieller Fakten - die maßgeblich den Charakter des Projekts mit ausmachen - wir der Seher trotzdem hinter die Fichte geführt. "

    Das bedeutet, RK empfielt sich ausdrücklich für weitere Gemeinschaftsprojekte mit dem öffentlich rechtlichen Rundfunk.

    Der Wanderschmied

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  5. Dass die Steine von woanders herkommen, hat mir eine Angestellte bei meinem Ausflug zum Campus Galli (Sommer 2017) auch bestätigt. In der Dokumentation hätte man also ruhig so ehrlich sein und diesen Punkt ansprechen können, anstatt Märchen zu erzählen.

    Liebe Grüße,
    Martina

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  6. Danke für die Rezension, sie bestätigt meine Befürchtungen.
    Campus Galli = Selbstüberschätzung gepaart mit politischer Blödheit, und die Medien decken den Quark mit Hofberichterstattung und Fake Dokus.

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  7. Hat der Geschäftsführer die richtige politische Färbung, dann werden sie ihm eines Tages bestimmt auch noch einen Orden umhängen. In diesem Land wird Unfähigkeit bekanntermaßen belohnt.

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  8. Welch ein Glück, dass Hiltibold immer wieder über die Machenschaften berichtet, die mit dem Campus Galli zu tun haben. Wenigstens eine "kritische Stimme", wenn fast alle Medien die rosarote Brille aufhaben, wenn sie über das Meßkircher "Jahrhundertwerk" berichten.
    Die Scheune steht noch nicht und schon wird im Gemeinderat über den Bau des ersten Hauses aus Stein diskutiert, dessen Fertigstellung einige Jahre dauern werde!
    Der Campus Galli ist die reinste Wundertüte, die viel Geld verschlingt.

    Insider

    Insider

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  9. Flüchtiger Alamanne2. November 2020 um 15:51

    Sehr schön geschrieben, ich habe mehrmals grinsen müssen :D

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  10. Das haut mich jetzt total vom Hocker. Ich habe keinen blassen Schimmer gehabt, was dort unten im Süden so abgeht. Bisher ist mir nur die Berichterstattung der Mainstreammedien über Campus Galli bekannt gewesen - und darin hat es nie Kritik gegeben.

    Scharf formulierter Text, Hiltibold, aber informativ und offenbar punktgenau gelandet.

    Mediävist

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