Die Pest gibt es schon viel lÀnger als gedacht
Die Redaktion der Zeitschrift "Bayerische ArchĂ€ologie" hat die aktuelle Pandemie zum Anlass genommen, sich im Heft 3/2020 schwerpunktmĂ€Ăig mit der Pest zu befassen. Freilich, ob das ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt der Weisheit letzter Schluss ist, sei dahingestellt; denn viele Menschen können aufgrund der schrillen Dauerberichterstattung ĂŒber 'Corona' das Wort 'Pandemie' schon lĂ€ngst nicht mehr hören. Nichtsdestotrotz ist das Thema grundsĂ€tzlich interessant - vor allem weil man sich hier nicht, wie sonst ĂŒblich, ausschlieĂlich mit den PestausbrĂŒchen im SpĂ€tmittelalter und der FrĂŒhen Neuzeit befasst, sondern auch mit jenen in der SpĂ€tantike und dem FrĂŒhmittelalter. LĂ€ngere Zeit galt es in der Forschung ja als fraglich, ob es sich schon damals um die echte Pest gehandelt hat oder um andere tödliche Seuchen, die bloĂ unter dem Begriff 'Pest' subsumiert wurden. Doch nicht zuletzt bajuwarische Bestattungen haben in den vergangenen Jahren den eindeutigen Beleg erbracht, dass tatsĂ€chlich auch fĂŒr die sogenannte Justinianische Pest bereits das Bakterium Yersinia pestis verantwortlich war. Mehr noch, selbst im Knochenmaterial von Menschen aus der spĂ€ten Stein- und Bronzezeit wurde es mittlerweile nachgewiesen. Die Pest ist somit alles andere als ein PhĂ€nomen, das Europa erst im 14. Jahrhundert erreicht hat. Allerdings sind aus dieser Zeit die mit Abstand meisten Schriftzeugnisse dazu ĂŒberliefert. Entsprechend dominant sind diese speziellen Ereignisse heute im kollektiven GedĂ€chtnis der Menschen verankert.
Die Lechfeldschlacht und ArchÀologen-Fundamentalismus
Am meisten hat mich als Ottonen-Darsteller im vorliegenden Heft ein Artikel interessiert, auf den mich vorab mehrere Blog-Leser aufmerksam gemacht haben. Und zwar jener ĂŒber Jens Essigs Entdeckung eines ottonenzeitlich-ungarischen Schlachtfelds, das der geschichtsintererssierte Metallsucher schon seit einiger Zeit als den wahren Ort der berĂŒhmten Lechfeldschlacht des Jahres 955 interpretiert. Anders als die arrivierte Geschichtsforschung verortet er die Schlacht nicht nach Augsburg, vielmehr soll sie am sĂŒdlichen Rand des Nördlinger-Rieses ausgefochten worden sein, wo Essig im Laufe der Jahre nicht nur eine Vielzahl einschlĂ€giger Metallfunde machen konnte, sonder wo sich auch der auffĂ€llige Flurname "Lachfeld" befindet.
Essigs These wird immer wieder von den Medien aufgegriffen, was manch Historiker/ArchĂ€ologen weniger gefĂ€llt, ist man auf den Privatforscher und Metallsucher ohnehin eher schlecht zu sprechen, da er mit seiner Sonde nicht nur dort unterwegs war, wo es erlaubt ist... Dass Jens Essig seine Funde - wie das auch in der regulĂ€ren SchlachtfeldarchĂ€ologie ĂŒblich ist - mittels GPS einmisst und sie an die Forschung kostenlos abgibt, scheint nicht jeden zu besĂ€nftigen. Das lĂ€sst sich etwa aus folgender Frage entnehmen, die Roland GschlöĂl in einem Interview dem ArchĂ€ologen Bernd PĂ€ffgen stellte:
"Manche ArchĂ€ologen und Denkmalpfleger meinen, illegale Sondenfunde sollte man wissenschaftlich ĂŒberhaupt nicht bearbeiten. Kann man solche Funde (Anm.: jene von Jens Essig), die doch eine gewisse Bedeutung haben, einfach nicht beachten?" |
Dass sich der westliche Wissenschaftsbetrieb vor allem in den letzten 20 Jahren politisch in gewisser Weise radikalisiert und einseitig positioniert hat (etwa hinsichtlich der Meinungsfreiheit), dĂŒrfte fĂŒr den aufmerksamen Beobachter offensichtlich sein. Doch etwa in der ArchĂ€ologie haben viele Forscher mittlerweile auch abseits typisch politischer Fragen fundamentalistische Positionen eingenommen. Es hat schon seine GrĂŒnde, dass die obige Thematik ebenfalls in "Die Armee der Caesaren - ArchĂ€ologie und Geschichte" kritisch aufgegriffen wird. In der EinfĂŒhrung des Buchs heiĂt es hinsichtlich der ablehnenden Haltung gegenĂŒber dem Erwerben von archĂ€ologischen Objekten aus einer vor der Auflösung stehenden privaten deutschen Sammlung:
"Ob hier die zustĂ€ndigen staatlichen Institutionen, geleitet durch einen ziemlich kurzsichtigen von Fundamentalismus und political correctness geprĂ€gten Zeitgeist, der Forschung wirklich einen Gefallen getan haben, indem sie die Chance zur ĂberfĂŒhrung dieser so wichtigen Kollektion in öffentlichen Besitz ungenĂŒtzt lieĂen, möchte ich stark bezweifeln." |
Ebenfalls eine 'Pest': Das Belohnen von KonformitÀt
Apropos "Zeitgeist" und "political correctness": Die Heftreihe "Bayerische ArchĂ€ologie" enthĂ€lt auch die auf vier Seiten abgedruckten Mitteilungen der "Gesellschaft fĂŒr ArchĂ€ologie in Bayern e.V." Darin geht es unter anderem um die Verleihung eines ArchĂ€ologiepreises fĂŒr eine SchĂŒlerin.
"[...]. In Ihre Seminararbeit beschĂ€ftigte sich die PreistrĂ€gerin mit dem keltischen Oppidum Manching, wobei vor allem der Niedergang aufgrund der immer problematischer werdenden Versorgung des Oppidums innerhalb der naturrĂ€umlichen Gegebenheiten im Fokus der Seminararbeit stand. Rohstoffmangel an Beispielen des immensen Holzverbrauchs, die BeeintrĂ€chtigung der Versorgung durch eintretende HochwĂ€sser und die Verknappung des Rohstoffes Eisenerz waren fĂŒr die Autorin mit ausschlaggebend fĂŒr das Ende des Manchinger Oppidums. Beeinflusst offensichtlich von der aktuellen zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit schlieĂt die Arbeit mit dem Hinweis, dass ein massiver Eingriff des Menschen in die Natur nicht nur fĂŒr das keltische Oppidum problematisch war, sondern es auch fĂŒr unsere Gegenwart ist." |
Es ist wohl das HauptĂŒbel der bereits oben angesprochenen Politisierung des Wissenschaftsbetriebs bzw. der Geschichtsforschung: Immer öfter und ungenierter wird dort fĂŒr gegenwĂ€rtige gesellschaftspolitische Anliegen - die in den meinungsbestimmenden Kreisen gerade en vogue sind - krampfhaft nach Argumenten in der Vergangenheit gesucht (ein Vorgehen, das an den Germanenfetischismus des 19. und frĂŒhen 20. Jahrhunderts erinnert). Bereits der potentielle Nachwuchs spielt offensichtlich gekonnt auf dieser Klaviatur eines verkappten Aktivismus. Wird er dafĂŒr auch noch von erwachsenen AutoritĂ€ten belohnt, signalisiert man ihm frĂŒhzeitig: KonformitĂ€t zahlt sich aus, wenn ihr einmal Karriere machen wollt.
Das KonformitĂ€tsexperiment nach Asch ist ja im Ăbrigen nicht zufĂ€llig so ausgegangen, wie es ausgegangen ist ...
Weitere Themen im vorliegenden Heft
- Der Sichelglanz des Erntemessers (Anm.: ich habe es geschafft, in dem Artikel fast jedes mal 'Entermesser' zu lesen, wohl weil ich seit ein paar Wochen auch diese Romanreihe von Dudley Pope lese đ.)
- Das Feuersteinbergwerk
- Nachruf auf Hermann Dannheimer: Museumsleiter und FrĂŒhmittelalterforscher
- Medaille fĂŒr Karl Schmotz
- Mysteriöser SchÀdel im Bodensee
- Nachruf auf Paul Freund: Der Scherben-Paul und seine Vision vom Keltendorf
- Neue BĂŒcher
- Ausstellungen
- Veranstaltungen/Abos
- Veranstaltungen/Vorschau
Fazit
Die Zeitschrift "Bayerische ArchĂ€ologie" ist aufgrund der interessant geschriebenen Artikel immer gut zu lesen. Das vorliegende Heft ist hier keine Ausnahme. HĂ€tte mein Buch-Budget dieses Jahr nicht schon sein Limit erreicht, dann wĂŒrde ich ein Abo abschlieĂen und die Hefte hier regelmĂ€Ăig besprechen.
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WeiterfĂŒhrende Informationen:
Weitere interessante Themen:
Bei dem Verhalten einiger ArchĂ€ologen gegenĂŒber Jens Essig sind auch Neid und StandesdĂŒnkel ein Faktor. Sie regen sich darĂŒber auf, dass er nicht alles nach Punkt und Beistrich den Vorschriften entsprechend gemacht hat, aber hier kann ich als jemand, der in der archĂ€ologischen Arbeit fast dreiĂig Jahre lang Erfahrungen als Helfer bei vielen Ausgrabungen hat sammeln dĂŒrfen, nur lachen. Du hast auf deinem Blog ja einen schönen Beitrag veröffentlicht, in dem du die Schlampereien der hauptberuflichen ArchĂ€ologen genĂŒsslich anhand einiger Beispiele aufgezĂ€hlt hast. Die RealitĂ€t sieht genau so aus, deshalb ist die Kritik an Essig einfach nur kleinkariert und verlogen.
AntwortenLöschenTom
Fast hĂ€tte ich es vergessen, wenn du Interesse hast, dann kann ich dir von meinen Erlebnissen mit archĂ€ologischen Schlampereien in Ăsterreich und Bayern erzĂ€hlen. Ich finde nur leider deine E-Mail-Adresse nicht an.
LöschenTom
Das interessiert mich selbstverstÀndlich.
LöschenE-Mail bitte an: Hiltibold [@] gmail . com
Der römische Kampfplatz vom Hartzhorn ist auch von Sondlern gefunden worden, die dort eigentlich nicht hĂ€tten gehen dĂŒrfen. Schön langsam sollte bei den Archis der Groschen fallen. Wobei es ja ein paar intelligente, frei denkende gibt, wie den Raimund Karl.
LöschenWenn man mal bedenkt, dass Essigs Funde sogar die Hauptgrundlage fĂŒr eine Diss sind, dann stehen die, die ihn immer noch wegen seinen SuchvorgĂ€ngen kritisieren, eigentlich ziemlich blöd da. Die Theorie ist eine andere Sache, da kann man schon Kritik anbringen.
LöschenTom
hĂ€tte nichts dagegen, wenn du die hefte regelmĂ€Ăig besprechen wĂŒrdest, weil dann wĂŒsste ich immer gleich, ob sich ein kauf lohnt oder nicht :o) chris
AntwortenLöschenDem Wunsch schlieĂe ich mich an.
LöschenDer Wanderschmied
Ungeschickter hÀtten sie das Cover wirklich nicht machen können, da kann man den Titel schlecht und den Untertitel so gut wie gar nicht auf den ersten Blick lesen.
AntwortenLöschenGero
Ja, leider ist das tatsÀchlich so. Ich mag den Verlag, aber bei den Covern murkst man gerne mal rum. Wobei sie damit nicht alleine sind:
Löschenhttps://hiltibold.blogspot.com/2016/12/krimskrams-hiltibolds-buchcover.html