"Kleidung und Waffen der Dürerzeit" lautet der etwas verklausulierte Titel des vorliegenden Buch von Ulrich Lehnart. Konkret meint der Autor und Historiker damit jenen Zeitabschnitt zwischen 1480 und 1530, der ungefähr mit der Schaffensphase des berühmten Künstlers Albrecht Dürer zusammenfällt; als nämlich die späte Gotik in die nordeuropäische Renaissance überging.
Räumlich bewegen sich die Darstellungen vor allem im deutschen Sprach- und Kulturraum, der damals von Religionskriegen, Bauernaufständen und diversen anderen militärischen Konflikten heimgesucht wurde.
Begründet wird diese Einschränkung mit den z.T. starken regionalen Unterschieden besonders bei der Bekleidung. Diese gesamteuropäisch zu berücksichtigen, hätte den Rahmen des Buchs gesprengt, heißt es.
Apropos Kleidung: Betrachtet wird jene der Reisläufer und Landsknechte - inklusive der Trossfrauen. Wie sich Adelige, Bauern und Bürger kleideten, wird in einem zweiten (bis dato noch nicht erschienene) Band behandelt. Dort geht es dann auch um die Waffen der bürgerlichen und bäuerlichen Aufgebote, während hier im 1. Teil Rüstungen und Blankwaffen der Berufssoldaten und Adeligen besprochen werden.
Ich halte diese Aufteilung für nur mäßig geschickt und eventuell marketinggetrieben, trotzdem ist das Buch an sich sehr übersichtlich strukturiert und mit vielen interessanten Informationen vollgepackt. Wer hätte z.B. gedacht, dass dazumal 'anständige Frauen' höchstens ein Messer mit sich herumtrugen, während sogenannte "Trossfrauen" - von denen wohl einige zumindest als Gelegenheitsprostituierte arbeiteten - lieber auf einen Dolch setzten? (Das war eben zu einer Zeit, als sich Frauen gegen übermäßig zudringliche Männern noch unmittelbar und drastisch zu wehren wussten, während man in unserer Gegenwart über Grabscher am Arbeitsplatz lieber zehn Jahre später auf Twitter lamentiert ...)
Eine Stärke des rund 260seitigen Buchs sind die unzähligen Abbildungen. Sie setzen sich einerseits aus Bildquellen der betrachteten Zeit zusammen - Albrecht Dürer liefert hier nicht zufällig einiges an Anschauungsmaterial (siehe Buchtitel). Andererseits finden sich auch extra angefertigte Zeichnungen von Waffen- und Kleidungsrekonstruktionen sowie einigen Schnittmustern; was besonders für Living-History-Hobbyisten interessant ist (freilich, man wird trotzdem von Fall zu Fall weitere Detailrecherchen in anderen Quellen betreiben müssen - etwa zur Webart von Stoffen usw.).
Hier ein kleiner, nicht vollständiger Überblick zu den wichtigsten der im Buch behandelten Aspekte, wobei darauf hingewiesen sei, dass der Autor Wert darauf gelegt hat, die Veränderungen herauszuarbeiten, welche sich im Laufe des behandelten Zeitrahmens von immerhin rund 50 Jahre ergeben haben. Darunter etwa die Entwicklung der zuerst nur zaghaft, später aber immer stärker in den Vordergrund tretende Schlitzmode sowie das Auftauchen der berühmt-berüchtigten Schamkapsel (Schamlatz) mit ihrer obszön wirkenden Auspolsterung.
Kleidung der Reisläufer und Landsknechte:
- Unterwäsche (Hemd, Bruche)
- Hose
- Wams
- Waffenrock
- Schaube und Mantel
- Kopfbedeckungen
- Schuhe und Stiefel
- Accessoires
Kleidung der Trossfrauen:
- Unterkleidung
- Oberkleidung
- Kleid und Rock
- Mieder und Goller
- Accessoires
Rüstungen:
- Harnische
- Helme (Schaller, Hirnhaube, ...)
- Angriffswaffen (Reisspieß, Reiterschwerter, Panzerstecher, Langspieß, Katzbalger, Bidenhänder,...)
Verschiedene Positionen der Lanze | Foto: Hiltibold | Buchinhalt: (C) Zeughaus Verlag |
Landsknechtsrock um 1500 plus Schnittmuster | Foto: Hiltibold | Buchinhalt: (C) Zeughaus Verlag |
Frühe Landsknechte (1485-1505) | Foto: Hiltibold | Buchinhalt: (C) Zeughaus Verlag |
Fazit: Meiner ganz persönlichen Meinung nach ist die Mode der behandelten "Dürerzeit" häufig unästhetisch, kompliziert und unpraktisch. ABER gerade das macht sie gleichzeitig interessant. So wie viele Leute bei einem Autounfall nicht wegschauen können, so konnte ich meinen Blick z.B. nicht von dem farblichen Tohuwabohu losreißen, in das sich besonders Berufssoldaten kleideten. Bei der Körperpanzerung andererseits erreichte man eine bis dahin ungekannte technische und handwerkliche Perfektion, die uns mit offenem Mund staunen lässt. Harnische aus jener Zeit zählen deshalb bis heute zu den Prunkstücken der Rüstkammern und Museen Europas.
Ulrich Lehnart geht mit seinen Ausführungen relativ stark in die Details hinein. Dabei überschüttet er den Leser allerdings nie mit sintflutartigen Wortkaskaden. Entsprechend flüssig liest sich das allgemein verständlich geschriebene Buch; obschon mir in wenigen Fällen Begriffserklärungen im Text abgegangen sind - darunter auch für das Buch ganz grundlegende wie im Fall des "Reisläufers" .
Der Autor nennt immer brav die Quellen - entweder unmittelbar oder in den Endnoten - was für jene Leser wichtig sein wird, die tiefer in die Materie einsteigen wollen; etwa wenn sie vorhaben, sich möglichst authentische Rekonstruktionen von Kleidungsstücken oder Waffen aus der konfliktreichen "Dürerzeit" anzuschaffen oder diese gar selbst anzufertigen.
Der Kaufpreis von 34 Euro will mir für dieses in einem Festeinband daherkommende Buch relativ günstig erscheinen. Man muss aber auch sagen, dass der künstlerische/zeichnerische Aufwand für die Bebilderung nicht an vergleichbare Publikationen des Zeughaus Verlags heranreicht - siehe etwa "Das Heer des Maximinus Thrax", "Das Fränkische Heer der Merowingerzeit", "Das Heer des Arminius" sowie "Das Heer des Varus". Die Zeichnungen sind hier also eher rein 'funktioneller' Natur. Dem Informationsgehalt tut das aber keinen Abbruch.
—————–
Weiterführende Informationen:
Weitere interessante Themen:
Schade, dass man nicht beide Bände gleichzeitig veröffentlicht hat. Wann soll der zweite erscheinen?
AntwortenLöschenLaut Verlag wahrscheinlich noch in diesem Jahr.
LöschenDie Rheingrafenmode des 17. Jahrhunderts war aber auch eine ganz ordentliche Geschmacksverirrung. Kennst du die vielleicht?
AntwortenLöschenKarl0
Ja, ist mir bekannt.
Löschen"Geschmacksverirrung" ist ein Hilfsausdruck dafür ;)
Danke für die kritische und unverblümte Rezension, das Buch ist wahrscheinlich genau passend für mich. Ich versuche mir nämlich eine Kleidungsausstattung aus der Zeit der ersten Türkenbelagerung Wiens zusammenzustellen. Wünsche dir ein schönes Wochenende!
AntwortenLöschenEs freut mich, dass ich helfen konnte. Wünsche ebenfalls ein schönes Wochenende!
Löschen