Freitag, 5. November 2021

🍗 Voller Bauch kämpft nicht gerne: Alexander der Große und das große Fressen des Perserkönigs Kyros

Alexander der Große | Alexandermosaik

Im 2. Jahrhundert verfasste der aus Makedonien stammende Rhetor Polyainos unter dem Titel Strategika ein nach Feldherren geordnetes Buch über Kriegslisten wie sie vor allem von den Griechen in der klassischen und hellenistischen Periode angewendet wurden. Gelegentlich schweift der Autor jedoch ab und gibt spannende Einblick in völlig andere Themenbereiche. Etwa als er im unten wiedergegebenen Abschnitt über Alexandros (=Alexander den Großen) ausführlich Teile der Inschrift einer mittlerweile verschollenen/zerstörten Metallsäule des bedeutenden Perserkönigs Kyros des Großen (gest. 530 v. Chr.) zitiert. Der hatte mit diesem Monument nicht nur seine Weisheit als Gesetzgeber dokumentieren wollen, sondern auch seinen Reichtum und seine Großzügigkeit gegenüber dem Gefolge und der Armee. Wenig überraschend hielt man sich nämlich bereits damals den Beamten- und Machtapparat mit Privilegien bzw. Vergünstigungen gewogen - oder etwas weniger umständlich formuliert: Die Herrschenden kauften sich dessen Loyalität. 
Im Fall von Kyros drückte sich das in einem immensen Aufwand bei der Verköstigung seines Hofstaates und seiner ihn beschützenden 'Leibregimenter' aus. Dabei sollte der Leser immer im Hinterkopf behalten, dass sich die folgende Aufzählung überwiegend auf den täglichen (!) Bedarf beziehen dürfte. Inwieweit man dem im Detail Glauben schenken kann, ist natürlich nicht mehr feststellbar.
Aus heutiger Sicht ist aber ohnehin nicht nur die schiere Menge an angeblich vertilgten Lebensmitteln interessant, sondern auch der Einblick, der hier in antike Ernährungsgewohnheiten geliefert wird. Siehe etwa, dass die Perser offenbar auch gerne Pferde verspeisten. Andere Details wiederum - wie z.B. die unterschiedlichen Abstufungen bei der Mehlqualität - sind für jene Menschen nützlich, die sich mit dem Nachkochen antiker Speisen näher beschäftigen (gerade deshalb auch hier die vollständige Wiedergabe des Textes).

Hinweis: Von den alten persischen Maßeinheiten eine ungefähre Vorstellung zu haben ist im konkreten Fall für das sinnerfassende Lesen wichtig. Da ich keine bessere Quelle bzw. Zusammenfassung gefunden habe, verlinke ich ausnahmsweise auf einen Wikipedia-Artikel - der mir anhand von Stichproben recht solide zu sein scheint. Für die Korrektheit des dort veröffentlichten Inhalts kann ich freilich trotzdem keine Gewähr übernehmen. 

Im persischen Königspalast las Alexandros auf einer ehernen Säule eingetragen, auf der auch die übrigen Gesetze standen, die Kyros gegeben hatte, vom Ariston (=Frühstück) und vom Deipnon (=Hauptmahlzeit) des Königs. Dies lautet wie folgt:
Von reinem Weizenmehl 400 Artaben - 1 medische (= persische) Artabe entspricht aber ein attischem Scheffel -, von dem Weizenmehl zweiter Güte nach dem reinen 300 Artaben und von dem dritter Güte nochmals 300 Artaben; von Weizenmehl für das Deipnon also insgesamt 1000 Artaben. Von dem sehr reinen Gerstenmehl 200 Artaben, von dem zweiter Güte 400 und von dem dritter Güte 400; insgesamt also 1000 Artaben. Von Graupen, aus Pferdegerste gemacht, 200 Artaben. Von Feinmehl, aus Mehl gemacht und durchgesiebt, 10 Artaben. Von zerstoßenem, fein durchgesiebtem Kressensamen (?) Artaben. Von Gerstengraupen 10 Artaben. Von Senfsamen 1/3 Artabe. Schafe, und zwar männliche, 400; Rinder 100; Pferde 30; gemästete Gänse 400; Turteltauben 300; allerlei kleine Vögel 600; Lämmer 300; junge Gänschen 100; Rehe 30. Frische Milch 10 Mariës - 1 Maris aber entspricht 10 attischen Choen -; gesüßte Sauermilch 10 Mariës. Von Knoblauch im Gewicht von 1 Talent; von scharfen Zwiebeln im Gewicht von 1/2 Talent; von Würzkraut 1 Artabe; von Silphionsaft 2 Minen; von Kümmel 1 Artabe; von Laserkraut 1 Talent, von Apfelmost 1/4 Artabe, von schwarzen Rosinen 3 Talente; von Saflorblüten 3 Minen; von Schwarzkümmel 1/3 Artabe, von einer anderen Senfart 2 Kapeziës, von reinem Safran 10 Artaben; von Weinmost 5 Mariës. Kochbare Rettiche und in Salzwasser zubereitete Rübsen (kein Tippfehler!) 5 Mariës; in Salzwasser zubereitete Kapern, woraus man Abyrtaken-Brühe macht, 5 Mariës; von Salz 10 Artaben, von äthiopischem Kümmel 6 Kapezies - 1 Kapezis entspricht aber 1 attischem Maß -; von gedörrtem Anis 30 Minen; von Eppichsamen 4 Kapeziës; von Sesamöl 10 Mariës; von Öl aus Milch (Sahne)Mariës; von Öl aus Terpentinharzbäumen 5 Mariës; von Öl aus Akazien 5 Mariës; von Öl aus süßen Mandeln 3 Mariës; von gedörrten süßen Mandeln 3 Artaben, von Wein 500 Mariës. Ist der König in Susa oder Babylon, gibt er zur einen Hälfte Palmwein, zur anderen Hälfte Rebenwein. Holzkloben 200 Wagen; anderes Brennholz 100 Wagen. Aus Tropfhonig 100 viereckige Kuchen zu je 10 Minen. Wenn er in Medien ist, gibt er von diesem Saflorsamen 3 Artaben; Safran im Gewicht von 2 Minen. Dies ist der Aufwand für Getränke und für das Ariston. Er verteilt aber an feinem Weizenmehl 500 Artaben, an feinem Gerstenmehl 100 Artaben und von der zweiten Sorte 1000 Artaben.; an Mehl aus Pferdegerste 500 Artaben; an Graupen 500 Mariës; an Futtergerste 20000 Artaben; an Spreu 10000 Wagen; an Stroh 500 Wagen; an Sesamöl 200 Mariës; an Essig 100 Mariës; an feingestoßenen Kressesamen 30 Artaben. Dies alles verteilte der König an die Truppen; und mit Ariston und Deipnon, und dem was er austeilte, verbrauchte er täglich so viel.

Was nun angeblich Alexander der Große von all dem hielt, wird am Ende der überlieferten Textstelle ersichtlich.

Als die übrigen Makedonen diese Zurüstung zum Deipnon sahen, bewunderten sie jene als einen Beweis großer Glückseligkeit; Alexandros aber lachte darüber als über etwas, das sehr unheilvoll ist und große Mühe verursacht. Ja er befahl, die Säule, auf der dies stand, wegzunehmen, wobei er diese Worte an seine Freunde richtete: "Es ist für Könige keineswegs nützlich, dass sie so schwelgerisch Deipnon einzunehmen lernen. So viel Schwelgerei und Üppigkeit muss nämlich notwendig viel Unmännlichkeit zur Folge haben. Ihr seht auch, wie diejenigen, die sich mit so gewaltigen Deipna anfüllen, in den Schlachten schnell unterliegen .

Polyainos, Strategika 4,32 | Übers.: Kai Brodersen, De Gruyter 2017

Ob es nun wirklich die Völlerei war, welche den Persern im Krieg gegen Alexander eine Niederlage nach der anderen einbrachte, sei dahingestellt (davon abgesehen lebte Kyros ja lange vor Alexander und war militärisch ziemlich erfolgreich). Jedoch fällt auf, dass in etlichen antiken Quellen Kritik an allzu gesättigten Soldaten geübt wird. Um nur ein weiteres Beispiel zu nennen: Der kurz vor Alexanders legendären Kriegszug gegen die Perser schreibende Autor Aeneas Tacticus (so nannten ihn zumindest später die Römer) rät, dass die zur ersten Wache eingeteilten Männer vor ihrem Dienst nicht das Deipnon (= die Hauptmahlzeit) einnehmen sollten. Weil nämlich die Erfahrung gezeigt habe, dass sie anderenfalls zu Nachlässigkeit und Sorglosigkeit neigen. (Aeneas Tacticus, Poliorketika / Stadtverteidigung 26,2 | Übers.: Kai Brodersen, De Gruyter 2017)
In der Tat macht ein voller Bauch träge, deshalb kann durchaus davon ausgegangen werden, dass an solchen Ratschlägen und Kritiken etwas dran ist. Wobei mindestens genauso oft andere antike Autoren betonen, dass Soldaten mit leerem Bauch ebenfalls wenig taugen. Es gilt eben den goldenen Mittelweg bzw. richtigen Zeitpunkt für die Nahrungsaufnahme zu finden. Dass das in der Praxis nicht immer zu bewerkstelligen ist, steht auf einem anderen Blatt. Hobbysportler wie ich kennen das nur zu gut!

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3 Kommentare:

  1. Interessant ist, dass in der Aufzählung mal der Begriff Laserkraut und mal der Begriff Silphionsaft verwendet wird, weil eigentlich wird der Saft der Silphionpflanze als Laser bezeichnet - dachte ich bisher jedenfalls immer. Aber so eindeutig ist das anscheinend nicht zu trennen gewesen.

    Guinevere

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    1. Das gilt für viele Begriffe. Die Überlieferung ist oft unklarer als man sich das heute wünscht. Im konkreten Fall ist es aber fast schon wurscht, da das Kraut sowieso als ausgestorben gilt ;-) Obwohl ich nicht überrascht wäre, wenn davon noch irgendwo Restbestände unerkannt existieren.

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  2. Wenn dieser Kyros so ein berüchtigter Schlemmerer war, dann haben die Griechen vielleicht nach ihm ihr Gyros benannt?
    ;o)
    W.T.C.

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