Sonntag, 20. März 2022

📖 Buch: Warum der Teufel nach Schwefel riecht (Die vulkanische Heimat der Hölle)

Was hat es eigentlich mit der von heutigen Theologen gerne kritisierten "Hölle" auf sich, die - zusammen mit dem Teufel - im Christentum (aber nicht nur dort) für lange Zeit eine wichtige Funktion innehatte? Woher kam dieses religiöse Angst-Element, mit dem der Klerus die Gläubigen zur Einhaltung der Gebote drängte?
Der Geologe Ilham Gadjimuradov und der Sachbuchautor Reinhard Schmoeckel haben dazu eine bemerkenswerte These formuliert, die weit in die Vergangenheit zurückreicht und viel älter als das Christentum selbst ist.

Alles soll vor ca. 8500 Jahren im östlichen Anatolien seinen Ursprung haben. Am riesigen, rund 120 Kilometer langen Vansee (nicht Wannsee) brach der Vulkan "Nemrut" mit ohrenbetäubender Gewalt aus. Für die jungsteinzeitlichen Menschen, die damals an den fruchtbaren Flanken des Berges und rund um den See siedelten, war das sowohl ein dramatisches wie auch ein traumatisches Ereignis. Da es für ein solches Naturereignis dazumal noch keine wissenschaftliche Erklärung gab, interpretierte man den Vulkanausbruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit religiös, meinen die beiden Buchautoren.

Nun kannten die Menschen der Jungsteinzeit noch keine Schrift, mit der sie das Erlebte bzw. ihre religiöse Interpretation davon hätten festhalten können. Stattdessen wurden die Ereignisse mündlich überliefert - von Generation zu Generation (Stichwort 'kulturelles Gedächtnis'). Dabei kam es im Laufe der Zeit natürlich zu Veränderungen, doch ein fester Kern blieb erhalten. Noch in den 1930er-Jahren fanden ihn Forscher in den lokalen Sagen der Menschen in der Vansee-Region, heißt es. 

Der rund 120 Kilometer lange, über 400 Meter tiefe Vansee in Ost-Anatolien (Türkei). Links im Vordergrund der Vulkan Nemrut mit seiner gewaltigen Caldera (Krater), die infolge des Ausbruchs vor 8500 Jahren entstanden ist. Im Hintergrund links der Vulkan Süphan, der bei der großen Eruption des Nemrut eventuell ebenfalls ein wenig Feuer spuckte (zum Vergrößern auf das Foto klicken oder direkt zu Google Earth springen). | Quelle: Google Earth | 

Die Nachkommen der jungsteinzeitlichen Augenzeugen der Vulkankatastrophe wandelten sich zu neuen Völkern, die in der Bronzezeit, als in der Region die Kunst des Schreibens aufkam, zum ersten Mal für die Nachwelt fassbar wurden. Besonders zu nennen sind hier die Hurriter (Churriter) - eine Art Vorgängervolk der heute wesentlich bekannteren Hethiter. Letztere hatten etliche religiöse Vorstellungen von den Hurritern übernommen und auf Keilschrifttafeln verewigt. Darunter der Kumarbi-Mythos, der laut These von Gadjimuradov und Schmoeckel auf die Vulkankatastrophe vom Vansee hindeutet.
Doch es gibt auch Parallelen zwischen dem Kumarbi-Mythos und der griechischen Religion bzw. Götterwelt. Den Grund vermutet man in dem Umstand, dass die sogenannten "Pelasger" - die Einwohner Griechenlands vor der Landnahme durch griechische Stämme in der Bronzezeit - ebenfalls Nachkommen der jungsteinzeitlichen Zeugen des Vulkanausbruchs waren. Ja sogar bei den Römern bzw. in den heutigen europäischen Sprache sollen sich noch Spuren vom uralten Vulkan-Mythos aus dem kleinasiatischen Ost-Anatolien finden. 

"Ullikummi" war in den Augen der Menschen, die den Vulkanausbruch erlebten, die Verkörperung der Rebellion unterirdischer Götter gegen die alten Götter der Oberwelt. Solange er dort oben in den Himmel ragte war er der "oberste der Götter". Doch das blieb er ja nicht. Wie in Kapitel 2 näher beschrieben, stürzte diese "Felsengeburt" plötzlich und mit ungeheurem Krach in die Unterwelt. 
Der hurritische Name "Ullikummi" für diese "Felsengeburt" ist wahrscheinlich sogar in die europäischen Sprachen gewandert. Das deutsche Wort "Vulkan" ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen, der römische Gott der Unterwelt hieß "Vulcanus". Und die Römer haben diesen Gott und seinen Namen von den benachbarten Etruskern genommen, bei denen er "Velchanu" oder "Uelkanu" hieß. Der sprachliche Sprung von "Ullikummi" zur etruskischen Form ist nicht allzu groß.
Verschiedene Forscher (auch die Autoren dieses Buches) suchen die Herkunft des geheimnisvollen Volkes der Etrusker in Kleinasien, wenigstens teilweise. Vielleicht zählten Flüchtlinge vor dem Vulkan Nemrut auch zu seinen Vorfahren, genetisch wie sprachlich.

Schließlich soll der religiös verbrämte Kern der jungsteinzeitlichen Überlieferung vom Ausbruch des Nemruts - über diverse Umwege - auch in das Judentum eingeflossen sein, welches in nicht allzu großer räumlicher Distanz zum Katastrophenort im frühen 1. Jahrtausend vor Christus Gestalt annahm. Ein Indiz für diesen Einfluss könnten z.B. sein, dass die Städte Sodom und Gomorra von Gott vernichtet wurden, indem dieser "Feuer und Schwefel" vom Himmel regnen ließ; heute wird das gerne als Meteoritenkatastrophe interpretiert, allerdings ist das auftreten von Schwefel typisch für einen Vulkanausbruch. Und so könnte auch der Teufel zu seinem Attribut, dem Schwefelgeruch, gekommen sein: Der Vulkan Nemrut brachte mit Feuer und Schwefel aus der Unterwelt Verderben auf die von Menschen besiedelte Welt. Was war da für die Juden naheliegender, auch den Teufel sowie seinen Wohnort dort anzusiedeln?
Das Christentum hat die Vorstellung vom Teufel und der Hölle weitergesponnen und im Mittelalter zunehmend auf die Spitze getrieben hat. Mit all den bekannten unschönen Nebenwirkungen, wobei sich diese vor allem im lateinischen Westen zeigten, aber kaum im griechischen bzw. orthodoxen Osten, wo man - zu meinem Erstaunen - der Hölle seit jeher eine wesentlich geringere Bedeutung beimisst.
Freilich, das Thema ist insgesamt schon etwas komplizierter und vielschichtiger, als von mir hier in geraffter Form dargestellt. Im Buch wird es dann auch entsprechend kompetent aufgedröselt.

FAZIT: Das 120seitige Büchlein war für mich kurzweiliger und interessanter Lesestoff. Die These vom Vulkanausbruch, der mehrere Religionen und Kulturen maßgeblich beeinflusste, wirkt teilweise plausibel und teilweise 'bemüht'. Wie so oft bei Thesen dieser Art sind es aber gerade die am Wegesrand liegenden Nebenbei-Informationen, die einen besonderen Wert aufweisen können und gewisse Unzulänglichkeiten der These selbst auszugleichen imstande sind.

—————–




2 Kommentare:

  1. Das Buch kenne ich, sehr interessant ist z.B. an der Theorie, dass es auch eine jungsteinzeitliche Darstellung von dem Doppel-Vulkanausbruch gibt, entdeckt in der Ausgrabungsstätte Çatalhöyük gibt. Ok, man weiß nicht so genau, ob darauf der Ausbruch am Van-See dargestellt worden ist, da gibt es von Forschern auch andere ins Spiel gebrachte Plätze, aber weil zwei Vulkane auf dem Bild zu sehen sind, ist es meiner Meinung nach nicht unwahrscheinlich. Das passt einfach besser zum Van-See.
    https://www.bing.com/images/search?view=detailV2&ccid=KvT4uckf&id=91DA541DD6BA636C94DBC1394CBBAAACC0095508&thid=OIP.KvT4uckfRnU74bwBIrjoDAHaEZ&mediaurl=https%3a%2f%2fwww.biblicalarchaeology.org%2fwp-content%2fuploads%2fvolcano.jpg&cdnurl=https%3a%2f%2fth.bing.com%2fth%2fid%2fR.2af4f8b9c91f46753be1bc0122b8e80c%3frik%3dCFUJwKyqu0w5wQ%26pid%3dImgRaw%26r%3d0%26sres%3d1%26sresct%3d1%26srh%3d771%26srw%3d1300&exph=315&expw=531&q=%c3%87atalh%c3%b6y%c3%bck+volcano&simid=608014648930100726&FORM=IRPRST&ck=A3A1C114A43F79A72815ECAE8353C9FA&selectedIndex=1&ajaxhist=0&ajaxserp=0
    Interessant ist an dem Bild auch, dass darauf ein Stadtplan zu sehen ist, und das schon in der Jungsteinzeit!

    Der Wanderschmied

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, wobei die Abbildung räumlich relativ weit vom Nemrut und vom Süphan entfernt ist. Ich bin mir deshalb nicht sicher, ob das wirklich dieselben Vulkane sind.

      Der Stadtplan bzw die stilisierte Darstellung der Stadt in Form einer Draufsicht ist für mich aber auf jeden Fall faszinierend. Darauf konnte man damals wohl nur kommen, wenn man die Stadt zuvor von einem erhöhten Punkt betrachtet hat.

      Löschen

Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.