Dienstag, 8. November 2022

📖 Zeitschrift "Bayerische Archäologie" - Heft 3.22: Alte Wege und Straßen | Interessantes, gelb-blaue Gschichten und geschichtsvergessene Bankster

Im vorliegenden Heft werden schwerpunktmäßig archäologische Befunde zu den wichtigsten Altstraßen/Altwegen in Bayern vorgestellt; der behandelte Zeitraum erstreckt sich ca von der Jungstein- bis zur Römerzeit. Die ältesten Beispiele hat die Archäologie in den Feuchtbodensiedlungen/Pfahlbausiedlungen von Pestenacker und Unfriedshausen entdeckt (was für Ortsnamen!). Erforscht werden solche Altstraßen u.a. von Alfred Wolfensteiner (noch so ein Name 😁), über dessen entsprechenden Aktivitäten in der Oberpfalz der Herausgeber Roland Gschlößl berichtet. Apropos Herausgeber: Der ist schlussendlich auch für das Coverbild verantwortlich, welches nach meinem Dafürhalten eine ziemliche Katastrophe ist: Matschig-kontrastarm, ein diffuses Motiv und dann den Text ohne Schlagschatten oder etwas Vergleichbares einfach draufgeknallt. Kurz gesagt: Schülerzeitung-Niveau. Da bekomme ich alleine vom Betrachten Herbst-Depressionen. Dass in den Heften "Bayerische Archäologie" praktisch jedes Mal umfangreiche Nachrufe zu finden sind, diesmal gleich zwei, hebt die Laune auch nicht gerade. Doch sehen wir uns kurz eine kleine Auswahl der Beiträge an, vielleicht vertreibt das die Wolken. Der behandelte Themenschwerpunkt ist ja grundsätzlich nicht uninteressant.


Vorgeschichtliche Wege in Bayern    

Markus Schußman schreibt in seinem Beitrag über die Entwicklung des frühesten Straßen- und Wegenetzes in Bayern. Schon in der Jungsteinzeit gab es etwa innerhalb von Dörfern Bohlen- und Pfahlwege. So versanken die Menschen besonders in den feuchteren Jahreszeiten nicht knöcheltief im Morast. Das freut, nach meiner Erfahrung als Reenactor, nicht nur die Füße, sondern wirkt sich auch positiv auf die Lebensdauer vormodernen Schuhwerks aus.

Auch in der Bronze- und Eisenzeit (Keltenzeit) erfreuten sich solche und ähnliche Wege offenbar einiger Beliebtheit, wie nämlich mehrere entsprechende Befunde belegen. Mit Hilfe von erhellenden Fotos und Zeichnungen wird ihre Konstruktionsweise beschrieben. Dabei erfährt man etwa, dass in zwei dokumentierten Fällen Rundhölzer zuerst in Längsrichtung des Weges gelegt wurden und darauf im rechten Winkel dickere Hölzer dicht nebeneinander gereiht worden sind. Man vermutet, dass die entdeckten Wege eine Lebens- bzw. Nutzungsdauer von ca 20-30 Jahren hatten, was den Forschern auffällig kurz erscheint. Auch fehlen Abnutzungsspuren, die etwa Räder verursachen hätten müssen. Wie bzw. für was wurden diese Wege, die etliche Hundert Meter lang sein konnten, also benutzt?

In der Keltenzeit traten dann vermehrt sorgfältig geschotterte Straßen und Wege auf, wie etwa jener, der auf den Staffelberg führt. Man vermutet dahinter nicht nur Praktikabilitätsgründe, sondern auch Statusdenken der elitären Bauherren. Auch Brücken wurden damals schon gebaut; beispielsweise überspannte eine von ihnen im 6. Jh. v. Chr. sumpfiges Terrain auf einer Länge von über 400 m! Jedoch natürlich nicht frei schwebend wie moderne Brücken, sondern auf unzähligen Pfählen ruhend. Die Römer konnten Brücken und Straßen der Kelten später gut nutzen, um mit ihren Armeen schnell vorzustoßen.

Anmerkung: Der Artikelautor (und nicht nur er) verwendet den Begriff "Kunststraßen". Was soll denn das bedeuten? Ist das ein Fachterminus? Wie kann eine Straße nicht künstlich sein? Abgesehen von der 'Wasserstraße', denn dieser Begriff ist weiter gefasst. Natürliche Straße habe ich zu Lande jedenfalls noch keine gesehen, höchstens geologische Formationen, die Straßen ähneln. Selbst ein Trampelpfad ist künstlich


Straßen durchs römische Bayern

Ebenfalls interessant ist der Beitrag von Thomas Fischer, der sich dem römischen Straßennetz im heutigen Bayern widmet: Welche Arten von Straßen/Wegen gab es, wie waren sie konstruiert usw. Spannend ist dabei beispielsweise, dass einige Straßen, deren Belag aus Kies bestand, mit Kalkmörtel zusätzlich befestigt worden sind; das war mir neu. Faszinierend ist außerdem das grafisch gut dargestelltes Beispiel einer rund 500 Meter langen römischen Brücke über die Donau, die - wie die meisten römischen Brücken auf bayerischem Boden - zwar 'nur' aus Holz konstruiert war, aber trotzdem erstaunlicherweise 200 Jahre lang bestanden haben soll. Weiters wird vom Autor auf die Bedeutung von römischen Meilensteinen und Straßenkarten eingegangen. Erstere konnten eine staatliche Länge von gut 2,5 bis 3 m erreichen (eingegraben sind sie immer noch mannshoch gewesen) und beinhalteten nicht nur Entfernungsangaben, sondern waren auch als Wegweiser gedacht. Darüber hinaus dienten sie der politischen Propaganda bzw. Selbstbeweihräucherung römischer Kaiser, wie Inschriften bezeugen.

Für ein wenig fragwürdig halte ich die Aussage, dass das Vorhandensein von vielen Schuhnägeln im Schotterbelag quasi  automatisch auf eine häufige Benutzung durch das römische Militär schließen lässt. Eigentlich verhält es sich nämlich so, dass nicht nur militärische Schuhe genagelt waren, sondern auch etliche zivile (ich besitze selber entsprechende Rekonstruktionen, welche auf archäologischen Funden beruhen). Diese Nägel konnten im Laufe der Jahrhunderte ebenfalls den Boden massiv anreichern. Da brauchts also keine Soldaten.


Kurios: Steckkreuze und menschliche Figuren aus Eisen

Karl Heinz Rieder schreibt im Zusammenhang mit einer alten Wegkreuzung im Wald von ziemlich seltsamen Metallfunden in Form von eisernen Steckkreuzen und menschlichen Figuren. Hergestellt wurden diese Objekte, die wohl zurecht als Votivgaben gedeutet werden, vor allem aus Eisenschrott - wie etwa Hufeisen, Nägeln und Messerklingen. Bei der Datierung tappt man im Dunklen. Frühes, hohes oder doch spätes Mittelalter?


Gelb-blaue Gschichten

Meine speziellen Freunde von der "Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V." bekunden ihre Freude darüber, dass man sich endlich wieder beim "Archäologentag" von Angesicht zu Angesicht - und in "unbegrenzter Zahl" - gegenübertreten konnte. Sogar die Mund-Nasen-Bedeckung - aka Gesslerhut 2.0 - musste nicht mehr getragen werden. Wie fein. Jetzt wird man sich nicht mehr damit aufhalten müssen, unglaubwürdiges Corona-Maßnahmen-Virtue-Signalling zu betreiben (z.B. exzessives Abstandhalten nur fürs Gruppenfoto). Stattdessen weint man sich über Dinge wie das sogenannte "Sondengeherunwesen" aus und verlangt dabei auch gleich ein Schatzregal (dieses wurde mittlerweile von der Politik mehr oder weniger geliefert). 

Freilich, ganz ohne 'virtue signalling' geht es dann doch nicht; das neue 'current thing' - der Ukraine-Krieg - muss diesmal in Form einer Schweigeminute dafür herhalten. Als ob dieser Konflikt ausgerechnet für die bayerische Archäologie eine gesteigerte Relevanz besitzt; oder wohlfeile Schweigeminuten den Betroffenen auch nur irgendwie helfen würden. Wobei man sich überdies fragen darf, warum man erst jetzt bemerkt, dass in der Ukraine Krieg herrscht. Begann dieser doch bereits 2014 und forderte bis ca Ende 2021 um die 14000 Menschenleben. Aber vielleicht waren das ja nicht genug, um die Aufmerksamkeit der archäologischen Großhirnakrobaten in ihren Wolkenkuckucksheimen zu erregen? Oder verhält es sich gar so, dass man vor 2022 mit dieser öffentlich inszenierten Gefühlshuberei einfach noch kein Sozialprestige einheimsen konnte und es deshalb nicht für wert hielt, sich einschlägig vor Publikum zu äußern?


Geschichtsvergessene Bankster?

In Wolnzach soll das zweitälteste Gebäude des Ortes, das sogenannte Aichbichlerhaus, welches noch vor den 30jährigen Krieg datiert, abgerissen werden. Weil nämlich die Volksbank neu bauen möchte. So einfach geht das offenbar in diesem Kuhdorf. Da muss ich freilich sofort an Berthold Brecht denken, der sagte: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" 
Ein geschichtsträchtiges Haus, das unzählige Kriege gut überstanden hat, während rundherum alles in Schutt und Asche versunken ist, wird nun leichtfertig der Profitsucht geopfert. Und politische Deppen stehen tatenlos daneben. 
Was ist das für eine widersprüchliche Denkmalschutzpolitik, die einerseits hysterisch auf Metallsucher hinklopft, andererseits aber der Vernichtung von Baudenkmälern immer und immer wieder mit zornig machender Gleichgültigkeit gegenübersteht? Ist es einfach leichter, sich mit kaum organisierten Hobbyisten anzulegen als mit Banken und Immobilienkonzernen, die schon gerne mal Politikern und Parteien 'spenden'?


Fazit

Ein durchaus interessantes Heft, das auch abseits des Themenschwerpunkts gute Beiträge enthält. Kann man sich kaufen.


PS: Warum wird das Heft eigentlich bei Amazon unter der Rubrik "Broschüre" geführt? Jetzt weiß ich schon, dass sich das wohl auf den Einband bezieht, aber trotzdem versteht doch unter einer "Broschüre" heute fast jeder nur noch Werbe- und Informationsmaterial für Produkte und Dienstleistungen. Hinzu kommt, dass bei vergleichbaren Druckerzeugnissen auf Amazon.de diese Kategorisierung nicht vorgenommen wurde. Das machts noch seltsamer ... 🙄

5 Kommentare:

  1. Das originale "Castle Wolfenstein" habe ich in den 80ern gezockt, damals war ich so um die 10 Jahre alt. Ein tolles Spiel und eine schöne Zeit.

    Wenn du dir ansiehst, wie sie sich scheinbar um archäologisch unbedeutende Streufunde sorgen, aber schöne alte Häuser in großer Zahl der Abrissbirne opfern, dann weißt du, dass es der Politik nicht ernsthaft um unser geschichtliches Erbe geht. Es stehen ganz andere Interessen im Vordergrund, und es sind vor allem monetäre.

    Heli

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Um das Original zu spielen, das ja irgendwann Anfang der 1980er rausgekommen ist, war ich leider noch noch viel zu jung. Es gab allerdings einige Fortsetzungen. Eine davon, Wolfenstein Enemy Territory, habe ich dann 2004/2005 gespielt. Das war dann allerdings schon ein Online Shooter. Hat sehr viel Spaß gemacht. :)

      Löschen
  2. Das mit den genagelten Zivilschuhen ist ein guter Kritikpunkt. Schuhnagel = Militär dürfte zu kurz gedacht sein.

    AntwortenLöschen
  3. Ich finde es immer interessant, wenn Politiker in Bayern mit einem Trachtenanzug herumlaufen, damit die Leute sehen wie traditionsverbunden man angeblich ist. Auf der anderen Seite werden bei uns extrem viele Bauwerke zerstört, die oft wesentlich mehr Jahre auf dem Buckel haben als diese lächerlichen, im 19. Jahrhundert entstandenen Kostümierungen. Da ist dann offenbar Schluss mit der Traditionsverbundenheit der Politiker. Alles nur Show. Rektale Körperöffnungen!

    Tarek

    AntwortenLöschen
  4. "Gelb-blaue Gschichten" lol, beser könnte man es nicht auf den Punkt bringen!

    Der Wanderschmied

    AntwortenLöschen

Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.