Sonntag, 4. Dezember 2022

📖 Buch: Kynegetika

Zwei interessante Werke sind uns aus der Antike erhalten: "Über den Fischfang" ("Halieutika") und "Über die Jagd" ("Kynegetika"). Lange Zeit glaubte man, der in beiden Fällen genannte Verfasser namens "Oppian" sei ein und dieselbe Person. Doch mittlerweile wird davon ausgegangen, dass die Werke von unterschiedlichen Autoren mit diesem Namen stammen. "Über den Fischfang" entstand demnach vermutlich im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts, während "Über die Jagd" zwischen 212 und 216 geschrieben und dem zu dieser Zeit herrschenden Kaiser Caracalla gewidmet wurde. Um die beiden Autoren zu unterscheiden, spricht man von "Oppian"/ "Oppian dem Älteren" bzw. von "Oppian dem Jüngeren"/"Pseudo-Oppian".

Hinsichtlich ihrer literarischen Form ist die Kynegetika wie auch die Halieutika ein Lehrgedicht. Damit stehen beide Werke in einer langen Tradition, die mindestens bis zu Hesiod im 8./7. Jahrhundert zurückreicht. 
Obwohl aus byzantinischer Zeit etliche Kopien überliefert wurden und in der Rennaissance sowie im Barock einige Neuausgaben erschienen, so ist die Kynegetika danach doch ein wenig in Vergessenheit geraten. Dazu mag beigetragen haben, dass einige Gelehrte im 19. Jahrhundert das bis dahin positive Urteil über diesen antiken Text revidierten und die dichterische Qualität z.T. ätzend kritisierten. Ob zu Recht oder zu Unrecht ist für mich freilich nicht von Bedeutung, da ich ausschließlich an den enthaltenen Informtionen über das antike Jagdwesen interessiert bin. Viel wichtiger als der schöne Klang der Verse ist in diesem Zusammenhang eine möglichst wortgetreue bzw. nicht sinnentstellende Übersetzung vom Griechischen ins Deutsche. Das scheint bei der vorliegenden - laut Übersetzer - "philologisch orientierten" Ausgabe der Fall zu sein (aufgrund meiner minimalistischen Altgriechischkenntnisse kann ich mir hier aber kein wasserdichtes Urteil bilden). 
         
Die aus vier Büchern (Hauptkapiteln) bestehende Kynegetika beinhaltet im Zusammenhang mit der Jagd Informationen über Pferde (Pferdezucht, Pferderassen,...), Hunde (Hunderassen, Hundezucht, die Spürjagd, ...), Stiere, Bisons, Hirsche, Rehe, Antilopen, Gazellen, Ziegen, Schafe, Eichhörnchen, Affen, Löwen, Wildschweine, Füchse, Hasen, usw. usv. 
Die Ratschläge und Kenntnisse, die der Autor dem Leser mitteilt, wirken oft profund, sind aber teilweise auch höchst skurril. Wie etwa der folgende, auszugsweise von mir wiedergegebene Text Oppians über das Wildschwein sehr gut veranschaulicht. Deutlich wird hier außerdem, dass die Übersetzung angenehm zu lesen ist und überhaupt nicht schwülstig daherkommt.

Besonders angriffslustig unter den Tieren ist das Wildschwein. 
Es seht sich nach seinem Lager in den hintersten Waldschluchten 
und hasst besonders den lauten Lärm der Tiere.
Ständig aber irrt es auf der Suche nach Weibchen umher
und ist ganz erregt vor Lust.
[...]
Es gibt über den Keiler das Gerücht, dass sein weißer Hauer
im Inneren verborgen eine feurige und gewaltige Kraft habe.
Ein deutlicher Beweis liegt bei den Menschen dafür hierin: 
Wann immer eine große und dicht gedrängte Menge an Jägern
mit ihren mutigen Hunden ein solch wildes Tier auf die Erde werfen
es dicht an dicht mit langen Speeren bezwingen
dann einer vom Nacken eine feine Borste zupft
und sie ganz nahe an den Hauer des noch atmenden Tieres hält,
dann krümmt sich das Haar plötzlich aufflammend.
Und bei den Hunden selbst finden sich auf beiden Seiten der Flanken, 
wo ihnen die feurigen Zähne der Hauer nahekamen,
Brandmale über das Feld verstreut.
Ps.-Oppian | Kynegetika III, 360-390

Ich frage mich, ob diese abenteuerlich anmutende Schilderung einen wahren Kern hat - und sei er auch noch so winzig. Immerhin betont Oppian unmissverständlich, dass es sich um ein "Gerücht" handelt.
Mehr als bloß ein Gerücht ist - wie wir aktuell wieder schmerzlich zu verstehen beginnen - Oppians Beschreibung des Wolfs. Er ist "ein blutrünstiges Tier" und daher "ein Verderben für die Herden von Schafen und Ziegen", heißt es. 

Für die vorliegende zweisprachigen Ausgabe (griechisch-deutsch) zeichnet Stephan Renker verantwortlich. Von den insgesamt 220 Seiten werden rund 60 von einer ausführlichen Einleitung beansprucht. 38 weitere Seiten sind mit einem Literaturverzeichnis und vor allem mit Kommentaren ausgefüllt, in denen unter anderem für den heutigen Leser schwer verständliche Stellen erläutert werden.

Fazit: Die von DeGruyter herausgegebene "Kynegetika" ist eine interessante Quelle für Informationen über das in der Antike sicher nicht unwichtige Jagdwesen. Zwar mag dieses damals schon für die Nahrungsbeschaffung vielerorts nur noch eine untergeordnete Rolle gespielt haben, aber das Bejagen von Raubtieren wie dem Wolf war für den Schutz der Nutztierherden umso wichtiger. Eventuell kann man daraus auch heute noch manch nützliche Information ziehen?

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Weiterführende Informationen:



2 Kommentare:

  1. Die Germanen haben sich gelegentlich die Wildschweinhauer an die Kopfbedeckung rangemacht. Der Glaube an eine magische Kraft, die in den Hauern steckt, dürfte ein kulturübergreifendes Phänomen gewesen sein. Interessant wäre es herauszufinden, was der Ursprung dafür ist.

    Wird in dem Buch auch auf die Bewaffnung von Jägern eingegangen?

    Der Wanderschmied

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    1. Ich weiß, was du meinst. Ich habe schon Rekonstruktionsversuche mit Eberhauern an einer Lederkappe gesehen - zB in den von mir rezensierten Merowingerheften des Zeughausverlags.

      Ziemlich am Anfang schon wird die typische Jagdausrüstung eines Jägers der damaligen Zeit aufgezählt.

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