An den Online-Streitereien zum Themenkomplex Israel-Palästinenser beteilige ich mich nicht. Zwar habe ich dazu eine Meinung, die sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt bzw. verändert hat, aber mein Bedürfnis ist sehr gering, diesbezüglich irgendwelche fruchtlosen Diskussionen oder gar flame-wars zu führen (ist hier jemand alt genug, um diesen Netzkultur-Begriff aus der Frühphase des modernen Internets noch zu kennen?).
Was ich aber immer und immer und immer und immer wieder lese: Der Begriff "Palästina" sei eine reine Erfindung der Römer, die nach der Niederschlagung des jüdischen Bar-Kochba-Aufstands ausgerollt wurde, damit die Juden gar nicht mehr auf die Idee kommen, Judäa sei ihr Land. Das jedoch ist - aus historischer Sicht - ein ziemlicher, aber offenbar nicht auszumerzender Schmarrn. In der Realität leitet sich "Palästina" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Volk der Philister ab, das in der betreffenden Gegend bereits vor der jüdischen Landnahme lebte. Die entsprechenden Vorgänge schlagen sich u.a. in alttestamentarischen Texten nieder. Man denke nur an die Story von David gegen Goliath. Letzterer soll Philister gewesen sein, wobei hier mMn von einer Art religiösen Allegorie auszugehen ist. Will heißen, Goliath steht stellvertretend für das zu diesem Zeitpunkt eventuell mächtigere Volk/Heer der Philister, während die Israeliten/Juden die Underdogs gewesen sind. Freilich, diese Darstellung aus jüdischer Sicht kann auch frei erfunden sein, um die Leistungen der Altvorderen nachträglich hochzupumpen.
Nun habe ich kürzlich in einem völlig anderen Zusammenhang in Herodots Geschichtswerk "Historien" nach Informationen zur Tribut- und Abgabenpraxis persischer Großkönige recherchierte. Der griechische Geschichtsschreiber aus Halikarnassos schrieb im 5. Jahrhundert vor Christus folgendes über die einige Jahrzehnte zuvor von Daraios I. eingetriebenen Gelder (ich entschuldige mich gleich vorweg für den katastrophal verschachtelten Endlossatz der deutschen Übersetzung).
Ἀπὸ δὲ Ποσιδηίου πόλιος, τὴν Ἀμφίλοχος ὁ Ἀμφιάρεω οἴκισε ἐπ᾽ οὔροισι τοῖσι Κιλίκων τε καὶ Συρίων, ἀρξάμενος ἀπὸ ταύτης μέχρι Αἰγύπτου, πλὴν μοί- ρης τῆς Ἀραβίων – ταῦτα γὰρ ἦν ἀτελέα –, πεντήκοντα καὶ τριηκόσια τάλαντα φόρος ἦν· ἔστι δὲ ἐν τῷ νομῷ τούτῳ Φοινίκη τε πᾶσα καὶ Συρίη ἡ Παλαιστίνη και λεομένη καὶ Κύπρος νομός πέμπτος οὗτος. Von der Stadt Posideion an, die Amphilochos, der Sohn des Amphiaraos, an den Grenzen zwischen Kilikern und Syrern gegründet hatte, angefangen von dieser Stadt bis nach Ägypten - außer dem Gebiet der Araber, denn das war abgabenfrei - war die Abgabe dreihundertfünfzig Talente. In diesem Steuerbezirk liegen ganz Phönizien, das sogenannte palästinische Syrien und Zypern; dies war der fünfte Steuerbezirk. Herodot | Historien, 3. Buch, 91,1 | Hrsg.: Heinz-Günther Nesselrath | Verlag Kröner, 2017 |
Gemeint sind mit dem palästinischen Syrien grob die Gebiete der modernen Staaten Libanon, Syrien sowie Israel. Man sieht hieran, die Bezeichnung Palästina war offenbar auch schon zu Herodots Zeiten üblich, etliche Jahrhunderte bevor dort auch nur ein einziger römischer Legionär gesehen wurde. Mehr noch, man darf davon ausgehen, dass der Landschaftsname kontinuierlich von vorjüdischer Zeit bis heute in Gebrauch war. Denn es ergäbe keinen Sinn, wenn er sich erst dann im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hätte, lange nachdem die namensgebenden Philister im 8. Jahrhundert vor Christus ihre politische Eigenständigkeit und bald auch weitestgehend ihre kulturelle Identität verloren hatten.
Natürlich, wer besonders kritisch ist, könnte hier z.B. einwenden: Belgien! Der Name dieses modernen Staats ist ein Rückgriff auf eine antike Bezeichnung - nämlich die römische Provinz Gallia Belgica bzw. den Stamm der Belger. Eine halbe Ewigkeit war dieser Begriff nicht in Gebrauch, bevor man ihn im 19. Jahrhundert aus identitätsstiftenden/nationalistischen Gründen exhumiert und neu belebt hat. Allerdings muss man bei solchen Vergleichen immer den Kontext berücksichtigen. Während im Fall Belgiens das Motiv wohlbekannt und nachvollziehbar ist, liegt die Sache beim vorrömischen Palästina völlig anders. Es findet sich aus der damaligen Zeit schlicht kein Motiv dafür. Entsprechend kann man die beiden Fälle zwar vergleichen, aber nicht gleichsetzen.
Leider geht es bei diesem Thema selten um solche Fakten, sondern oft um Emotionen. Viele Menschen wollen nur die Dinge hören, die ihre Sichtweise bestätigen.
AntwortenLöschenViele Grüße aus Bayern,
Widukind
Interessante Betrachtung von dir. Solide und sachlich argumentiert.
AntwortenLöschenIch finde es seltsam, dass ständig Personen mit angeblich höherer Bildung solche Fakten ignorieren. Gerade die alten Schriftquellen enthalten alles, was man wissen muss, um die historische Wahrheit zu erkennen.
Vielleicht darf ich es deshalb wagen hier zu behaupten, dass die altjüdischen Texte auch eine Ansammlung von Schilderungen sind, die Völkermord und ethnische Vertreibungen glorifizieren.
LG,TariTiri