Donnerstag, 26. Juni 2014

Tanchelm und seine Badewasser schlürfenden Ketzer



Im typischen Mittelalterroman werden häretische/abweichlerische Gruppierungen und ihre Führer häufig als Opfer dargestellt. Die katholische Amtskirche findet sich hingegen zumeist in der Rolle des ultimativen Bösewichts wieder, der die (pseudo-)reformatorischen Gedanken der Ketzer mit allen nur denkbaren Mitteln zu unterdrücken versucht. Das ist freilich eine Halbwahrheit. Dass die Inquisition ziemlich rabiat agieren konnte ist unbestritten - doch auch ihre Gegner vertraten häufig Ansichten, die ganz und gar nicht mit modernen Glaubens- und Moralvorstellungen kompatibel sind. Ein besonders krasser Fall sind die Katharer und ihre teils überaus unappetitlichen Lehren. Daneben gab es jedoch noch unzählige weitere häretische Umtriebe, die allesamt das Ihrige dazu beitrugen, dass im 13. Jahrhundert als Gegenmaßnahme die Inquisition ins Leben gerufen wurde. 
Als Beispiel sei etwa der Anfang des 12. Jahrhunderts tätige Wanderprediger Tanchelm von Antwerpen genannt. Wie so viele andere Männer seines Schlages zog er übers Land und kritisierte jenen abgehobenen Lebensstil, den Teile des Klerus pflegten. Die Kirche bezeichnete er als "Bordell", da der Zölibat vielerorts in der Praxis noch nicht umgesetzt worden war (der "Revoluzzer" von damals würde demnach heute wohl als "erzkonservativ" bezeichnet werden...).
Diese Angriffe stellten für manch Bischof, Abt und Pfarrer gewiss ein Ärgernis dar, waren jedoch nicht grundsätzlich verboten bzw. ketzerisch. Darüber hinaus verwarf Tanchelm jedoch auch die Transsubstantiation (Verwandlung von Wasser und Brot in Blut und Fleisch Jesu während der Eucharistie) sowie die restlichen Sakramente (Taufe, Beichte,...). Seine Anhänger, die sich naturgemäß aus den unteren Schichten rekrutierten, tranken angeblich sogar sein Badewasser und etablierten einen regelrechten Führer- und Heiligenkult um ihn. In einem Brief des Utrechter Domkapitels ist etwa davon die Rede, dass er, begleitet von Bewaffneten, in goldenen Gewändern durch Antwerpen zog. Desweiteren soll Tanchelm symbolische eine Marienstatue geehelicht und seinen Einfluss ausgenutzt haben, um diversen Frauen "beizuwohnen" - Stichwort "Libertinismus". Speziell letzeres ist besonders pikant, da Tanchelm ja selbst heftig gegen Priester wetterte, die mit Frauen zusammenlebten.
Handelt es sich bei all diesen Vorwürfen nun aber überwiegend um Verleumdungen seiner Feinde, wie manche Historiker mutmaßen? Es scheint jedenfalls noch einen weiteren plausiblen Grund für Tanchelms Predigertätigkeit zu geben, der ihn allerdings auch nicht gerade als strahlenden Proto-Reformator dastehen lässt: Der Historiker Henri Pirenne vermutete nämlich, dass Graf Robert II. von Flandern mittels (s)eines Predigers/Demagogen versucht haben könnte, Unfrieden im Bistum Utrecht zu stiften, um in weiterer Folge Teile davon dem flämischen Bistum Tournai zuzuschanzen. Wie später bei den Katharern (und vor allem bei Luther!), ging die Häresie - und ihre Bekämpfung - also möglicherweise auch hier mit politischen Machtspielen einher.
Doch was auch immer die wahren Beweggründe des Tanchelm von Antwerpen waren, sein Ende kam jäh: Im Jahre 1115, nach nur drei Jahren der "Verhaltensauffälligkeit", wurde er von einem rabiaten Priester erschlagen.
Seine Lehren scheinen sich noch einige Jahre gehalten zu haben, wurde allerdings von Geistlichen wie Norbert von Xanten erfolgreich bekämpft. Heute ist darüber kaum noch etwas bekannt, obwohl zumindest in der kirchlichen Kunst die Gegnerschaft Norberts und Tanchelms ein immer wieder auftauchendes Motiv war, wie beispielsweise obiges Bild zeigt.

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5 Kommentare:

  1. Die Nummer mit dem Badewasser kommt mir irgendwie bekannt vor. Gab es das nicht auch bei einem echten Heiligen??

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    1. Auf die Schnelle fällt mir da nur der Hl. Oswald aus Northumbria ein. Von dem kursierte als Reliquie verehrte Erde, die angeblich mit seinem Waschwasser in Berührung kam. Gut möglich, dass es aber auch Heilige gab, deren Wasser, zumindest als sie noch lebten, getrunken wurde. Die Volksfrömmigkeit trieb damals ja die seltsamsten Blüten.

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  2. Das Lustige ist, dass Norbert von Xanten genauso gegen im Erzbistum Magdeburg verh. Priester vorging und deswegen dort regelrecht belagert worden ist... Mann war sehr erbost. D.h. aber das verh. Priester noch bis ins 12. Jahrhundert im Herzogtum Sachsen üblich waren
    s.
    Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert / von Dietrich Claude
    Verfasser: Claude, Dietrich. Erschienen: Köln [u.a.] : Böhlau, 1972-1975, Umfang: Bd. 1. 2.
    Schriftenreihe: Mitteldeutsche Forschungen ; ... Hochschulschrift: Zugl.: Marburg, Univ., Habil.-Schr., 1969/70

    Aus der Bibliothek zu Nará, Isí

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    1. Glaube ich meiner Oma (92), dann waren Priester mit Frauen sogar in der Zwischenkriegszeit noch ziemlich häufig anzutreffen. Nur, dass es offiziell keine Ehefrau waren, mit der der Herr Pfarrer im gleichen Haus zusammenlebte, sondern die "Köchin" oder "Haushälterin". Das restliche Dorf hat nobel weggeschaut und nicht einmal darüber getuschelt. Man zog es stattdessen vor an die Fiktion des keuschen Priesters zu glauben :)

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    2. Ich denke, "Zölibatessen" gibt es bis heute ... Beispiele aus meiner Umgebung führe ich hier mal nicht an. Nur sind Gemeinden oft aufgeklärter und intoleranter. Das Idealbild hat auch der Wirklichkeit zu entsprechen.
      Das sollte man aber vom off. Umgang trennen, denn anders als Rom immer anführt, waren verh. Priester noch (s.o.) bis mind. im 13 Jhd. allgemein üblich. Das ist jetzt aber schon Kirchenpolitik fürchte ich...

      Dein Isí

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