Sonntag, 20. Juni 2021

📖 Zeitschrift Bayerische Archäologie: Interessantes aus der Archäozoologie und Erbärmliches von der ideologisch verstrahlten Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V.

Thematischer Schwerpunkt im Heft 2/2021 der vom Verlag Friedrich Pustet herausgegebenen Zeitschrift "Bayerische Archäologie" ist die Archäozoologie, welche sich seit ca 150 Jahren als Teilgebiet der Archäologie mit jenen Überresten von Tieren beschäftigen, die im Zusammenhang mit menschlichem Handeln stehen; also vor allem mit Haustieren und Jagdbeute. Damit unterscheidet sich die Archäozoologie von der Paläontologie, die zeitlich und räumlich ein wesentlich breiteres Spektrum abdeckt.


Von der Kuh zum Truthahn und dem römischen Dromedar - Haustiere in Bayern

Über einen interessanten Forschungsaspekt der Archäozoologie gibt ein Beitrag von Ptolemaios Paxinos, Nadja Pöllath und Simon Trixl Auskunft. Konkret geht es um die Nutztierhaltung von der Jungsteinzeit bis in die Neuzeit auf bayerischem Boden. Beispielsweise veranschaulicht eine große Grafik die massive Schrumpfung des Rinds bzw. der Milchkuh im Laufe der Jahrtausende. Am Ende dieses irgendwann in der Jungsteinzeit einsetzenden Trends - der nur kurz durch die Anwesenheit der Römer unterbrochen wurde - steht die Kuh des Mittelalters, die ausgewachsen lediglich die Größe eines heutigen Kalbes (!) hatte. Bis zum 19. Jahrhundert erreichte man bei den Tieren durch bessere Züchtungen und Haltungsmethoden wieder einen Wuchs, der ungefähr jenem entsprach, wie er einst bei den Römern anzutreffen war. Trotzdem lag man damit immer noch deutlich unter dem Niveau der Jungsteinzeit.

Ebenfalls sehr schön veranschaulicht wird im Text sowie in einer weiteren gelungenen Grafik die Ankunft der verschiedenen Haustierarten in dem Gebiet, das heute Bayern ist. So tauchte etwa der Hund in der Mittelsteinzeit auf. In der Römerzeit wiederum fand das Dromedar/Kamel (!) seinen Weg in den Alpenraum - welches freilich hier nicht dauerhaft geblieben ist und bisher auch nur selten archäologisch nachgewiesen werden konnte.


Der interessante Werkzeugkasten der Archäozoologie

Eine gute Übersicht zu den Methoden der Archäozoologie liefern Ptolemaios Paxinos und Michaela Zimmermann in ihrem Beitrag. Altbewährt ist etwa das Betrachten der Form des Knochens (Morphologie) zwecks Artenbestimmung und ergänzend - hier nun zur Bestimmung des Alters - das Berücksichtigen von Verwachsungen bei Fugen im Knochen (Epiphysenfuge). 
Hinzugekommen sind in den letzten Jahrzehnten die DNA- und die Isotopenanalyse. Während sich die Ergebnisse von DNA-Analysen mit jenen der althergebrachten Untersuchungsmethoden teilweise überschneiden können, so liefert die Isotopenanalyse ausschließlich bahnbrechend Neues. Denn mit ihr ist es z.B. möglich, recht genau die Ernährungsweise eines individuellen Tieres sowie Charakteristika seines Lebensraums zu bestimmen. 
Während gerade die DNA- sowie zunehmend auch die Isotopenanalyse in der populärwissenschaftlichen Berichterstattung Erwähnung finden und deshalb relativ bekannt sind, dürfte von Geometric Morphometrics (GMM) so gut wie kein Laie je etwas gehört haben. Diese Methode beruht auf einem möglichst großen Pool an genau vermessenem Knochenmaterial in Kombination mit speziell entwickelten mathematischen Formeln. Damit ist es möglich Tierarten zu unterscheiden, selbst wenn die untersuchten Knochenfragmente (z.B. ein Sprunggelenk) auf den ersten Blick morphologisch gleich sind (handelt es sich z.B. um einen großen Maulesel oder ein kleineres Pferd?).


Ideologisch verstrahlt: Die Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V.

Als ich die Zeitschrift gleich nach dem Erhalt kurz überflogen hatte, ging ich erfreut (oder insgeheim doch auch etwas enttäuscht?) davon aus, dass die in der Heftmitte abgedruckten Mittelungen der "Gesellschaft für Archäologie in Bayern e.V." endlich einmal keinen Anlass zum Spotten oder gar Ärgeren geben. Doch weit gefehlt! Denn wenige Tage später stieß ich beim genaueren Durchlesen des Textes auf folgende Stelle, bei der sich mir geradezu die Zehennägel aufrollten:

Derzeit sind wir aktiv, um Lehrgrabungen für den Sommer/Frühherbst zu organisieren, die sich im letzten Jahr als Alternativen zu Urlaubsreisen großer Beliebtheit erfreuten. Über die konkreten Angebote und Anmeldemöglichkeiten werden wir im nächsten Mitteilungsblatt informieren. Nachdem sich bei und in den letzten Monaten Anfragen von Sondengehern in unerfreulicher Weise (sic!) häufen (für die Position der GFA zu diesem Thema siehe www.gesellschaft-fuer-archaeologie.de/GESELLSCHAFT/stellungnahmen.php) bitten wir Sie, bei Archäologie-Interessierten in Ihrem Umfeld für Lehrgrabungsangebote als ethisch und fachlich vertretbare Alternativen zu werben. Vielleicht können wir so alle dazu beitragen, dass unser gemeinsames Kulturerbe an Bodendenkmälern weniger von unqualifizierte, häufig umherreisenden Schatzsuchern ausgeschlachtet und zerstreut wird.

Was ethisch oder unethisch ist, bestimmt nicht dieser Verein mit klar ausgeprägtem Bias. Vielmehr hat man es hier mit den unterschiedlichen Interessenlagen zweier Gruppen von Menschen zu tun zu tun: Die eine möchte sich den im Erdboden entdeckten Krempel zuhause in ihre Vitrinen stellen oder ihn online verklopfen; die andere gedenkt mit diesen wissenschaftlich überwiegend geringwertigen Streufunden aus gestörten Schichten (dazu zählen etwa fast sämtliche Münzfunde) die aus allen Nähten platzenden Museumsmagazine weiter vollzustopfen; denn die vorhandenen Ausstellungsflächen reichen in Deutschland bereits jetzt nicht einmal mehr für 10 Prozent der bisher angesammelten Objekte aus. 
Die in der Regel vom Staat getragenen Museen sind üblicherweise auch zu faul, die Exponate in größerem Umfang zumindest einmal im Jahr zu wechseln, sodass der Besucher kaum etwas von den Neuzugängen sieht. Das gerne vorgebrachte Argument, es würde der Allgemeinheit etwas vorenthalten, wenn archäologische Funde sich nicht im Besitz von Museen befinden muss somit als pauschalisierender, dummdreister und unterm Strich zutiefst verlogener Nonsens bezeichnet werden.

Die absolute Krönung in dem oben zitieren Erguss dieses Vereins intellektueller 'Nudisten' ist freilich, dass man sich allem Anschein nach dagegen sperrt, Metallsucher an Lehrgrabungen teilnehmen zu lassen; hier also ausgerechnet jene Vertreter einer verfemten Gruppe von Hobbyisten abgelehnt werden, die ein echtes Interesse an wissenschaftlich sachgerechten Bergungen von Funden und ihrem sorgfältigen Dokumentieren haben, anstatt sich bloß daran aufzugeilen, sie zu besitzen.
Gleichzeitig wird der Öffentlichkeit in der oben verlinkten Stellungnahme vom Vorstand der Gesellschaft für Archäologie in Bayern vorgeheuchelt, man würde eine Zusammenarbeit mit genau solchen wissenschaftsaffinen Metallsuchern anstreben. Ja was denn nun?! Wie passt das damit zusammen, dass man sie nicht bei Lehrgrabungen dabei haben möchte? 
Es ist im Übrigen nicht das erste Mal, dass mir dieses zutiefst bornierte Verhalten von deutschen archäologischen Vereinen zu Ohren kommt.

Geht es hier womöglich primär darum, dass der arrivierten Archäologie ausschließlich der Sinn nach ferngesteuerten Hiwis steht, man sich aber keine private, relativ selbständig agierende und methodisch zu gut ausgebildete Konkurrenz heranzüchten möchte, die noch dazu 'pro bono' arbeitet - Stichwort 'citizen science'? Manch einer dieser Metallsucher bzw. Hobbyarchäologen misst ja z.B. jetzt schon Funde gewissenhafter ein, als das bei vielen von Archäologen durchgeführten Surveys aus Zeit und Kostengründen der Fall ist. Was zu einer präziseren und somit oft aussagekräftigeren Darstellung der Fundstreuung führt.

Man muss im Angesicht der hier geschilderten Sachlage leider zu der Erkenntnis gelangen, dass die handelnden Personen bei der Gesellschaft für Archäologie in Bayern ideologisch völlig verstrahlt sind. Entsprechend sollte man sich überlegen, die ganze Mischpoke mittels Castor-Container ins intellektuelle Endlager abzutransportieren.


Zwei neue Rubriken

In diesem Heft wurden zwei neue Rubriken eingeführt: 1. "Archäologie in den Bezirken: Darin wird die archäologische Forschung - gerade auch die von Laien betriebene - anhand von Beispielen aus allen sieben bayerischen Regierungsbezirken in den Fokus gerückt. Jeder kann entsprechende Beiträge an die Redaktion zwecks Veröffentlichung senden. 2. "Gefährdete Häuser": Sozusagen als Reaktion auf den großen Leserzuspruch, den das Heft zu diesem Thema nach sich gezogen hat, wird nun in jeder Ausgabe ein Beispiel für besonders üblen Denkmalfrevel behandelt; diesmal geht es etwa um ein eigentlich denkmalgeschütztes Fachwerk-Bauernhaus in Bayreuth, das vom Besitzer bewusst dem totalen Verfall preisgegeben wird, um es irgendwann abreißen zu können. Trotz rechtswidrigen Handelns wurde das verantwortliche Individuum bisher nicht zur Verantwortung gezogen.

Beide neuen Rubriken sind meines Erachtens sehr sinnvolle Ergänzungen der Reihe "Bayerische Archäologie". 


Weitere Beiträge:
  • Tier, Mensch und Umwelt im Fokus der Bioarchäologie
  • Spurenlesen an 200 000 Jahre alten Knochen
  • Zum Potential der Archäozoologie des Paläolithikums in Bayern
  • Wie die Rentiere aus Bayern verschwanden
  • Die osteoarchäologischen Archive Bayerns
  • Die rituelle Bedeutung von Tieren in der Vorgeschichte
  • OMFALA Online-Museum: Virtuelle Vitrinen
  • Professor von Eulenschnurz im kelten römer museum manching (die schreiben sich wirklich klein ^^)
  • Eine Jagdstation der späten Neandertalerzeit
  • neue Bücher
  • Ausstellungen
  • Veranstaltungen
  • Abos


Fazit: Unterm Strich ein interessantes Heft. Wobei der Inhalt diesmal recht steinzeitlastig ist. Was jene Leser freuen wird, die sich für diese Epoche begeistern. 

PS: Amazon hat mir im ersten Anlauf das Veröffentlichen der Rezension verweigert. Wie das bei vielen all dieser obskuren US-IT-Konzernen üblich ist, ohne mir konkret zu sagen, was genau daran schuld war. Der "Erguss"? Die "Nudisten"? Die "Mischpoke"? Zum Erbrechen, diese tantenhafte Wortkontrolliererei.

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8 Kommentare:

  1. Ja, Herr Hiltibold, ganz genau das habe auch ich schon erlebt! Nachdem ich mich in der E-Mail bei der Anmeldung als Sondler zu erkennen gegeben habe, war ich bei der Lehrgrabung unerwünscht. Obwohl ich extra dazugeschrieben habe, dass ich mit den Archäologen seit fast 2 Jahrzehnten sehr gut zusammenarbeite und meine Funde melde. Hat die Zuständigen alles nicht interessiert.

    In dem Interviewlink kritisieren sie, dass zu wenig Funde von Sondengehern abgegeben werden, obwohl es kein Schatzregal bei uns gibt. Das hat einerseits sicher damit zutun, dass einige Finder nicht mit dem Grundstückseigentümer teilen wollen. Ich verurteile dieses Verhalten. Aber mindestens genauso zum Tragen kommt, dass die Bearbeitung der Funde langwierig ist und man sie zum Teil erst nach einem Jahr wiedersieht. Diese extreme Lahmarschigkeit wollen sich viele Finder einfach nicht antun. Dafür habe ich Verständnis.

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    1. Das "Herr" kannst du gerne weglassen ;)

      Du bist aber nicht bei der in der Rezension erwähnten Lehrgrabung abgelehnt worden, oder?

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    2. Ah, ok, also nur Hiltibold :-)

      Nein, mit der Grabung im Artikel hat das nichts zu tun gehabt, mein Erlebnis liegt schon mehrere Jahre zurück. War auch nicht in Bayern, sondern noch in NRW, wo ich längere Zeit gewohnt habe.

      Ich muss auch noch dazu sagen, dass ich damals, als man mich abgewimmelt hat, Zuspruch von meiner langjährigen Kreisarchäologin bekommen habe, die bei uns supertolle Arbeit geleistet und sich den Arsch aufgerissen hat, um mehr Sondler zur Zusammenarbeit zu bewegen. Sie hat auch nicht verstanden, dass man mich nicht dabei haben wollte.

      Ich kann nicht einmal erraten, warum man mir gegenüber so ablehnend war.

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    3. Vielleicht haben die Veranstalter die Befürchtung, dass Sondengeher den Grabungsplatz ausspionieren und dann in der Nacht wiederkommen?

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    4. Ja, möglicherweise glauben sie das. Ich kenne allerdings nur einen Fall, bei dem es tatsächlich so ähnlich abgelaufen ist. Bloß dass es ein beteiligter Archäologe war, der in der Nacht zurückgekehrt ist und die Grabungsstätte abgegrast hat. Der Fall ging damals auch durch die Presse.

      Eventuell gilt hier ja die alte Weisheit: So wie der Schelm denkt, so ist er.

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    5. Eigenartig finde ich, dass sie ihre ablehnende Haltung nicht begründen. Man hätte doch klar schreiben können, warum man keine Sondengänger dabei haben möchte. Dann müssten die Leser auch nicht über die Gründe spekulieren. So wirkt das dann aber ganz schön irrational, ideologiegesteuert und arrogant. Damit überzeugt man niemanden von seinem Standpunkt. "Geistige Nudisten" ist hart formuliert, aber wirklich intelligent ist der Text des Archäologievereins tatsächlich nicht.

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  2. Den Beitrag zu dem Haus in Bayreuth habe ich schon gelesen, das ist wirklich ein Skandal, was dort abgeht. Der bayerische Landtag hat die Petition zur Rettung einfach schubladisiert.
    Ich verstehe schon, dass nicht jeder die Mittel hat, so ein Haus zu sanieren oder wenigstens zu konservieren, aber dieser Besitzer geht offensichtlich mit Vorsatz beim Zerstören vor.
    Die Politik müsste einfach mehr Mittel für solche Gebäuderettungen bereitstellen. So viel Bausubstanz die schützenswert ist gibt es leider sowieso nicht mehr.

    Der Wanderschmied

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    1. In der Tat, es ist wie so oft vor allem eine Geldfrage. Wobei das Geld durchaus vorhanden ist, man müsste es lediglich umschichten. Siehe etwa eine gewisse Mittelalterbaustelle, die Steuergeld seit bald einem Jahrzehnt verbrennt.

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