Donnerstag, 4. Dezember 2025

🕎 Woher kam die antijüdische Stimmung in der Antike und dem Mittelalter wirklich?



Einigen Lesern des Blogs dürfte Rebecca Gablé - die deutsche Bestseller-Autorin von etlichen Mittelalterromanen - ein Begriff sein. Ich hab ihre Bücher jedenfalls vor ca 15 bis 20 Jahren sehr gerne und in großer Stückzahl gelesen. Irgendwann kam ich jedoch davon ab - Bernard Cornwells Stil gefiel mir einfach besser, da dieser knackiger ist und die Storys wesentlich weniger Liebesschmus enthalten.
Kürzlich bin ich aber zufällig über eine Rezension von Gablés Büchern gestolpert; darin hieß es, die Frau würde antijüdische Stereotype quasi unreflektiert an ihre Leser durchreichen; im Subtext schwang mit, dass Gablé daher politisch verdächtig sei (und das obwohl ihr Künstlername Rebecca ist 🙄). Diese Kritik brachte mich zum Nachdenken, denn ich sehe das anders: Rebecca Gablés Romane bevölkern jede Menge 'gute Juden'. Wenn dann aber z.B. ein jüdischer Geldverleiher einmal weniger sympathisch wirkt, dann ist das eher eine realitätsnahe Beschreibung. Denn nahezu alle Geldverleiher - also Banker - erfreuen sich bis heute keiner großen Beliebtheit; völlig wurscht, welches Glaubensbekenntnis die betreffende Person hat. Und im Mittelalter waren nun einmal - nicht zuletzt wegen dem merkwürdigen Zinsverbot der katholischen Kirche - Juden sichtbar überproportional im Geldverleih/Bankwesen tätig. Es ist dementsprechend vertretbar, solche Fakten literarisch zu verarbeiten; und zwar ohne Ideologiebrille und Schere im Kopf. 

Dass dieses starke Engagement im Finanzsektor den Juden dazumal insgesamt auf den Kopf gefallen ist (auch heute noch), lässt sich freilich nicht bestreiten. Denn die europäischen Völker haben von den jüdischen Bankern quasi auf alle Juden geschlossen. Hätte man genauer hingeschaut, dann wäre man jedoch draufgekommen, dass die christlichen 'Geldsäcke' (die es trotz Verbots im Laufe des immerhin rund tausendjährigen Mittelalters immer häufiger gab), um keinen Deut ethischer gehandelt haben. Auch für Sie stand die Profitmaximierung im Vordergrund. Siehe Fugger, Welser usw.
Es wäre natürlich arg verkürzend und verfälschend, wenn man die antijüdische Grundhaltung in der Bevölkerung bloß auf monetäre Aspekte und ein paar religiöse Meinungsunterschiede zurückführen würde. Die Realität war wesentlich komplizierter. Auch handelt es sich um kein rein christliches Phänomen, wie beispielsweise schon der römische Geschichtsschreiber Tacitus mit einem wenig freundlichen Zitat über Juden bezeugt ("Unheilig ist bei den Juden alles, was bei uns heilig ist, und erlaubt ist bei ihnen, was für uns unrein ist."). Philo von Alexandria - selbst Jude - berichtete, dass sich seine nach Rom ausgewanderten Landsleute in bestimmten Stadtvierteln zusammenballten. Man wollte also unter sich bleiben. Die "Gettoisierung" war hier selbstgewollt - so wie man es bis heute auch bei anderen Einwanderergruppen ständig beobachten kann. Man lebte lieber nebeneinander, statt miteinander.
Wer sich heute über migrantische Parallelgesellschaften ärgert, sollte in der Lage sein, sich beispielsweise in die Menschen des Mittelalters hineinzuversetzen, die genau diese Kritik an den als Fremdkörper empfundenen Juden übten. Uns gelten heute die sogenannten "westlichen Werte" als zentraler Leitfaden für ein gedeihliches Zusammenleben - gleichzeitig sind diese ein Herrschaftsinstrument des Establishments. Im 'Mittelalter und in der Frühen Neuzeit hatte das Christentum diese Funktion. Wer sich diesem nicht voll und ganz unterordnen wollte, galt als Außenseiter und Störer der Gemeinschaft. Man darf hier nicht vergessen, dass die damaligen Autoritäten ihre Macht von jener Gnade ableiteten, die ihnen angeblich von Gott zuteil wurde; wer sich weigerte, an diesen Gott in der verordneten Form zu glauben, der galt entsprechend als Gefahr für die herrschende Ordnung; sogar die Christen selbst wurden ja zuvor von den römischen Kaisern aus ähnlichen Gründen rund ein Vierteljahrtausend lang blutig verfolgt. Was im Übrigen aber auch ein zentraler Unterschied zur Gegenwart ist. Denn heute gehen die Autoritäten des Staates gegen Assimilierungsverweigerer nicht mehr dermaßen rabiat vor. Ganz im Gegenteil, man lässt sich eher devot auf der Nase herumtanzen. Unsere Gesellschaft verfiel sozusagen von einem Extrem ins andere. Die Ironie daran ist: Ausgerechnet die vergangenen antijüdischen Grauslichkeiten tragen enorm zu diesem Verhalten der westlichen Gastgesellschaften bei - wie besonders das ständige Bemühen des Dritten Reichs im politischen Diskurs bezeugt.

Betrachten wir eine weitere Frage, die ich für erörternswert halte: Warum hat sich auch nach der Aufklärung - als die Religion ihre Bedeutung als gesellschaftlicher Kitt verlor - die antijüdische Stimmung hartnäckig gehalten? Wie konnte das sein? Denn schließlich ist ab dem 18. Jahrhundert das Göttliche nicht nur für Christen zunehmend unwichtig geworden, sondern auch für Juden. Viele dieser Juden legten ihren Glauben ab und konvertierten sogar zum Christentum. Eventuell noch mehr wurden Atheisten oder Agnostiker. Der Verdacht liegt daher nahe, dass sich zu diesem Zeitpunkt die europäischen Völker längst an ihre tiefe Antipathie hinsichtlich ihrer jüdischen Mitbürger gewöhnt hatten. Gewohnheiten kann man bekanntlich nicht so leicht ablegen. Und jüdische Bankiers waren immer noch Teil des Alltags (Reichtum vererbt sich oft über sehr viele Generationen). Dies half, das Feuer am Lodern zu halten. 
Erschwerend kam hinzu, dass im aufkommenden Kommunismus Juden überproportional als Akteure vertreten waren; das ist ein Faktum, welches schon dazumal vielen Beobachtern auffiel. Und zwar negativ, wenn man politisch anders ausgerichtet war. Später kulminierte dies in der fatalen nationalsozialistischen Pauschalisierung: Jude = Kommunist/Bolschewist. Genau in diesem Kommunismus sah man den großen Gegenspieler, den es zu vernichten galt; nicht nur politisch, sondern auch physisch. Ein weiterer Punkt, den die Nationalsozialisten zum Nachteil der Juden aufgriffen: Jude ist man nicht nur aufgrund der Religionsausübung, sondern auch aufgrund der Abstammungslinie. So lautet jedenfalls die jüdische Eigendefinition. Das führt, nebenbei bemerkt, zu der - aus meiner Sicht - kuriosen Situation, dass man heutzutage vielen Menschen begegnet, die sich als Juden definieren, obwohl sie Atheisten oder Agnostiker sind und überdies, aufgrund jahrhundertelanger Vermischungen mit Europäern, nur noch vergleichsweise bescheidene Prozentsätze originaler jüdisch-nahöstlicher Gene vorweisen können. Im US-amerikanischen Social-Media-Bereich ist mir diesbezüglich das Pejorativum "JINO" untergekommen: Jew in name only (offensichtlich eine Anspielung auf den Begriff "RINO", was Republican in name only bedeutet). Andererseits, wenn sich heutzutage Kerle mit Bart und Glatze zu Frauen erklären können, dann dürfen sich wohl auch Personen, die kaum wie Simon bar Kochba aussehen, sondern mehr optische Ähnlichkeiten mit Arminius dem Cherusker haben, als waschechte Juden betrachten. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Doch ich schweife an.
Wieso waren nun so viele Juden politisch einschlägig im Kommunismus (und auch Sozialismus) tätig? Meine starke Vermutung: Man ist - aus den oben geschilderten historischen Gründen - dem Konservatismus gegenüber tendenziell feindselig gesinnt gewesen (das spiegelt sich sogar bis heute im Wahlverhalten der Diaspora-Juden wieder). Konservative Ideologie war gerade dazumal noch stark christlich geprägt; genau dieses Christentum wurde jedoch für das weit über 1000 Jahre lange jüdische Ungemach in Europa nahezu alleinverantwortlich gemacht (das sahen freilich nicht alle Jüdischstämmigen so - am wenigsten die Konvertiten). Es war also aus Sicht etlicher Juden wohl nur natürlich, dass man sich den politischen Gegenspielern dieses Konservatismus anschloss - rein intuitiv; und weil natürlich Antijudaismus in konservativen Kreisen nach wie vor eine gewisse Rolle spielte (wenn auch nicht zwangsläufig in der Hardcore-Variante, die schlussendlich der Nationalsozialismus vertrat). 
Heute ist die Einstellung zum Judentum in konservativen Kreisen teilweise drastisch positiver (hierzu wieder so ein Ami-Begriff: "Kosher Conservatives", der u.a. auf AIPAC-gesponserte US-Politiker und 'Influencer' nicht-jüdischer Herkunft abzielt). Diese mehr oder weniger judenfreundliche Selbstdarstellung halte ich persönlich für überwiegend unehrliches virtue signalling, das primär einen politischen bzw. egoistischen Zweck erfüllen soll. Der Massenmord an den Juden im 20. Jahrhundert ließ es wohl opportun erscheinen, dass sich der christlich geprägte Konservativismus vom Kritiker zum scheinbar glühenden Verteidiger des Judentums wandelte.

Apropos "Massenmord" - springen wir abschließend noch einmal weit in die Vergangenheit und kehren dabei zum Kern meiner Überlegungen zurück: Woher kam die antijüdische Stimmung in der Antike und dem Mittelalter? Nun, die Sache ging wesentlich tiefer als bloßer Geldverleih oder die von Tacitus etwas polemisch auf den Punkt gebrachten kulturellen Meinungsverschiedenheiten. Das Judentum war nämlich - wenn es einmal am längeren Hebel saß - äußerst intolerant gegenüber religiös Andersdenkenden (das sollte heute niemanden verwundern, ist die jüdische Religion doch die Grundlage für die bekanntlich ebenfalls nur mäßig toleranten Religionen Christentum und Islam; wobei das Christentum und das Judentum sich unter dem Druck der Aufklärung diesbezüglich überwiegend gebessert haben). Als historisches Beispiel für die jüdische Unduldsamkeit sei etwa die Zwangsbeschneidung der Idumäa im 2. Jahrhundert v. Chr. genannt, von der uns Flavius Josephus in seinen "Jüdischen Altertümern" berichtet. Hingegen als Auswanderer in den antiken und mittelalterlichen Mehrheitsgesellschaften, mussten Juden gezwungenermaßen den Ball flach halten. Wenn sich dann mitunter aber doch der Ärger über den mitunter brachialen Assimilationsdruck Bahn brach, dann mündete das z.T. in immensen Exzessen. Zwei besonders drastische Beispiele: Juden verübten während des sogenannten "Kitos"-Krieges (zwischen 116 und 117 n. Chr.) diverse Massaker an ihren griechischen Mitbürgern in Alexandria und Zypern, mit kolportierten hunderttausenden - aber wohl zumindest zehntausenden - Toten (antike Zahlenangaben kann man oft nicht wortwörtlich nehmen). Diese Massaker (die freilich auch eine Vorgeschichte hatten) führte dazu, dass man Juden das Betreten der Insel fast 300 Jahre lang verbot. Und auch im Mittelalter ging es dergestalt weiter. Etwa als starke jüdische Kontingente unter sassanidisch-persischer Führung im frühen 7. Jahrhundert das nun oströmisch regierte Jerusalem eroberten und dabei tagelang zehntausende Christen abgestochen haben sollen (wobei sich Ostrom wenige Jahre später drastisch dafür bei den Juden revanchierte). So berichtet es u.a. der in der Überlieferung als Augenzeuge genannte Mönch Strategios. 
Traumatische Ereignisse wie diese - von denen es noch etliche mehr gibt -  waren gerade in den gebildeten Schichten des antiken und mittelalterlichen Europas allzu bekannt. Zur Beliebtheit der Juden hat dergleichen definitiv nicht beigetragen. Man sah sie daher keineswegs bloß als geldgierige "Jesusmörder", wie das heute gerne simplifizierend und möglicherweise in manipulativer Absicht dargestellt wird ('Strohmannargument'), sondern die Abneigung hatte offenbar noch wesentlich greifbarere Ursachen.

Ungute historische Ereignisse wie die geschilderten waren - wenig überraschend - ein Nährboden für die europäische Judenfeindschaft. Freilich, die Hartnäckigkeit, mit der sich viele Juden in Europa weiterhin der Assimilierung entgegenstellten, hat dafür gesorgt, dass die Animositäten nie abgeklungen sind. Gleichzeitig verhinderte dieses Verhalten aber auch ein komplettes Verschwinden des Judentums; und das unterscheidet die Juden von unzähligen anderen kleineren Völkern, die man heute nur mehr dem Namen nach kennt. Der kollektive jüdische Widerstand - der individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sein konnte - hatte freilich einen bekanntermaßen hohen bzw. unmenschlichen Preis. 
Leute wie der schillernde jüdische Publizist Henryk M. Broder würde nun sarkastisch einwerfen: Dass ist so, wie wenn man einer Frau die Mitschuld an ihrer Vergewaltigung gibt. Doch die Analogie mit der unterstellten Täter-Opfer-Umkehr hinkt stark. Eher müsste man fragen: Wie kann es sein, dass eine Frau immer wieder aufs Neue in Situationen gerät, in denen sie vergewaltigt wird? Von zig verschiedenen Männern, in völlig unterschiedlichen Ländern. Ergibt sich da nicht ein Muster, das man - vor allem im Interesse der Frau selbst - unaufgeregt hinterfragen sollte? Gerade jenen, die heute islamische Parallelgesellschaften lautstark kritisieren, sollten man hinsichtlich der oben geschilderten Aspekte des Diaspora-Judentums ins Gedächtnis rufen: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

Was gibt es zu dem Thema sonst noch zu sagen? Eigentlich vieles. Doch ich mache an dieser Stelle erst einmal Schluss. Wer mag, darf aber Ergänzendes im Kommentarbereich einwerfen. Gerne auch Kritik, sofern vernünftig begründet. 


Nachträglicher Hinweis: Ich verwende den Begriff "Antisemitismus" nicht, weil er hochgradig unwissenschaftlich und sachlich falsch ist (nicht nur Juden sind Semiten, sondern auch Araber usw.). Er wurde - und das ist die Ironie dabei - im späten 19. Jahrhundert von den Feinden der Juden ersonnen, um Polemik wissenschaftlich erscheinen zu lassen. Dass auch Juden diesen Begriff heute so gerne verwenden, erinnert mich an ein Erich-Kästner-Zitat: "Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken"



3 Kommentare:

  1. Gut, dass du das so differenziert angesprochen hast. Man sollte keiner Religion einen Freibrief geben. Alle müssen sie sich eine kritische Betrachtung gefallen lassen. Ganz besonders die drei Wüstenreligionen.

    Gero

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  2. Die ersten Christenverfolgungen gingen auch auf die Kappe der Juden, in Judäa selbst. Das war lange bevor Rom unter Nero damit begonnen hat. Wenn man darüber nachdenkt, dann sind die Juden mit Glaubensaweichlern genauso rücksichtslos verfahren wie später die Katholiken mit den Protestanten und die Muslime untereinander bis zum heutigen Tag.

    Scheinbar ganz moralische Leute reden immer davon, den (unschuldigen) Baby-Hitler umzubringen, weil uns dann viele böse Dinge erspart geblieben wären. Ich würde aber lieber das Entstehen des Judentums verhindern, weil das hätte uns die ganz vielen Toten erspart, die die drei monothistischen Nahostreligionen zu verantworten haben.

    Man sagt, nicht Gott hat die Menschen erschaffen, sondern die Menschen Gott. Das bringt mich, in Kenntniss der Missetaten dieser Religionen, zu der Frage, was für kaputte Typen es gewesen sein müssen, die sich so etwas Übles ausgedacht haben.

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    1. Das Baby-Hitler-Gedankenspiel ist eher ein Indikator für charakterliche Bösartigkeit und Dummheit. Denn wieso ein in der Tat unschuldiges Baby ermorden, wenn es doch auch möglich gewesen wäre, Hitler auf einen völlig anderen Pfad zu lenken, indem man die Kunstakademie besticht, damit er dort aufgenommen wird? Stichwort butterfly effect.

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