Die von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes verfassten Evangelien nehmen unter den Handschriften des Mittelalters eine herausgehobene Stellung ein. Ein besonderes Merkmal sind hierbei die den Evangelien-Autoren zugewiesenen Symbole.
- Matthäus: Geflügelter Mensch
- Markus: Löwe
- Lukas: Stier
- Johannes: Adler
Diese Symbole wurden - teilweise kombiniert mit einer idealisierten Darstellung des Autors - in sogenannten Evangeliaren den jeweiligen Evangelientexten vorangestellt - siehe die beiden nachfolgenden Beispiele aus dem 10. und 7. Jh.:
Links ist Johannes mit seinem persönlichen Symbol - dem Adler - zu sehen; rechts beschränkte man sich hingegen einzig und alleine auf das Symbol selbst - den Löwen des Markus (siehe etwa auch den venezianischen Markusplatz mit seiner bekannten "Löwensäule")
Die Gepflogenheit den Autor am Anfang eines Textes bzw. Buches abzubilden, reicht zeitlich übrigens bis in die Antike zurück.
In sogenannten Perikopenbüchern - dabei handelte es sich um Sammlungen ausgewählter Bibel- bzw. Evangelientexte - werden die Darstellungen der vier Evangelisten meist auf einer Seite zusammengefasst. Teilweise wird dem noch eine Abbildung des thronenden Christus - quasi dem eigentlichen "Verfasser" der Evangelien - hinzugefügt; siehe das Beispiel links unten (ca. 1250).
Obwohl auch im Falle der rechts abgebildeten Buchmalerei die Evangelistensymbole auf einer einzigen Seite versammelt wurden, handelt es sich hierbei um kein weiteres Beispiel aus einem Perikopenbuch sondern um ein Blatt aus dem Liuthar-Evangeliar. Im Zentrum steht nicht Christus sondern der Kaiser - in diesem Fall Otto III. Die segnende Hand Gottes soll vermutlich andeuten, dass der Herrscher als dessen autorisierter Stellvertreter fungiert bzw. unter göttlichem Schutz steht (Mediävisten neigen dazu, hier mitunter noch deutlich mehr hineinzuinterpretieren). Die den Kaiser umgebenden Symbole der Evangelisten dürften unterstützenden Charakter besitzen
Abbildungen wie diese können auf einer entsprechenden Widmung der jeweiligen Handschrift beruhen; häufig ehrte man so den weltlichen Stifter eines Klosters. Aber auch die Schreiber bzw. Illustratoren selbst, wurden gelegentlich in ihren Werken dargestellt.
Ein weiteres Kennzeichen mittelalterlicher Handschriften bzw. Evangeliare sind die sogenannten Kanontafeln, wie sie das nachfolgende Bild zeigt. Hierbei handelt es sich um die bereits im 4. Jh. vom Kirchenvater Eusebius zusammengestellten Übereinstimmungen (Konkordanzen) der in den Evangelien enthaltenen Parallelstellen. Zweck dieser trockenen Auflistung ist es, die Einheit der christlichen Botschaft zu dokumentieren.
Eine Bemerkung am Rande: Problemlos könnte man auch eine Liste mit den in den Evangelien enthaltenen Widersprüchen zusammenstellen. Um ein besonders skurriles Beispiel zu nennen, bei dem sich einer der Autoren sogar selbst widerspricht:
Johannes 5,31: Wenn ich über mich selbst als Zeuge aussage, ist mein Zeugnis nicht gültig...
Johannes 8,14: Auch wenn ich über mich selbst Zeugnis ablege, ist mein Zeugnis gültig...
Jesus, der hier angeblich zitiert wird, scheint demnach recht launisch gewesen zu sein ^^
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Dass Luther, der doch so viel von der wortgenauen Befolgung der Evangelien hielt, diese Widersprüche beim Übersetzen nicht aufgefallen sind, erscheint schon ein wenig seltsam.....
AntwortenLöschenEin Übersehen dieser Widersprüche ist hier eigentlich kaum vorstellbar. Dass er sich darauf allerdings öffentlich weniger gerne einlassen wollte, ist wohl verständlich ;)
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